Incirlik: Geschenke der Bundesregierung an Erdogan

Unteransicht Panavia Tornado IDS. Bild: Julian Herzog/CC BY 4.0

Auch im Kampf gegen die Kurden? Der Ausnahmezustand richtet sich nun eindeutig gegen die kurdische Bevölkerung im Südosten

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"Die Vernünftige knickt ein". So lautet eine Überschrift auf n-tv am Donnerstag. Die Kanzlerin möchte uns glauben lassen, dass es nur eine unverbindliche politische Äußerung war, die der Deutsche Bundestag fast einstimmig zum Völkermord an den Armeniern verabschiedet hatte.

Aber es war ein "Antrag" von CDU, SPD und Grünen. Der Antrag endet mit 9 konkreten Forderungen des Parlaments an die Bundesregierung, wovon 7 davon die Bundesregierung auffordern, tätig zu werden, um der Feststellung des Bundestages in der Türkei Geltung zu verschaffen und Konsequenzen zu ziehen. Eine konkrete Forderung lautet zum Beispiel:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf … die türkische Seite zu ermutigen, sich mit den damaligen Vertreibungen und Massakern offen auseinanderzusetzen, um damit den notwendigen Grundstein zu einer Versöhnung mit dem armenischen Volk zu legen …

Forderung aus der Armenienresolution

Noch bevor Erdogan am vergangenen Donnerstag sein Okay für Besuche von Bundestagsabgeordneten in Incirlik gegeben hatte, gab Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bekannt, mehr als 58 Millionen Euro auf dem Luftwaffenstützpunkt investieren zu wollen.

Ein Flugfeld für die Tornado-Kampfflugzeuge und die Unterkünfte für die dort stationierten Bundeswehrsoldaten soll 26 Millionen Euro kosten. Weitere 30 Millionen sollen in einen mobilen Gefechtsstand investiert werden. Diese Mittel sind bereits freigegeben (Incirlik: Weiterhin keine Besuchserlaubnis für deutsche Politiker). Das Fundament für den Gefechtsstand soll weitere zwei Millionen Euro kosten.

Die Investition deutscher Steuergelder in Incirlik ergibt nur dann einen Sinn, wenn geplant ist, die Bundeswehr dauerhaft in der Türkei zu stationieren. Egal, was in der Türkei geschieht, ob Massenverhaftungen und -entlassungen an der Tagesordnung sind oder ob Erdogan vor der Nase der Bundeswehrsoldaten Krieg gegen die Kurden führt, so werden Fakten geschaffen und die Autorität des Bundestages untergraben. Denn das Mandat zur Stationierung deutscher Bundeswehrsoldaten läuft erst Ende des Jahres aus. Dann muss der Bundestag neu entscheiden.

"Aktive militärische Unterstützung" im Kampf der Türkei gegen die Kurden?

Der außenpolitische Sprecher der Linken, Jan van Aken, warf im Deutschlandfunk in die Debatte, dass die Bundeswehr mit ihren Aufklärungsflügen der Türkei "aktive militärische Unterstützung" im Kampf gegen die Kurden "aktive militärische Unterstützung" leiste. Zwar seien die Luftaufnahmen der deutschen Tornados für den Kampf gegen die Terrormiliz IS in Syrien gedacht, sie würden aber umgehend bei der Türkei landen.

Die Truppenpräsenz soll noch im Herbst weiter ausgeweitet werden. Ab Oktober/November sollen AWACS-Radarflugzeuge der NATO den syrischen Luftraum von der Türkei aus kontrollieren. Damit erhält die Türkei wertvolle Aufklärungsdaten über das syrische Grenzgebiet. Es ist davon auszugehen, dass die Türkei diese auch in ihrem Kampf gegen die Kurden nutzt. Schon durch die Luftaufnahmen aus den Tornado-Einsätzen unterstützt die Bundeswehr de facto die türkische Armee gegen die SDF bzw. YPG/YPJ. Eigentlich seien die Daten für den Kampf gegen den IS in Syrien gedacht.

Im Deutschlandfunk sagte van Aken: "um einen Missbrauch zu verhindern, lasse die Bundesregierung jedes Foto mit dem Hinweis "nur für den Kampf gegen IS" beschriften und vertraue einfach darauf, dass sich die Türkei auch daran halte". Der türkischen Regierung und seinem Geheimdienst, der mit Sicherheit auch Zugang zu den Daten und Fotos hat, zu vertrauen, wäre naiv.

Van Aken kritisierte auch die von Erdogan geforderte Flugverbotszone in Nordsyrien. Auch sie diene nicht dem Kampf gegen den IS, sondern schaffe für die Türkei die Möglichkeit, die Kurden weiter zu schwächen:

Die Amerikaner kämpfen mit den Kurden gegen IS und die Türkei kämpft gegen die Kurden, und da ist eine Flugverbotszone für Erdogan eine Möglichkeit, die Kurden zu schwächen.

Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Linken

Außerdem würde dies zunächst zu einem flächendeckenden Bombardement führen, um die syrische Flugabwehr auszuschalten, erklärte van Aken.

Kooperation Türkei/IS: Dossier im Europaparlament vorgestellt

Salih Muslim, der Vorsitzende der syrisch-kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) aus Rojava präsentierte auf einer Konferenz im Europaparlament in Brüssel ein umfangreiches Dossier über die Zusammenarbeit staatlicher Stellen in der Türkei mit der Terrormiliz "Islamischer Staat".

Das Dossier enthält bspw. Ausweispapiere türkischer IS-Kombattanten und türkische Einreisestempel ausländischer IS-Kämpfer. Fotos zeigen die ungehinderte Einfuhr großer Mengen von Dünger über den Grenzübergang Akcakale in der Provinz Sanliurfa. In den Düngemitteln ist Ammoniumnitrat enthalten, das zur Herstellung von Sprengstoff verwendet wird.

