Weniger Fleisch für mehr Tierwohl

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Ein Umdenken ist längst überfällig - Der Fleischatlas 2016 liefert aktuelle Fakten zu unserem Fleischkonsum

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In Deutschland gibt es immer weniger Tier haltende Betriebe. Gleichzeitig wird immer mehr Fleisch produziert. Wie geht das? Glaubt man den Autoren des Fleischatlas Deutschland Regional 2016 (herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung und BUND), liegt das an den Konzentrations- und Industrialisierungsprozessen in der Rinder- und Schweinezucht, die mit zunehmendem Höfesterben einhergeht.

Während sich die Fleischproduktion während der letzten 15 Jahre um bis zu 50 Prozent erhöht hat, haben bis zu 80 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe ihre Tierhaltung aufgegeben.

Der Trend geht zu Megamastanlagen

So nimmt in Ländern wie Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg die absolute Zahl der Schweine- und Hühnerhaltungen ab, gleichzeitig werden die Betriebe immer größer. Der Trend geht zu Megamastanlagen.

Von 2012 bis 2015 wurden die meisten Plätze für Masthähnchen mit 1,9 Millionen in Niedersachsen beantragt, gefolgt von Brandenburg mit 1,2 Millionen und Sachsen-Anhalt (rund 800.000). Hingegen sind Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen sind laut Fleischatlas noch stärker von bäuerlicher Landwirtschaft und Tierhaltung geprägt. Auch sind die Anlagen insgesamt etwas kleiner ausgelegt als in den Jahren zuvor.

Überall, wo die Fleischindustrie in der Umwelt ihre Spuren hinterlässt, werden erhöhte Ammoniak- und Nitratwerte im Grundwasser gemessen. Das gilt für Nordrhein-Westfalen ebenso wie für Niedersachsen, wo im Jahr 2015 rund vier Millionen Mastschweine gezählt wurden. 2012 und 2015 wurden hier 150.000 Schweinemastplätze neu genehmigt.

Niedersachsen stellt nur 15,5 Prozent der in Deutschland landwirtschaftlich genutzten Flächen, ist aber mit zwei Dritteln aller Masthühner und -hähne und knapp 40 Prozent der Legehennen der größte Erzeuger tierischer Produkte. Die Milchkuhhaltung ist vor allem an der Wesermarsch und Ostfriesland angesiedelt, in der Weser-Ems-Region konzentriert sich die Fleischproduktion mit 65 Millionen Masthühnern und 9 Millionen Schweine auf immer weniger landwirtschaftliche Betriebe.

Gleichzeitig wächst die Zahl der Betriebe, die mehr als hundert Hektar bewirtschaften. Immer weniger Landwirte halten Tiere, während die Tierzahlen und Betriebsgrößen zunehmen. Das liegt vor allem daran, dass große Agrarunternehmen Betriebsmittel billiger einkaufen und große zusammenhängende Flächen effizienter bearbeiten können. Gleichzeitig fordert die Ernährungsindustrie uniforme Lebensmittel und die Lieferung von Mindestmengen. Dazu kommt: Hohe EU-Flächenprämien erhält nur derjenige Betrieb, der möglichst viel Fläche bewirtschaftet.

Fleischproduktion am Fließband

Die Produktion von Schweinefleisch ist in Niedersachsen seit 2005 viel höher als der heimische Verbrauch. Fleisch wird massenhaft exportiert - mittlerweile in rund 125 Länder. So gilt der Geflügelschlachthof in Wietze, der seit 2011 in Betrieb ist und in dem täglich bis zu 400.000 Tiere am Fließband ihr Leben lassen, als der größte in Europa.

Mischfutterwerke, Schlachthöfe und Brüterei - Rothkötter besitzt das Monopol in Niedersachsen/NRW rund um die Geflügelmast. Der Betrieb ist auf Wachstum programmiert: In immer kürzeren Zeitabständen wird immer mehr Fleisch gemästet, geschlachtet und verkauft - als billige Massenware für Discounter und Export. In einem solchen Umfeld kann Tierwohl nur ein Fremdwort sein, bremst es doch den effizienten Mast-, Schlacht- und Verarbeitungsbetrieb nur unnötig aus. Den Preis zahlen die gequälten Masttiere, die mit Antibiotika abgefüllt werden, das sich - ähnlich wie Nitrat - im Grundwasser anreichert.

Jahrzehntelang ging es nur darum, effizienter zu mästen, Milch-, Eier- und Fleischleistung zu steigern, die Produktionskosten zu senken und den Markt mit billigen Produkten zu überschwemmen. Dass Nutztiere auch Individuen sind, die Schmerzen empfinden, geriet dabei völlig aus dem Blick. Ein Umdenken ist längst überfällig.

Der Fleischatlas benennt außerdem die schlechten Arbeits- und Lohnbedingungen in der Fleisch verarbeitenden Industrie, in der offiziell 80.000 Personen beschäftigt sind, nach Angaben der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sind es sogar mehr als 140.000.

Zudem sind viele Arbeitskräfte aus Südost- und Ostmitteleuropa deutschlandweit in Subunternehmen beschäftigt, denn für sie lohnt sich die harte Arbeit wegen des Lohngefälles innerhalb der EU. Auf der anderen Seite kassieren die Subunternehmer überhöhte Mieten für die Unterkünfte und ziehen die Kosten für den Transport zur Arbeit vom Lohn ab. Außerdem müssen die Arbeiter für die Kosten ihrer Ausrüstung häufig selbst aufkommen.

