Griechenland: Der Kleinkrieg zwischen Presse und Regierung

Der französische Präsident Hollande auf dem Mittelmeergipfel am Wochenende mit dem griechischen Premier Alexis Tsipras, der kritischen Medien derzeit lieber aus dem Weg geht. Bild: W. Aswestopoulos

Nachdem die griechische Regierung die Zahl der landesweit sendeberechtigten Fernsehkanäle auf vier begrenzt hat, hat dies bei den betroffenen Fernsehjournalisten einen Aufruhr verursacht

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Vier große Sender, Alpha TV, Star TV, Epsilon, Mega sowie der kleinere Sender ART müssen ihren Betrieb binnen neunzig Tagen, faktisch bis Ende November einstellen. Die Nerven liegen bei den von Arbeitslosigkeit bedrohten Journalisten, Kameraleuten, Tontechnikern, Videotechnikern und weiteren Produktionsassistenten blank. Die gesamte Opposition bemängelt das Vorgehen der Regierung.

Diese steuert nun einen autokratischen Kurs gegenüber der Presse. Die Regierungssprecherin Olga Gerovasili bemängelte, dass die privaten Fernsehstationen ihr Programm am Freitag nicht für die Übertragung von Premierminister Alexis Tsipras Rede beim Treffen der EU-Südstaaten unterbrochen hatten. Sie meinte, alle Sender hätten die Rede übertragen müssen. Gerovasili gab offen zu, dass ihrer Ansicht nach die Regierung ein Recht habe, bei der Nachrichtengestaltung ein Wörtchen mitzureden.

Wie nicht anders zu erwarten, erntete sie einen Shitstorm nicht nur von der Opposition, sondern auch von nahezu sämtlichen, nicht regierungsnahen Medienvertretern. Die nächste Eskalationsstufe kam prompt. Bei der traditionellen Pressekonferenz des griechischen Premiers bei der internationalen Messe von Thessaloniki schloss Gerovasili die meisten regierungskritischen Medien von der Möglichkeit der Fragestellung aus. Statt den Vertretern der Printpresse mit großer Auflage, wie den liberalen oder neoliberalen Blättern To Vima, Eleftheros Typos, Dimokratia, Proto Thema, durften SYRIZA nahe stehende Blogbetreiber und kleine, regionale Radios Fragen stellen. Auch den Vertretern der kommunistischen Presse war keine Frage gestattet worden. Die kritischen Fragen der Opposition von links hätten Tsipras sicherlich in Bedrängnis gebracht.

Stattdessen durfte die staatliche Nachrichtenagentur ANA fragen, wann denn Tsipras endlich eine Krawatte anlegen würde. Sechs der insgesamt dreißig Fragen, die Gerovasili zuließ, gingen an Parteimedien von SYRIZA beziehungsweise von der Regierung kontrollierte Medienvertreter.

Eine unangenehme Fragestellung und ein entnervter Tsipras

Surreal wurde es, als die Journalistin des von der Schließung bedrohten Senders Alpha TV, Evagelia Tsikrika, doch eine Frage stellen konnte. Sie sprach den Premier an und sagte ihm "Aug in Aug", dass nicht die Wirtschaftskrise, sondern er sie zur Arbeitslosen machen würden.

Zudem möchte Tsipras die beiden neuen Sender mit staatlichen Mitteln aufpeppen, damit diese ihr noch nicht vorhandenes Personal preiswerter einstellen können. Tsikrika fragte den Premier nach dem Sinn, den das Bieterverfahren um die Lizenzen machen würde, wenn ihr Sender, der einzige griechische große Privatsender in der Gewinnzone mit 61 Millionen Euro, mehr geboten hätte, als zwei der schließlich lizensierten Sender.

Damit sprach sie Tsipras direkt auf die im Parlament von Staatsminister Nikos Pappas gemachte Aussage an, dass zwischen einer Lizenz und dem Sender nur das Portmonee des Senderbesitzers stehen würde. Schließlich hatte das komplizierte von Pappas initiierte Bieterverfahren zu diesem Paradoxon geführt, dass faktisch über den Gesamtverlauf Meistbietende am Ende leer ausgingen.

Als Tsikrika Tsipras auch noch daran erinnerte, dass dieser bei seinem ersten Amtsantritt im Januar 2015 in der anschließenden Regierungserklärung beschworen hatte, er wäre "jeder Buchstabe der Verfassung" und Tsipras auf den Verfassungsbruch bei der Lizenzerteilung hinwies, war es um die Contenance des Premiers geschehen. Die Verfassung schreibt eine Lizenzerteilung über den Rundfunkrat und nicht über einen Staatsminister vor. Sie betont die Gleichheit der Bürger, die beim Bieterverfahren offenbar reine Glückssache und Pokergeschick war. Dass die Journalistin den Premier auch noch fragte, wo denn bei dem gesamten Verfahren eine ideologisch links gerichtete Politik erkennbar sei, verdüsterte sich Tsipras Miene.

