Wenn die Handynummer das Todesurteil bedeutet

Reaper-Drohne. Bild: DoD

Allein mit einer Handynummer könne eine Drohne nicht orten und töten, sagt die Bundesregierung - und damit wohl die Unwahrheit

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Als die Rakete einschlug, waren Bünyamin Erdoğan und Shahab Dashti gerade mit dem Abendessen fertig. Auf einem Gehöft im pakistanischen Ort Mir Ali hatten sie sich an diesem Abend mit anderen Dschihadisten getroffen, bis eine amerikanische Drohne ihr Leben und das von fünf anderen Männern beendete (Der Tag, an dem Bünyamin starb).

Aus amerikanischer Perspektive war der Drohnenangriff am 4.Oktober 2010 nichts Besonderes: Zu häufig schlagen hier im pakistanischen Waziristan die Hellfire-Raketen der Drohnen ein. Aus deutscher Perspektive war der Angriff hingegen ein Novum: Denn Bünyamin Erdoğan und Shahab Dashti waren Deutsche. Erdoğan stammte aus Wuppertal, Dashti aus Hamburg. Und noch etwas sollte den Fall in Deutschland in den nächsten Jahren zum Politikum machen: Es waren wahrscheinlich deutsche Behörden, die die USA auf die Spur der beiden gebracht hatten. Nur einen Tag vor dem Angriff hatte der Bundesverfassungsschutz die Handynummer Erdoğans an die USA weitergegeben.

Sind deutsche Behörden Mitschuld an der außergerichtlichen Ermordung deutscher Bürger? Diesen Vorwurf streiten Bundesregierung und Verfassungsschutz seit Jahren ab (Leistet Deutschland Beihilfe für den US-Drohnenkrieg?). Ihre Begründung: Allein die Weitergabe einer Handynummer reiche nicht aus, um Menschen zu lokalisieren (Bundesregierung: Augen zu und durch). Doch sechs Jahre nach der Tötung der beiden bricht diese Verteidigungsstrategie nun in sich zusammen.

Lokalisierung bis auf 5 Meter genau

Amerikanische Kampfdrohnen können allein mit Hilfe einer Handynummer eine Person auf wenige Meter genau orten. Zu diesem Ergebnis kommt der Hamburger Informatikprofessor Hannes Federrath in einem Gutachten für den NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages. In dem Gutachten, das netzpolitik.org am Dienstag veröffentlichte. Federrath beschreibt dort, wie amerikanische Drohnen unabhängig von lokalen Netzbetreibern und ohne die Unterstützung durch GPS-Ortung Handys lokalisieren können.

Dazu gebe sich die Drohne gegenüber dem Handy als eigener Handymast aus. "Die konkrete Ausgestaltung des Mobilfunkverkehrs in den Ländern Afghanistan, Pakistan, Jemen und Somalia während des Untersuchungszeitraumes ist für die hier beschriebene Lokalisierung mittels IMSI-Catcher bedeutungslos", schreibt Federrath. Auch das Mitschneiden von Telefonaten sei dadurch möglich.

Für die Ortung eines Handys reiche schon eine Telefonnummer, die Gerätenummer oder Sim-Kartennummer aus. Federrath schreibt, Telefonnummern sei "unter günstigen atmosphärischen Bedingungen als einzige technische Daten ausreichend, um eine Fernlenkwaffe mit einem tödlichen Radius von 5 m mit hinreichender Treffergenauigkeit für eine gezielte Tötung einsetzen zu können". Und weiter: "Die auf Drohnen eingesetzten Methoden zur autonomen Lokalisierung erlauben je nach Einsatzbedingungen aus einer Höhe von 2 km die Lokalisierung mit einer Genauigkeit von 5 m bis 35 m." Das heißt: Je näher die Drohne, desto besser die Ortung. Dabei seien zwar zusätzliche Informationen hilfreich, "aber für eine hinreichend genaue Ortung nicht notwendig".

Verfassungsschutz und Bundesregierung hatten Ortung durch Handynummern stets abgestritten

Damit widerspricht das Gutachten der Darstellung von Bundesregierung und Verfassungsschutz, die in der Vergangenheit immer wieder versicherten, dass die Weitergabe von Handy-Daten an die USA nicht für den Drohnen-Krieg verwendet werden könnten. Noch im Juni dieses Jahres hatte dies Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen versichert.

Bei einer Anhörung vor dem NSA-Untersuchungsausschuss sagte Maaßen, seine Mitarbeiter hätten solche Daten "mit gutem Gewissen und im vollen Bewusstsein übermittelt, dass sie nicht zur Geolokalisierung verwendet werden und auch nicht verwendet werden können". Sie hätten "im Glauben gehandelt, nicht an den Drohnenneinsätzen der USA mitzuwirken". Ähnlich hatte sich an gleicher Stelle der Maaßens Amtsvorgänger Heinz Fromm geäußert.

Einen Monat später schloss sich auch das Innenministerium dieser Auffassung an. Ebenfalls vor dem NSA-Untersuchungsausschuss stritt Stefan Kaller, Abteilungsleiter für Öffentliche Sicherheit im Innenministerium, einen Zusammenhang zwischen Handy-Daten und Drohnenangriffen ab.

Verdächtige Dienstanweisung aus dem Innenministerium

Dass genau dieser Zusammenhang besteht, hatte an gleicher Stelle allerdings schon ein Jahr zuvor der amerikanische Whistleblower Brandon Bryant erklärt. Im Oktober 2015 berichtete der ehemalige Drohnenpilot vor dem NSA-Untersuchungsausschuss nicht nur von der tödlichen Kraft von Handynummern, sondern bestätigte auch, dass Informationen deutscher Behörden bereits in mehreren Fällen zur Tötung von Zivilisten geführt hätten.

Dass dies trotz aller gegenteiligen Bekundungen dieser Zusammenhang auch der Bundesregierung schon lange bekannt gewesen sein dürfte, zeigt auch der Fall von Bünyamin Erdoğan und Shahab Dashti. Am 24. November 2010 und damit nur sechs Wochen nachdem die beiden Deutschen auf Basis von Informationen deutscher Behörden getötet wurden, kursierte im Innenministerium ein Schreiben. In dem Erlass forderte der damalige Leiter des Referats "Ausländerterrorismus und Ausländerextremismus" und heutige Bundespolizei-Chef Dieter Romann den Verfassungsschutz auf sicherzustellen, dass mit Daten, die an befreundeten Nachrichtendiensten weitergegeben werden, keine Personen mehr lokalisiert werden könnten.