Schulden als "Werkzeug zur Beherrschung" abbauen

Die Linksregierung in der spanischen Hauptstadt reduziert die Schuldenlast stark, während sie die konservative Regionalregierung weiter deutlich steigert

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Hartnäckig hält sich das Vorurteil, dass konservative Regierungen in Krisenländern die Finanzen mit eiserner Disziplin auf Vordermann bringen und Linksregierungen dann die Schulden mit einer angeblichen Ausgabenwut wieder massiv steigen lassen. Das wird immer wieder auch in Bezug auf Portugal vorgebracht, weil die Linksregierung den Austeritätskurs aufgegeben hat. Deshalb sieht Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble das Land bald schon wieder unter dem Rettungsschirm. Beim Starren aufs Defizit wird meist ausgeklammert, dass die Schulden in konservativen Regierungsjahren explodiert sind, die der Linksregierung zudem im Bankensektor sehr teure faule Eier hinterlassen hat.

Im spanischen Nachbarland ist nun genau das Gegenteil von dem zu sehen, was landläufig oft behauptet wird. Dort zeigt die von Podemos (Wir können es) gestützte linke Bürgerkandidatur "Ahora Madrid" (Madrid Jetzt), wie man Schulden sogar in kurzer Zeit deutlich und auch Steuern für die einfache Bevölkerung reduzieren kann. Das Bündnis konnte im Mai 2015 die konservative Volkspartei (PP) aus dem Rathaus werfen und damit deren Austeritätspolitik – die letztlich auch nicht sparsam war - beenden.

Jetzt liegen auch offizielle Zahlen vor, die kaum aussagekräftiger sein könnten. Der linken Madrider Bürgermeisterin Manuela Carmena ist es nach Angaben der spanischen Zentralbank in der am höchsten verschuldeten spanischen Metropole gelungen, in nur einem Jahr die Schulden um fast 1,1 Milliarden Euro oder fast 20 % zu senken. Nach Angaben der Banco de España beliefen sie sich Ende Juni nun noch auf 4,6 Milliarden Euro. Die Stadtregierung kommt also beim geplanten Schuldenabbau mit großen Schritten voran. Statt eines Defizits wies Madrid am Jahresende einen Überschuss von 511 Millionen Euro aus.

Ganz im Gegensatz dazu verläuft die Entwicklung in der Region Madrid, einem Bundesland ähnlich, in der die Hauptstadt liegt. Dort gelang es der Linken nicht, der PP die Macht zu nehmen. Mit Unterstützung der rechtsliberalen Ciudanos regiert sie dort unter ihrer Regionalpräsidentin Cristina Cifuentes weiter. Und statt zu sinken, steigen dort auch die Schulden der Region munter weiter. Sie nahmen im gleichen Zeitraum um drei Milliarden oder fast 12% zu. Dabei profitiert auch die Region von den derzeit extrem niedrigen Zinsen aufgrund der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), welche die Leitzinsen praktisch auf null gesenkt hat und zudem massiv Anleihen aufkauft.

Privatisierungen sind nicht billiger oder effizienter

Dass die Schulden in Hauptstadt sinken, ist kein Zufall, dahinter steht Methode. Es handelt sich vor allem um die Umsetzung von Wahlversprechen. Im Wahlprogramm wurde ausgeführt, dass die Konservativen nach Jahrzehnten nicht nur riesige Schulden hinterlassen hätten, sondern auch eine Stadt, "in der das Gemeinwohl dem Interesse einiger weniger geopfert wurde, mit enormen Ungleichheiten und einem zerschlagenen öffentlichen Dienstleistungswesen".

Die Tatsache, dass in der Stadt "Meter um Meter, Ecke um Ecke" unter Privatfirmen aufgeteilt wurde, sei eben nicht billiger oder effizienter. Dabei konnte sich das Bündnis auch auf eine Studie des Rechnungshofs berufen. Etabliert habe sich nur ein "allgemeines Korruptionssystem", wird an die vielen Verfahren gegen die PP und ihre Mitglieder erinnert, aber der Reichtum werde nicht "zum Wohlstand der Bürger" eingesetzt.

