Erdogans deutsches Spitzel-Netzwerk

Logo des türkischen Geheimdienstes MIT. Bild: Hamed13931394/CC-BY-SA-4.0

Rund 6000 Informanten des türkischen Geheimdienstes sollen in Deutschland aktiv sein. Oppositionelle Gruppen und auch deutsche Politiker sehen eine besorgniserregende Entwicklung

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Die Geheimdienst-Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Türkei ist eng - zu eng, wie sich inzwischen herausstellt. Rund sechshundert Agenten des türkischen MIT sollen in Deutschland aktiv sein, darüber hinaus bis zu 6000 Informanten. Das wurde Ende August bekannt. Oppositionspolitiker forderten Auskunft, aber das Innenministerium mauerte.

Das ist besonders deshalb brisant, weil BND, Verfassungsschutz und Polizei seit Jahren mit den türkischen Behörden kooperieren, während nun Gegner der Regierungspartei AKP auch hierzulande bedrängt werden. Die AKP hatte offen dazu aufgerufen, Anhänger von Fethullah Gülen, den sie für den Putschversuch vom Juli verantwortlich macht, zu denunzieren. Vereinzelt war es zu Angriffen auf Gülen-Einrichtungen gekommen.

Bereits Ende 2014 hatte eine deutsch-türkische Spionageaffäre Schlagzeilen gemacht. Damals hatte die Bundesanwaltschaft Klage gegen drei MIT-Agenten erhoben, die in Deutschland Jeziden und Kurden bespitzelt haben sollen. Besonders brisant: Unter ihnen war auch Muhammed Taha Gergerlioglu - ein ehemaliger Berater Erdogans.

Von den aktuellen Zahlen zeigte sich auch Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom im Gespräch mit dem Deutschlandfunk überrascht und sagte, nicht einmal die CIA hätte so viele Spitzel. Eenboom fordert eine entschlossene Reaktion, die Bundesregierung müsse "auf internationaler Ebene mit den Türken das nachrichtendienstliche Kooperationsverhältnis brechen. Und sie muss auf europäischer Ebene eine konzertierte Aktion einleiten, um diesen Machtbestrebungen des türkischen Nachrichtendienstes Grenzen zu setzen."

Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele kommentierte: "Das kann natürlich und das darf auf gar keinen Fall sein, dass Menschen in Deutschland, möglicherweise auch welche, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben, vom türkischen Geheimdienst unter Druck gesetzt werden, dass sie bedroht werden hier durch den türkischen Geheimdienst. Wenn sowas passiert, dann muss das verfolgt werden."

Auch Ströbele fordert eine Reaktion der Bundesregierung. Tatsächlich wissen viele Vertreter oppositioneller Gruppierungen - nicht nur die Gülen-Anhänger - von zunehmender Hetze und Drohungen in den letzten Monaten zu berichten.

"Das ist nur die Spitze des Eisbergs"

"Die Entwicklung im Moment erinnert mich fatal an die Zeit nach dem Putsch 1980, wo auch in Deutschland politisch denkende Menschen aus der Türkei bespitzelt und denunziert wurden", sagt die SPD-Politikerin Lale Akgün. "Es gab so eine Stimmung des Misstrauens, weil man nie wusste, wer Spitzel war und wer nicht. Gerüchteweise wurde kolportiert, dass unter den politischen Flüchtlingen auch Spitzel aus der Türkei gekommen seien. Das Regime erreichte auch auf dieser Ebene sein Ziel: viele schwiegen aus Angst. Ich fürchte, auch dieses Mal wird es so sein."

Zum Schweigen gebracht wurde auch die Gülen-nahe Tageszeitung Zaman. Die türkische Ausgabe wurde bereits im Frühjahr verstaatlicht und nach dem Putschversuch vom 15. Juli dann ganz geschlossen. Die deutsche Redaktion stellt zum 30. November ihre Arbeit ein - zumindest für die Printausgabe. Begründet wird dieser Schritt mit Einschüchterungen und Drohungen sowohl gegen einzelne Redakteure als auch gegen Abonnenten der Zeitung.

