Al-Nusra: Vorbereitungen zum nächsten Emirat in Syrien

Die koordinierten Angriffe Russlands und der USA gegen die al-Qaida-Miliz sollten plangemäß die nächsten Tage beginnen

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Die sieben Tage-Frist läuft ab. Die Waffenruhe in Syrien ist seit vergangenen Montagabend, den 12. September, in Kraft. Nach Plan sollte die Arbeit an der Einrichtung eines gemeinsamen russisch-amerikanischen Operationszentrum (Joint Implementation Center - JIC) längst begonnen haben und in den nächsten Tagen einsatzfähig sein.

Dann sollten laut den Vereinbarungen, die Lawrow und Kerry bekannt machten, koordinierte Angriffe auf Gebiete in die Wege geleitet werden, die von der al-Nusra-Front kontrolliert werden. Milizen, die sich selbst zur "moderaten Opposition" zählen und von den Dschihadisten abgrenzen, sollten dies dadurch unter Beweis stellen, dass sie sich klar ersichtlich aus diesen Gebieten zurückziehen. Nur so würden sie von Luftangriffen verschont.

Vorwürfe dominieren

Jüngste Medienberichte zum Stand der amerikanisch-russischen Zusammenarbeit sind nicht optimistisch. Vorwürfe dominieren. US-Außenminister Kerry ließ am vergangenen Freitag über seinen Sprecher John Kirby mitteilen, dass das JIC erst dann ein gerichtet würde, wenn die UN-Konvois mit den Hilfsgütern an den Orten ankommen, wo sie erwartet würden.

Kerry soll laut Kirby mit Lawrow telefoniert und darum gebeten haben, dass der russische Außenminister seinen Einfluss auf die Regierung Assad geltend mache. Laut Aussage des UN-Sondergesandtem de Mistura von vergangener Woche fehlen die amtlichen Passierscheine.

Al-Nusra-Front, Bild: Propagandamaterial

Russia Today berichtet über Vorwürfe aus dem russischen Verteidigungsministerium gegen die USA wegen eines Luftangriffs auf eine Stellung syrischer Truppen in Deir ez-Zor mit über 60 Toten (Link auf 49454). Laut Reuters haben sich auch der syrische UN-Botschafter und der Sprecher des iranischen Außenministeriums der Kritik am militärischen Vorgehen der USA angeschlossen.

Je nach Perspektive werden bestimmte Aspekte hervorgehoben. So bestätigt der RT-Bericht das Narrativ der Zusammenarbeit der USA mit dem IS aufgrund der militärischen Vorteile, welche die IS-Milizen aus dem Angriff der USA zogen. Als Hinweis dafür gilt ein Angriff des IS, der auf den Luftangriff folgte.

Allerdings gehört zum größeren Bild, dass die Stellung der syrischen Armee in Deir ez-Zor sich in einer Zone befindet, die seit langem vom IS kontrolliert wird. So kann nicht ausgeschlossen werden, was von amerikanischer Seite geäußert wurde: Dass der Angriff einem Versehen geschuldet ist.

Diese Sicht, die auf das Vorkommen von friendly fire im Krieg verweist (übrigens auch auf russischer Seite), vertreten in diesem Fall auch Beobachter, die den USA seit Jahren kritisch gegenüberstehen.

Brüche der Waffenruhe

Das Gebiet um die syrische Stellung in Deir ez-Zor ist, weil es vom IS-beherrscht wird, von der Waffenruhe ausgeschlossen. Der gewollte oder ungewollte Pfusch reiht sich allerdings in eine Serie von Meldungen, die von mehreren Brüchen der Waffenruhe berichten, so etwa die syrische Nachrichtengentur Sana oder die syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London (SOHR)

Deren Meldungen werden wie üblich von westlichen Nachrichtenagenturen weiter verbreitet: Reuters berichtet von Luftangriffen auf Aleppo am Sonntag.

Dschihadisten in Syrien. Foto: Propagandamaterial

Die Waffenruhe steht auf sehr dünnem Boden und ist leicht zu sabotieren, wie bereits im Vorfeld von vielen Seiten angemahnt wurde. Bekannt ist zudem, dass auch US-Militärs nicht gerade große Begeisterung für die Zusammenarbeit mit dem russischen Militär äußerten.