Per "Bürgeraudit" bringt man unter Rückgriff auf einfache Bürger zu hohe Kosten bei Bauvorhaben, Wartungs- und Dienstleistungsverträgen, Anmietungen, Krediten, etc. ans Licht. Es wird auf strafrechtliche Verstöße geprüft, aber Verträge und Kreditzinsen werden auch neu ausgehandelt, statt weiter zu privatisieren und Stellen und Sozialleistungen zu streichen. Das hat die PP lange erfolglos getan, wobei die Schulden doch nur weiter stiegen. Aber die Proteste dagegen – von denen gegen Ahora Madrid nichts zu hören ist – haben ihr schon in vielen Städten und Regionen die Macht gekostet.

Nicht verlängert wurden zum Beispiel Verträge mit Ratingagenturen. Allein 1,2 Millionen sind in zehn Jahren an die geflossen. Doch das blieb nicht ohne Reaktion von deren Seite. Trotz sinkender Schulden, drohte Standard & Poor's (S&P) mit einer Abstufung der Stadt auf "Ramsch". Das sagt wenig über die Finanzsituation der Hauptstadt aus, sondern viel über die Qualität der Bewertungen. Portugal wird zum Beispiel von allen großen Ratingagenturen so eingestuft, nur die kleine kanadische Agentur DBRS schert bisher noch aus.

Doch der für Finanzen im Linksbündnis zuständige Carlos Sánchez Mato nahm auch die Drohungen von S&P gelassen hin. Der Ökonom und Mitglied der Vereinten Linken (IU) erklärte, man brauche ohnehin kein Rating mehr, weil man keine Schulden mehr aufnehmen werde. "Wir werden unsere Politik aus den Steuereinnahmen bezahlen", sagte der Stadtrat für Wirtschaft und Finanzen gegenüber dem Deutschlandfunk, der die Aussagen in einem sehr hörenswerten Hörspiel verwendet hat.

Befreiung aus der Schuldenabhängigkeit

Die Zahlen der Zentralbank bestätigen eine erfolgreiche Politik, in der die Bürger eng eingebunden sind. Sie kennen sich in ihrem jeweiligen Viertel aus und wissen, ob ein Projekt nötig oder überdimensioniert ist. Eine klare Absage wird Großprojekten erteilt, wie die erfolglosen Olympia-Bewerbungen, die die Stadt sehr viel Geld gekostet haben. Helfen können auch Experten, die einst als Buchhalter oder Beamte gearbeitet haben und nun arbeitslos oder pensioniert sind.

Für Sánchez Mato ist es wichtig, sich insgesamt aus der Schuldenabhängigkeit zu befreien, wozu sich Madrid in einer guten Lage befände. Keine Schulden machen zu müssen, bringe die grundlegende Fähigkeit zurück, politisch zu handeln. Jeder öffentlichen Institution sollte eines heilig sein: "Unabhängigkeit gegenüber Druck, der auf ihre politischen Handlungsmöglichkeiten ausgeübt wird." Schulden seien "ein Werkzeug zur Beherrschung der Völker", bekräftigt er immer wieder. Allerdings sei der Schuldenabbau auch nicht allerhöchste Priorität in Madrid, das seien nämlich die Bürger und ihre Bedürfnisse. Angestoßene Sozialprogramme stünden an erster Stelle.

Auch wenn der Handlungsspielraum von Staaten eingeschränkt sei, die anders als Madrid auf neue Schulden angewiesen sind, sei der Umgang damit aber vor allem eine Frage des politischen Willens. "Sie müssen den politischen Willen dazu haben und nicht diese Unterordnung, diese Hörigkeit zeigen, weil sie Finanzierung brauchen."

Madrid zeigt, dass durchaus Sparpotential vorhanden ist, das aber an anderen Stellen zu finden ist, als dort, wo Politiker gerne die Schere ansetzen. Und Madrid, wo die Sozialdemokraten die linke Bürgermeisterin stützen, zeigt auch, dass eine linke Alternative für Spanien möglich ist, das seit nun fast neun Monaten nur noch eine geschäftsführende Regierung hat, weil sich der Sozialdemokrat Pedro Sánchez mit Blick auf die Machtverhältnisse in seiner Partei nicht traut, eine Koalitionsregierung mit linken Kräften zu bilden.