Yilmaz Karaman von der Alevitischen Gemeinde Deutschland mit Sitz in Köln zeigt sich ebenfalls besorgt. "Schon im Rahmen der Demonstrationen gegen die AKP, die wir seit 2013 mitorganisiert haben, gab es Drohanrufe und Drohbriefe, die wir der Polizei gemeldet haben. Aber in den letzten Monaten ist es schlimmer geworden. In den Sozialen Netzwerken kommt gezielte Hetze gegen Einzelpersonen hinzu, oder auch gegen Aleviten, die Betriebe haben, etwa kleine Imbisse oder Supermärkte. In NRW musste deswegen ein Betrieb schließen, weil die Familie so sehr unter Druck stand. Wenn sich jemand kritisch äußert gibt es binnen Minuten schon oft hunderte ähnlich formulierte Kommentare. Hauptsächlich Hetze und Beschimpfungen. Das geschieht bundesweit."

Die Nachrichten über das Netzwerk von MIT-Agenten in Deutschland hat Karaman nicht überrscht. "Die Zahl von 6000 ist erschreckend, aber ich glaube, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist", sagt er. "Die ganze türkische Vereins- und Verbandslandschaft hat Verbindungen nach Ankara, darüber hinaus gibt es viele Menschen, die nicht unbedingt für den MIT arbeiten, sich aber trotzdem beteiligen, eben indem sie auf Kritiker und Andersdenkende Druck ausüben."

Das sieht Mehmet Tanriverdi, stellvertretender Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland, ähnlich: "Wir waren nicht überrascht, als es aus dem Innenministerium hieß, dass MIT-Agenten in Deutschland aktiv sind, überrascht hat uns nur die sehr hohe Zahl. Man muss auch sehen, wie die türkische Gemeinde, die stärkste Migrantengruppe in Deutschland, organisiert ist. In den DITIB-Moscheen arbeiten als Imame über eintausend türkische Staatsbeamte. Turkish Airlines ist ein staatliches Unternehmen, es gibt türkische Banken - der türkische Staat lässt dort nicht irgendwen arbeiten. Wir sind sicher, dass dort auch MIT-Agenten aktiv sind, auch in anderen Vereinen wie etwa Boxclubs. Wir werden sehr genau beobachten, was das deutsche Innenministerium dazu noch herausfindet."

"Hass und Hetze in den Sozialen Medien"

Auch Tanriverdi weiß von Repressionen zu berichten: "Wir sind auch persönlich betroffen. Gegen mich und unseren Vorsitzenden Ali Ertan Toprak wurden Einreiseverbote verhängt, vermutlich wegen unserer kritischen Haltung. Aber es sind ja, siehe Besuche auf der Militärbasis Incirlik, auch Bundestagsabgeordnete betroffen. Hinzu kommt, das wir seit dem Putschversuch im Juli sehr viel Post bekommen, auch per Mail und in den Sozialen Medien erreichen uns Hass und Hetze."

Letztlich erinnert das an die Lage in der Türkei selbst, wo man in den Sozialen Netzwerken vergleichbare Dynamiken beobachten kann. Davon abgesehen, dass man heutzutage Gefängnis riskiert, wenn man sich kritisch äußert, wird jede Meinung, die nicht auf AKP-Linie ist, stets rasch von zahllosen Stimmen niedergebrüllt. Diskussionen sind mit den AKP-Trollen in der Regel nicht möglich - und sollen es wohl auch nicht sein. Es geht vielmehr darum, ein ständiges Bedrohungszenario aufzubauen.

Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Die Linke) fordert die Bundesregierung auf, die MIT-Agenten aus Deutschland auszuweisen: "Dass mittlerweile 6.000 Mitarbeiter des MIT mit 500 Führungsoffizieren Einfluss auf die türkischsprachige Community in Deutschland nehmen, veranschaulicht nachdrücklich, wie sehr der autoritäre Staatschef in Ankara seinen Einfluss auf die Politik in Deutschland ausgeweitet hat. Erdogan-kritische Medien wie die Zeitung 'Zaman' stellen ihr Erscheinen auch in der Bundesrepublik ein, weil nicht mehr nur die Mitarbeiter, sondern zunehmen auch die Leser systematisch bedroht werden. Bundeskanzlerin Merkel darf zu derlei Angriffen Ankaras nicht schweigen. Erdogans Agentennetz in Deutschland muss zerschlagen werden. Die enge Kooperation mit der türkischen Polizei und den türkischen Geheimdiensten muss sofort beendet werden", schreibt sie auf ihrer Website.

Das Verhältnis zur türkischen Regierung wird für Berlin, so scheint es, täglich zu einer größeren Belastung.