Für den Erfolg entscheidend ist, wie groß der Einfluss und der Wille in Washington und bei seinen Nahost-Partnern auf die Oppositions-Milizen ist. Sieht man sich ein aktuelles BBC-Video, in dem ein in der englischen Sprache sehr versierter Vertreter der al-Nusra-Front zur Lage referiert, so ist es um die Hoffnungen auf ein Gelingen der amerikanische-russischen Abmachungen sehr schlecht bestellt.

Al-Nusra: Der Machtsanspruch

In seinen von einigem Selbstbewusstsein getragenen Ansagen erklärt der al-Nusra-Mann, dass die Gruppe unter neuem Namen mit allen Gruppen verbunden sei und Trennungen unmöglich seien. Für ihn sind die USA mit der Abmachung klar auf der Seite des Feindes der "Revolution", wodurch es unmöglich sei, sich diesen Abmachungen anzuschließen.

Das ist eine eindeutige Warnung an die FSA-Gruppen, ausgesprochen von der militärisch stärksten Fraktion der Gegner Assads. Sie würden zum Verräter. Die Drohung bekommt noch dadurch Gewicht, dass der al-Nusra-Sprecher von einer neuen großen Allianz der Revolution spricht, die gerade gebildet würde. Die Abtrünnigen würden sich also einer größeren Front gegenüber sehen.

Der Nusra-Vertreter betonte das neue Mantra der Jabath Fatah al-Sham, wonach man engstens mit der syrischen Gesellschaft verwachsen sei (Syrien: Erste märchenhafte Effekte der US-russischen Abmachung). Das Argument ist raffiniert. Es spiegelt die Argumentation derjenigen, die sagen, lieber ein Syrien mit Assad, weil dessen Baath-Regierung eng mit dem Staat verwachsen ist und ein Regime-Change Syrien zum nächsten failed state machen würde.

Und es baut auf eine Tradition islamistischer Gruppen, die mit sozialen Hilfsleistungen und mit dem Versprechen einer stabilen Ordnung versuchen, Hearts and Minds zu erobern. Das ist allerdings auch eine Methode, mit der die Mafia und andere Verbrecherorganisationen Stadtviertel unter Kontrolle halten.

Für Viertel-Bewohner, in deren Häuser die Gewalttäter "frei verkehren", wie dies der al-Nusra-Vertreter betont, ist es eine schiere Überlebensfrage, ob man es sich leisten kann, sich mit der Macht im Stadtviertel anzulegen. Eine Flucht ist doppelt risikant, einmal wegen der al-Nusra-Grenzwächter und zum anderen wegen der Skepsis auf der anderen Seite, wo die Überläufer für Spione gehalten werden können.

Der Machtanspruch der al-Nusra ist unverkennbar und die al-Qaida-Dschihadisten verstehen es geschickter, ihm eine Tarnkleidung zu verpassen, als der IS. Der britische Economist, der zu Syrien oft unkritisch die Perspektiven und Interessen der Playbooks in Washington und in London widergibt, zeigt sich im Fall al-Nusra doch mal wieder wach.

Er warnt vor der Errichtung eines nächsten Emirats in Syrien, diesmal von der Nusra-Front, mit mehr Pragmatismus und gefährlicher als der IS.

Auch die Öffentlichkeitsarbeit, die ganz auf die Revolution setzt und das interne Stichwort vom "syrischen Dschihad" gar nicht erwähnt, ist ausgeklügelter, wie das erwähnte BBC-Interview zeigt. Nichts von dem wird erwähnt, was die Kampfstimmung der Dschihadisten tatsächlich trägt und wie sie angefeuert wird, zum Beispiel mit Hass auf Schiiten. Das wird nur angedeutet, indem man den Feind Iran erwähnt. Vor Monaten warnte der Experte Charles Lister - eng mit der syrischen Opposition verbunden -, vor dem Wolf im Schafspelz (Studie: Al-Nusra-Front langfristig gefährlicher als IS).