In dem Dossier finden sich auch die Geständnisse gefangener IS-Kämpfer mit Aussagen über das Verhältnis türkischer Behörden zum IS und Ausführungen darüber, wie der IS in der Türkei offen Kämpfer rekrutieren kann. Der IS-Kämpfer Ramadan Baschul berichtet über seine Rekrutierung in der inneranatolischen Provinz Konya. Er sei an seinem Arbeitsplatz angeworben worden und hätte in der Türkei eine militärische und religiöse Grundschulung erhalten. Über den Grenzübergang Suruc sei er nach Syrien eingereist.

Ein anderer berichtet gar, er sei direkt von türkischen Militärs und Geheimdienstleuten über die Grenze mitgenommen worden. Ein weiterer Gefangener bestätigt die Behandlung verwundeter IS-Kämpfer in türkischen Krankenhäusern.

Offen bleibt, Inwieweit die Dokumente echt sind und die Aussagen stimmen. Allerdings gab es immer wieder Fotos, Filmaufnahmen und Dokumente, die auf eine Zusammenarbeit zwischen der Türkei und dem IS hinweisen. Telepolis berichtete mehrfach darüber. Auch die Bundesregierung veröffentlichte versehentlich ihre Einschätzung: Als Resultat der vor allem seit dem Jahr 2011 schrittweise islamisierten Innen- und Außenpolitik Ankaras habe sich "die Türkei zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens entwickelt.

Trotzdem liefern die AWACS Radarflugzeuge Daten und die Tornados Fotos an die Türkei? Wie sicher kann sich die Bundesregierung sein, dass diese Daten nicht bei den mit der Türkei verbündeten Islamisten, möglicherweise sogar bei al-Qaida und dem IS landen? Ist der Bundesregierung entgangen, dass es sich bei der Übernahme der syrischen Grenzstadt Jarablus um eine "Übergabe" vom IS gehandelt haben muss? Wie sonst ließe es sich erklären, dass die türkischen Militärs mit ihren islamistischen Rebellenkräften eine faktisch menschenleere Stadt kampflos übernehmen konnte (Kampflose Eroberung von Dscharablus: Wer an der türkischen Offensive auf Dscharablus beteiligt war)?

Die türkischen Militärs hatten allerdings außer den Islamisten auch noch eine ganz andere Gruppe mit im Gepäck. Der Politikwissenschaftler Ismail Küpeli postete auf Facebook eine Videoaufnahmeder Grauen Wölfe (türkische Faschisten) aus Adana/Türkei, die nach der Eroberung ebenfalls über die türkisch-syrische Grenze von türkischen Grenzern nach Jarablus gelassen wurden.

Dass die Türkei mit grünem Licht aus Washington nach Nordsyrien einmarschieren konnte, erweist sich als fundamentaler Fehler. Unterstützt von den Anbiederungen der deutschen Bundesregierung und des US-Vizepräsidenten Biden fühlt sich die türkische Regierung ermutigt, ihren Kampf gegen die Kurden in der Türkei und in Syrien mit aller Härte weiterzuführen.

Damit eskaliert sie weiter und schraubt die Gewaltspirale in die Höhe. Gewalt erzeugt Gegengewalt. Es ist eine Frage der Zeit, bis die Kurden selbst mit aller Härte zurückschlagen Frieden ist in dieser Region damit mal wieder ein Stück in weitere Ferne gerückt.

Ausnahmezustand in der Türkei richtet sich nun gegen Kurden

Über 14.000 Lehrer sollen in den kurdischen Gebieten wegen angeblicher Unterstützung der PKK entlassen werden. Ministerpräsident Binali Yıldırım sagte der staatlichen Nachrichtenagentur, nach Schätzungen seien so viele Lehrer im mehrheitlich kurdisch bewohnten Südosten des Landes "irgendwie mit dem Terror verwoben" Bis zum Wochenende wurden genau 11.301 Lehrer entlassen.

Das neue Schuljahr beginnt in der Türkei am 19. September. Die aktuellen Entlassungen bedeuten, es gibt praktisch keine kurdischen Lehrer mehr in den kurdischen Gebieten. In Diyarbakir wurden alleine 4.300, in Mardin 1780, in Batman 946, in Adıyaman 466 Lehrer suspendiert. Von den 11.301 entlassenen Lehrer sind 9.843 Mitglied der Erziehungs-Gewerkschaft Eğitim-Sen. Das zeigt, dass die türkische Regierung nun auch dabei ist, gegen fortschrittliche Gewerkschaften vorzugehen.

Zwangsverwaltung

Die Bezirksverwaltungen in den Bezirken Sur und Silvan in der Provinz Diyarbakır wurden angeblich am Donnerstag unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt. Der Gouverneur dementierte dies zunächst. In den Bezirken regiert bislang die DBP, der kommunale Ableger der pro-kurdischen HDP.

Am Freitag gab der türkische Innenminister Süleyman Soylu bekannt, dass die Verwaltung von 28 Lokalregierungen innerhalb der nächsten 15 Tage "dem Willen der PKK "entzogen werde. Soylu weiter.

Mit der Genehmigung durch das Ausnahmezustands-Gesetzwird die Verwaltung von 28 Gemeinden nicht mehr länger in der Hand von Terroristen oder Kandil sein. Die Verwaltung wird von nun an in der Hand von Leuten sein, die die (türkische, Erg. d.A.) Flagge in ihren Herzen verinnerlicht haben. (...)

Süleyman Soylu, türkischer Innenminister