Tsipras reagierte aggressiv und genervt. Statt einer detaillierten Antwort kassierte die Journalistin den Hinweis, dass die Vorgängerregierungen doch schließlich mehr Leute um ihre Arbeit gebracht hätten und dass sie ihre Interessen doch nicht mit dem Profit ihres Arbeitgebers verbinden solle.

Das Bild des entnervten, in Sprachfehler fallenden Tsipras war alles andere als positiv für die Regierung. Daher wurde bei der Sendung einer Wiederholung der Fragen am Abend vom staatlichen Sender ERT nur ein Zusammenschnitt von Tsipras Antwort - jedoch ohne Frage der Journalistin gesendet.

Ein Gesundheitsminister führt einen Privatkrieg über Facebook

Vizegesundheitsminister Pavlos Polakis nahm die Frage Tsikrikas zum Anlass, über Facebook schmähende Kommentare gegen die Dame zu posten. Er begleitete diese mit Fotos, welche die Journalistin mit Politikern der Nea Dimokratia oder der PASOK zeigen. Dabei unterschlug er, dass die Journalistin auf ihrer persönlichen Facebook-Seite neben diesen Fotos auch zahlreiche Aufnahmen mit Tsipras und Co. hat. Bei den griechischen Journalisten herrscht die Unsitte, sich mit führenden Politikern fotografieren zu lassen und diese Aufnahmen dann in sozialen Netzwerken zu posten.

Weil Polakis sie in den Kommentaren auch abfällig als Dienstmädchen und Weihrauchfässchen bezeichnete, hoffte Tsikrika auf Hilfe der formal unabhängigen Antidiskriminierungsbehörde - ohne Erfolg. Die Behörde wird von einer früheren SYRIZA Abgeordneten geleitet.

Polakis hörte jedoch nicht auf mit seinem persönlichen Rachefeldzug. Er bezeichnete die Aufnahmen, die Tsikrika mit Alexis Tsipras zeigen, als Fotomontage.

Die Journalistengewerkschaft ESIEA, die bis vor kurzem eher regierungsnah agierte, stellte sich entschlossen hinter die Journalistin und beharrt darauf, dass eine Senderlizenz an arbeitsrechtliche, journalistische und pluralistische Bedingungen geknüpft werden sollte und dass die Regierung keine Arbeitslosen produzieren sollte.

Staatsminister Nikos Pappas hingegen verteidigte seinen Freund und Premier in einem Radiointerview im Parteisender Kokkino. Er beklagt, dass er selbst zur Zielscheibe der Journalisten, welche ihren Arbeitgebern dienen würden, geworden wäre.

Als wäre diese Aufregung um die Pressewelt, die selbst zur Nachricht wurde, nicht genug, gab es am Dienstag den nächsten, der Regierung angelasteten Fauxpas. Traditionell halten sämtliche Vorsitzenden der im Parlament vertretenen Parteien bei der Messe von Thessaloniki eine Rede mit anschließender Pressekonferenz. Die Übertragung dieser Reden und der Pressefragen ist eine der Verpflichtungen des staatlichen Rundfunks, der das Exklusivrecht hat.

Während die Rede des Generalsekretärs der rechtsradikalen Goldenen Morgenröte, Nikos Michaloliakos, komplett übertragen wurde, wurde die Übertragung der Vorsitzenden der PASOK, Fofi Gennimata, jäh gestoppt. Gennimata, die angesichts Tsipras Schwenk nach rechts versucht, die PASOK links von SYRIZA zu positionieren, sieht hinter diesem Affront offenbar einen Komplott der Regierung. Es ist das erste Mal, dass so etwas geschah. Die Übertragung von Gennimatas Rede wurde auch nicht nach dem Ende der zur Unterbrechung eingeschobenen Nachrichtensendung fortgesetzt.

Am Freitag steht nun die Entscheidung des obersten Gerichts, zur Verfassungsmäßigkeit der von Pappas initiierten Lizenzvergabe auf dem Plan. Nicht auszudenken, was geschieht, wenn die Richter dem Verfahren keinen Segen geben. Weil nun aber der Premier in Thessaloniki erklärte, dass es keine Chance gäbe, dass das Gericht gegen die Lizensierung entscheiden würde, spinnt die einheimische Presse bereits die Geschichte über eine Einflussnahme der Regierung auf die Justiz. Es bleibt surreal in Griechenlands Politik und Pressewelt.