Türkei: Öcalan darf wieder Besuch empfangen

Der inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan darf Besuch von seinem Bruder empfangen. Ein erstes, schwaches Signal der türkischen Regierung, dass auch ein anderer als der Konfrontationskurs mit den Kurden möglich wäre?

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Am Sonntag gab die kurdische Nachrichtenagentur ANHA bekannt, dass Mehmet Öcalan, der Bruder des PKK-Chefs Öcalan, auf dem Weg zur Gefängnisinsel Imrali sei, wo der Kurdenführer seit 1999 inhaftiert ist. Tags zuvor hatte die türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtet, dass Mehmet seinen Bruder anlässlich des islamischen Opferfestes, das nächste Woche beginnt, besuchen dürfe. Wann der Besuch genau erfolgt, sollte eigentlich geheim gehalten werden.

Seit dem 6. Oktober 2014 durfte weder seine Familie und noch andere Öcalan besuchen. Auch seine Anwälte hatten kein Besuchsrecht. Zahlreiche Besuchsanträge wurden gestellt, alle wurden sie mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt:

  1. Von Juli - Dezember 2011 wurden 43 Besuchsanträge gestellt. 17 wurden wegen schlechter Wetterverhältnisse abgelehnt, 23 wegen einer fahruntüchtigen Fähre, 2 wegen öffentlichen Feiertagen.
  2. Im Jahr 2012 wurden 104 Besuchsanträge gestellt. 14 wegen schlechter Wetterverhältnisse abgelehnt, 73 wegen fahruntüchtiger Fähre. 16 wurden abgelehnt, weil die Fähre repariert werde, 1 wegen einem öffentlichen Feiertag.
  3. 2013 wurden 102 Besuchsanträge gestellt, davon 12 wegen schlechtem Wetter, 86 wegen fahruntüchtiger Fähre und 4 wegen Feiertagen abgelehnt.
  4. 2014 wurden von 104 Besuchsanträgen seiner Anwälte 9 wegen schlechter Wetterbedingungen, 86 wegen fahruntüchtiger Fähre, 6 wegen Reparaturen an der Fähre und 3 wegen öffentlicher Feiertage abgelehnt.
  5. Im Jahr 2015 wurden von den 56 Besuchsanträgen seiner Anwälte 5 wegen schlechter Wetterbedingungen, 27 wegen fahruntüchtiger Fähre und 24 wegen Reparaturen an der Fähre abgelehnt.

Die Angaben entstammen Informationen des Kongress' der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa (KCDK-E)1 Man darf gespannt sein, ob es nun eine fahrtüchtige Fähre für den Bruder von A. Öcalan gibt….

Bombardierungen und Festnahmen gehen weiter

Die Aufhebung der Kontaktsperre wirf ein paar Fragen auf. So könnte man spekulieren, ob Präsident Erdogan damit eine milde Geste im Rahmen des Opferfestes vornimmt umd damit auch ein wenn auch sehr zartes, schwaches Zeichen dafür zu setzen, dass auch eine andere Politik als die der unbedingten Härte gegen Kurden und Oppositionelle möglich wäre.

Dem widersprechen aber die Bombardierungen in den kurdischen Gebieten, die am Samstag unvermindert weitergingen. Die taz berichtet unter Berufung auf die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu, dass die Luftwaffe in der Provinz Hakkari 9 Ziele zerstört hätte. Um welche konkreten Ziele es sich handelte, wurde nicht genannt.

Und dem widerspricht das nach wie vor harte Vorgehen gegen bekannte und kritische Journalisten. Am gestrigen Samstag, den 10. September, wurde der Journalist Ahmet Altan, sowie sein Bruder Mehmet Altan, ein bekannter Professor, in der Türkei festgenommen. Ahmet Altan war Gründer der Zeitung Zaman und schrieb zuletzt unter anderem für P24.

Ein Erfolg internationaler Proteste und der Hungerstreiks?

Die Besuchserlaubnis für Öcalans Bruder ist möglicherweise ein Erfolg der internationalen Proteste und des Hungerstreiks von 50 Aktivisten (Türkei: Hungerstreik für Öcalan hat begonnen), denen sich auch Menschen in Straßburg und Rojava sowie Teile der politischen Gefangenen in den türkischen Gefängnissen angeschlossen haben.

Mag sein, dass die türkische Regierung nach dem Zuckerbrot und Peitsche-Prinzip nun suggerieren wollte, dass die Türkei doch demokratisch ist, wenn sie dem Hauptfeind Nr. 1 einmalig Besuchsrecht der Familie gewähre.

Die Hungerstreikenden haben dazu erklärt, dass sie ihren Hungerstreik fortsetzen werden, bis das Treffen wirklich stattgefunden hat. Misstrauen, dass die Ankündigung ernst gemeint ist, ist angebracht. Zu oft schon gab es Versprechungen, die letztendlich nicht eingehalten wurden.

Die Fronten zwischen der PKK und der Regierung

Das PKK-Führungsmitglied Duran Kalkan hatte kürzlich angekündigt, dass türkische Militär- und Polizeieinrichtungen mit verstärkten Anschlägen zu rechnen haben - so könnte die Aufhebung der Kontaktsperre auch dadurch motiviert sein, die Gemüter zu besänftigen. In dem Interview mit Med Nuçe TV prognostiziert Kalkan der türkischen Regierung eine Niederlage bei der Zwangsverwaltung von Lokalregierungen in Diyarbakir und anderen Städten.

Die Kurden hätten schon viele Regierungen in Amed (Diyarbakir) erlebt, die irgendwelche Maßnahmen durchsetzen wollten. Sie seien alle letztendlich gescheitert. Er sagte weiter, es würde ihnen nicht gelingen, dass Spione, die für die AKP arbeiten, auch nur einen Fuß in die Straßen von Diyarbakir setzen. Was das genau bedeutet, ließ Kalkan offen.

Dem Ministerpräsident Binali Yildirim bescheinigte er, er hätte den Verstand verloren. Er wolle ein Überwachungssystem mit einer Mauer wie die "Chinesische Mauer" oder die "Berliner Mauer" durchsetzen, um Nordkurdistan (gemeint sind die kurdischen Gebiete in der Türkei, Anm. d. Verf.) und Rojava zu separieren.

Yildirim, so Kalkan, habe Schaum vor dem Mund und würde die Kurden beschimpfen. Yildirim würde sagen, dass es keine andere Lösung gäbe, als die Kurden so hart zu treffen, dass sie zerstört werden. Kurden sollen zu Sklaven der AKP werden, damit sie eine Existenzberechtigung haben - das sei das Niveau des Denkens der AKP und Yildirim. Er soll zum Thema Kurdenfrage in der Vergangenheit gesagt haben: entweder Sieg oder Tod. Kalkan erläutert, wenn Kurden ihre Freiheit verlangen und Widerstand leisten, dann empfinden türkische Beamte dies als Todesdrohung.

Die türkische Regierung wäre allerdings gut beraten, wieder an den Verhandlungstisch zu kommen. Denn eines ist zutreffend in der Erklärung von Kalkan. Die Kurden haben schon viele Regierungen, mit hohen Verlusten allerdings, überlebt. Ihr Widerstandsgeist ist geblieben. Will die AKP keinen Bürgerkrieg im Land, oder sich einreihen in die Tradition der Genozide und Massaker wie den Völkermord an die Armenier oder das Dersim-Massaker, um nur zwei bekannte historische Daten zu nennen, so sollte sie doch akzeptieren, dass ein Krieg gegen die Kurden militärisch wie politisch nicht zu gewinnen ist.