Wohin mit Phosphor und Nitrat?

Masttiere brauchen viel Futter - in Niedersachsen heißt das vor allem: Mais. Praktischerweise kann man die immensen Düngermengen, die in der Weser-Ems-Region anfallen, auf den endlosen Maisfeldern entsorgen. Den Angaben des niedersächsischen Nährstoffberichtes zu Folge sind zwar die Phosphorüberschüsse gesunken. Damit sank auch der fehlende Flächenbedarf für die fachgerechte Ausbringung von Phosphor in Gülle und Gärresten von 65.000 Hektar in 2014 auf 41.000 Hektar in 2015.

Dem zugrunde liegt das aktuelle Düngerecht (DüV §6 Abs. 2 Nr. 2), das einen Phosphorüberschuss von 20 kg je Hektar erlaubt. Würde eine Novellierung umgesetzt, wären nur noch 10 kg je Hektar überschüssiger Phosphor zugelassen - und das Flächendefizit würde sich auf 116.000 Hektar erhöhen.

Beim Mais, der sowohl als Tierfutter als auch als Biomasse zur Energiegewinnung eingesetzt wird, ist vor allem der Anbau in Monokultur ein Problem. Doch blütenfreie, monotone Maiswüsten bieten weder Bienen, Hummeln noch Schmetterlingen ansatzweise Nahrung, weshalb sie in den großen Mais-Anbaugebieten längst verschwunden sind.

Das einzige Insekt, das hier überdauert, ist der Maiszünsler - sofern er die chemische Keule überlebt hat. Auch für andere Wildtiere bietet die einförmige Landschaft weder Nahrung noch Lebensraum. Massive Düngung mit Gülle belastet Böden und Gewässer. Diese weisen besonders im Norden Deutschlands eine immer höhere Belastung an Nitrat, aber auch Medikamenten auf.

Doch selbst der immense Maisanbau kann die rund 360 Millionen niedersächsischen Rinder, Schweine, Geflügel nicht sättigen. In Brake, einem kleinen Ort an der Weser, liegt Europas größter Importhafen für Futtermittel. Von hier gelangt tonnenweise importiertes Soja aus Übersee in die Futtertröge der Weser-Ems-Region.

Um Platz für Plantagen mit Sojabohnen zu machen, wird in Brasilien und Argentinien immer mehr Regenwald gefällt. Infolgedessen leidet Brasilien unter immer längeren Dürreperioden. Ein Grund dafür liegt auch in der illegalen Abholzung zur Gewinnung neuer Ackerflächen für Futtersoja.

Schluss mit den Privilegien beim Bau von Tierhaltungsanlagen

Seit einigen Jahren regt sich immer mehr Widerstand gegen industrielle Tierhaltung. Die Genehmigungsverfahren werden erschwert - auch in Niedersachsen. Der ausufernden Mastindustrie soll Einhalt geboten werden, wenn auch in Mini-Schritten: Seit 2013 sind Abluftreinigungsanlagen für Schweinemastanlagen ab 2.000 Tieren vorgeschrieben.

Beim Neubau von Megaställen sind Keimschutzgutachten verpflichtend. Seit 2016 ist das Schnabelkürzen bei Legehennen verboten. Auch das routinemäßige Kupieren von Schwänzen bei Schweinen soll gestoppt werden. Auch das Verbandsklagerecht dürfen anerkannte Tierschutzorganisationen in Niedersachsen nun endlich anwenden.

Ein weiteres Zeichen setzte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, als sie im August 2016 erklärte, die Privilegien für den Bau neuer Mastanlagen einschränken zu wollen. Denn diese emittieren nicht nur Feinstaub, Treibhausgase und Ammoniak, sondern hinterlassen auch enorme Mengen an Nitrat und Tiermedikamente im Grundwasser.

Nun sollen die Anwohner mehr Mitspracherecht bei der Planung einer Mastanlage durch Erstellung eines Bebauungsplans erhalten. Eine Mega-Anlage in viele kleine Ställe aufzuteilen, um mehr Tiere als erlaubt einzupferchen - auch damit soll nun Schluss sein.

Den entscheidenden Schritt müssen die Bürger allerdings selber tun - nämlich weniger Fleisch essen. Der Fleischkonsum pro Kopf bewegt sich hierzulande seit Jahren auf etwa demselben Niveau: Beim Schweinefleisch (53 kg in 2014) nahm der Verbrauch gegenüber 2011 zwar um 3,6 kg ab, bei Geflügel nahm er dafür im selben Zeitraum um ein halbes Kilo zu - auf 19,5 kg (2014). Das mag daran liegen, dass Geflügel in dem Ruf steht, ernährungsphysiologisch gesünder zu sein. Dabei rät selbst die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) zum sparsamen Verzehr von Geflügel.

Würde weniger Fleisch produziert, müssten Tiere nicht mehr unter qualvollen Bedingungen gemästet werden. Weniger Tiere könnten auf Stroh anstatt auf Spaltenböden stehen, das einzelne Tier hätte mehr Platz und Bewegungsfreiheit. Die Tiere würden weniger Futter und Flächen verbrauchen. Eine fleischarme Ernährung dient nicht zuletzt der menschlichen Gesundheit, nützt dem Klima und der Umwelt. Unser eigenes Wohl und das der Tiere sollte es uns wert sein.