Glaubwürdigkeitsprobleme der Linken

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Wie die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern offenbarten, tut sich die Linke schwer damit, kritische Bürger zu erreichen. Viele Protestwähler sind augenscheinlich zur AfD gewechselt

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Beruhen die Stimmenverluste vornehmlich auf der schwierigen Vermittelbarkeit politischer Zusammenhänge, wie Klaus Lederer und Gregor Gysi vermuten, oder sind sie nicht vielmehr in den Zielsetzungen und in der Praxis der Partei selbst begründet?

Die Linke erhebt den Anspruch, eine Alternative zum neoliberalen System bieten zu können. Darauf vertrauend zeigen sich Wähler über kaum spürbare Veränderungen dort enttäuscht, wo die Linke den Sprung in Kommunal- und Landesregierungen geschafft hat. Wenn ihr auch für die bevorstehende Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ein Zuwachs von vier Prozent prognostiziert wird, so ist dies allenfalls ein Trostpflaster nach der Halbierung des Stimmenanteils während der rot-roten Koalition.

Selbstkritisch wird eingestanden, dass beim Wählervolk wohl allzu hohe Erwartungen geweckt wurden. Was aber bleibt übrig, wenn realisiert wird, dass zentrale Forderungen wie eine gerechte Einkommensverteilung, sichere Arbeitsverhältnisse, ein Ausbau öffentlicher Leistungen, ein fairer globaler Handel, ein ökologischer Umbau, Rüstungskontrolle und Initiativen zur Stärkung des Friedens faktisch nicht umsetzbar sind?

Fehlen einer realistischen Alternative

Zweifellos argumentiert die Linke recht überzeugend, soweit es um eingegrenzte Themen geht. Ihre Vertreter brillieren besonders dann, wenn sie sich ablehnend zur Politik der Regierenden positionieren. So erlangen sie viel Zuspruch bei ihrer Kritik an Agenda 2010 und Hartz IV, an neoliberalen Vorgaben aus der EU-Zentrale wie der den Südländern aufoktroyierten Austeritätspolitik, an CETA und TTIP sowie am Säbelgerassel der Nato und am Rüstungsexport.

Auf die Präsentation einer realistischen Alternative zum Neoliberalismus wurde jedoch bislang vergeblich gewartet. Trotz zahlloser interner Debatten ist offenbar kein Konsens erzielt worden. So empfehlen die einen neo-keynesianische Rezepte, während andere die Vorstellungen der Ordoliberalen diskussionswürdig finden. Aus der Sicht der einen müssen Eigentumsstrukturen verändert werden, wohingegen andere dies als nicht notwendig erachten. Auch ist nicht entschieden, ob eine alternative Wirtschaftspolitik vorzugsweise im nationalen Maßstab, EU-weit oder global anzustreben ist. Schließlich besteht Unklarheit darüber, in welchen Fragen überhaupt eine einheitliche Position als notwendig bzw. wünschenswert betrachtet wird.

Frustriert vom Fehlen eines überzeugenden großen Entwurfs konzentrieren sich viele Parteigänger der Linken auf die alltäglichen Probleme der Bürger und setzen sich für konkrete Belange ein. Trotz der wertvollen Arbeit, die sie leisten, und trotz des Werbens neuer Anhänger bleibt zu bemängeln, dass die Konturen linker Programmatik oftmals im Zuge basisorientierter Aktivitäten verblassen. Wenn sich das Engagement auf ein Beklagen punktueller Missstände und eine Suche nach Ad-hoc-Lösungen beschränkt, dann stellt sich naturgemäß die Frage, ob es einer Partei wie der Linken überhaupt bedarf.

Tatsächlich werden Forderungen nach gerechter Entlohnung, Vollbeschäftigung, sozialer Absicherung und Berücksichtigung ökologischer Aspekte auch von anderen Parteien, einschließlich der CDU und der AfD, erhoben. Der Unterschied besteht darin, dass jene Parteien das neoliberale Wirtschaftssystem prinzipiell bejahen und die von ihm ausgehenden Zwänge als schicksalsgegeben hinnehmen. Werden sie dann wiederholt mit Hindernissen konfrontiert, die der Umsetzung hehrer Ziele entgegenstehen, sind ihre Mitglieder vielfach bereit, mit Vertretern der Linken am gleichen Strang zu ziehen. In der Praxis sind Differenzen zwischen den Parteien oftmals eine geringere Hürde für die Durchsetzung linker Forderungen als systembegründete Sachzwänge.

Im Gegensatz zu Politikern anderer Parteien wird Vertretern der Linken selten unterstellt, sie seien "gekauft" oder würden als Lobbyisten von Wirtschaftsakteuren agieren. Dies erhöht verständlicherweise die Erwartungen, die auf ihnen lasten. Dabei wird kaum wahrgenommen, dass sich jene, die etwa als Regionalpolitiker verantwortliche Positionen bekleiden, in einem recht engen finanziellen und rechtlichen Rahmen bewegen. So geraten linke Parlamentarier und Amtsinhaber zuweilen in Erklärungsnöte, wenn sie sich vor ihren Wählern rechtfertigen müssen. Der erzwungene Verzicht auf zahlreiche für notwendig erachtete Maßnahmen treibt vermutlich so manchen in Gewissenskonflikte.

Verengung des politischen Handlungsspielraums

Der Handlungsspielraum politischer Entscheidungsträger hat sich auf allen Ebenen sichtlich verringert. Die Erklärung dafür sind Zwänge, die in der gestiegenen Macht global operierender Kapitalgesellschaften begründet sind. Diesen gelingt es immer erfolgreicher, eigene Interessen zu Lasten der jeweiligen Volkswirtschaften durchzusetzen. So sehen sich Regierungen zu Vorleistungen in Bereichen wie Infrastruktur, Bildung und Forschung veranlasst. Ferner lassen sie sich zu Steuerermäßigungen und finanziellen Zuwendungen verschiedener Art drängen. Das Bestreben, die Wirtschafts- und Finanzelite nicht zu verprellen, zeigt sich ebenso an der recht laschen und bislang nahezu folgenlosen Kritik an Steueroasen und Finanzspekulationen.

Dass sich die politisch Verantwortlichen dem Druck der Wirtschaftsakteure nicht entziehen können, ist ein Resultat des Verzichts auf Kapitalverkehrskontrollen und Importzölle im Zuge der neoliberalen Wende. Da gegenwärtig das globale Angebot an attraktiven Produktionsstandorten die Nachfrage durch potentielle Investoren bei weitem übersteigt, können diese den Staaten ihre Bedingungen diktieren. Die Gewinne lassen sich dann problemlos in Steueroasen verschieben. Nach Aussagen des OECD-Generalsekretärs Angel Gurria verliert der Fiskus dabei jährlich rund zwei Billionen Dollar.

Regierungen müssen somit einerseits Geldmittel für die Erfüllung der den Privatinvestoren gemachten Zusagen abzweigen und andererseits auf einen Teil der Steuereinnahmen verzichten. Aufgrund dieses doppelten Aderlasses wird die Finanzierung öffentlicher Aufgaben zusehends schwieriger. Als Lösung bieten sich der Politik die folgenden Handlungsoptionen:

  1. Einsparungen bei öffentlichem und privatem Konsum,
  2. weitere Zugeständnisse an heimische Produzenten und potentielle Investoren,
  3. zusätzliche Verschuldung.

Bei näherer Betrachtung der Alternativen besteht kein Zweifel, dass jede von ihnen zumindest auf längere Sicht zu einer weiteren Verminderung politischen Handlungspotentials führt.