Drohnen-Opfer: Alle sind gleich, manche sind gleicher

Predator-Drohne über Südafghanistan. Bild: USAF

Während die Familie eines italienischen Opfers eine Entschädigung in Millionenhöhe erhält, gehen nicht-europäische und -amerikanische Opfer in der Regel leer aus

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In der vergangenen Woche gab die US-Regierung bekannt, der Familie des Drohnen-Opfers Giovanni Lo Porto eine Entschädigungssumme von insgesamt 1,2 Millionen Dollar zahlen zu wollen. Der 37-jährige Lo Porto, ein italienischer Entwicklungshelfer, wurde im vergangenen Jahr durch einen Drohnen-Angriff in der pakistanischen Region Waziristan getötet. Opfer des damaligen Angriffs wurde auch der 73-jährige US-Amerikaner Warren Weinstein.

Lo Porto und Weinstein wurden zum damaligen Zeitpunkt von Al-Qaida nahestehenden Kämpfern als Geiseln festgehalten. Die Familie Lo Portos bestätigte die Auszahlung der Summe und hob hervor, sie nicht als Entschädigung zu betrachten, sondern als Zugeständnis. Ob die Familie Weinsteins ebenfalls in irgendeine Art und Weise finanziell entschädigt wird, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht klar.

Selbiges betrifft allerdings auch die zahlreichen anderen Drohnen-Opfer, die weiterhin unerwähnt bleiben. In den allermeisten Fällen sind diese keine Europäer oder US-Amerikaner, sondern Afghanen, Pakistaner, Somalier oder Jemeniten. Auch in anderen Staaten, etwa in Syrien, im Irak oder in Libyen, gehört der Drohnen-Krieg des Weißen Hauses mittlerweile zum Alltag.

Hunderte von Zivilisten wurden bislang getötet

Allein in Pakistan, vor allem in der Region Waziristan, wurden seit 2004 mindestens 3.000 Menschen getötet. Laut dem Bureau of Investigative Journalism (TBIJ), einer in London ansässigen Gruppierung, sind über achtzig Prozent der identifizierten Drohnen-Opfer aus Pakistan Zivilisten. Lediglich vier Prozent von ihnen hatten einen Bezug zu Al Qaida.

Im vergangenen Juli veröffentlichte das Weiße Haus erstmals Zahlenangaben zu zivilen Opfern des Drohnen-Kriegs während der Präsidentschaft Barack Obamas. Demnach hätten von 2009 bis 2015 473 Drohnen-Angriffe in Pakistan, Libyen, Somalia und dem Jemen stattgefunden. Dabei wurden angeblich 2.372 bis 2.581 "terroristische Kämpfer" sowie 64 bis 116 Zivilisten getötet.

Beobachter bezweifeln diese Zählung. Selbst die konservativsten Schätzungen über zivile Drohnen-Opfer übertreffen die Angaben des Weißen Hauses weit. Laut dem TBIJ wird in dem Zeitraum in den besagten Staaten über 800 Zivilisten bei Drohnen-Angriffen der USA getötet (Weißes Haus: Missglückte Transparenz über Drohnenkrieg)

Entschädigt wurden die Opfer allerdings keineswegs. Stattdessen werden sie verdrängt

Als etwa im Jahr 2013 die Familie Rehman, deren Großmutter Momina Bibi von einer US-Drohne in Waziristan getötet wurde, während sie im Garten Okra pflückte, vor dem US-Kongress aussagte, war nahezu der ganze Saal leer. Lediglich 5 der 430 Repräsentanten hielten es für nötig, anwesend zu sein - und das, obwohl die Aussage der Drohnen-Opfer historisch gewesen ist. Sowohl die damals 9-jährige Nabila als auch ihr Bruder Zubair wurden durch den Angriff teils schwer verletzt.

Ein ähnliches Schicksal wurde auch Mohammad Azam zuteil. Im vergangenen Mai wurde Azam, ein Taxifahrer, durch einen Drohnen-Angriff in der pakistanischen Provinz Belutschistan getötet. Das Ziel der Drohne war Azams Passagier, der damalige Chef der afghanischen Taliban, Mullah Akhtar Mohammad Mansour. Aufgrund des Angriffs waren die Leichen der beiden Männer kaum identifizierbar. Mansours Identität konnte erst nach einem DNA-Test, der von der pakistanischen Regierung in Auftrag gegeben wurde, identifiziert werden. Doch während der Taliban die Schlagzeilen dominierte, interessierte sich niemand für Azam.

Für Azams Familie liegt dessen Unschuld auf der Hand. Diese betonte immer wieder, dass Azam keinerlei Verbindungen zu militanten Gruppierungen hatte und wahrscheinlich nichts von der Identität seines letzten Fahrgastes wusste. Da Mullah Mansour völlig unscheinbar und mit gefälschten Dokumenten unterwegs gewesen ist, könnte diese Annahme alles andere als weit hergeholt sein.

Kurz nach Azams Tod füllte dessen Bruder, Mohammad Qasim, einen sogenannten First Investigation Report (FIR) in einer lokalen Polizeistelle in Belutschistan aus. In dem handgeschriebenen Antrag beschreibt Qasim den von seiner Familie dargestellten Sachverhalt. Außerdem macht er die Vereinigten Staaten direkt für die Ermordung seines Bruders verantwortlich.

Tatsächlich unterscheidet sich der Fall Lo Porto (und Weinstein) kaum vom Fall Azam. In beiden Fällen hielten sich die Opfer in unmittelbarer Nähe zu vermutlichen Zielen - Al-Qaida-Kämpfern einerseits und Taliban-Chef andererseits - auf und wurden deshalb getötet. Außerdem machen die Sachverhalte deutlich, dass in beiden Fällen davon auszugehen ist, dass sowohl Lo Porto als auch Azam keine Verbindungen zu den Extremisten hatten. Sie gingen lediglich ihrer Arbeit nach und befanden sich zur falschen Zeit am falschen Ort.

Dennoch gibt es einen Fall, in dem die Familie des Opfers eine Entschädigung in Millionenhöhe erhält, während der andere Fall vollkommen ignoriert wird. Mohammad Qasim, Azams Bruder, betonte mir gegenüber immer wieder, dass seine Familie aus extrem armen Verhältnissen stamme. Sie könne sich weder einen Anwalt leisten, der ihren Fall repräsentiert, noch auf politische Unterstützung hoffen. Mohammad Azam galt der als Haupternährer seiner Familie. Er hinterlässt eine Frau und vier Kinder.

Es ist gewiss nicht falsch zu behaupten, dass in diesem Fall auch Rassismus eine Rolle spielt. Bereits vor Monaten hat sich der US-Präsident, der in jedem einzelnen Drohnen-Angriff als Täter zu betrachten ist, persönlich bei der Familie Lo Porto für den Verlust ihres Sohnes entschuldigt. Und nun erhält die Familie dieses weißen, europäischen Mannes eine Millionensumme. Auf beides können all die zahlreichen anderen Drohnen-Opfer, die weiterhin gesichts- und namenlos bleiben werden, nicht hoffen.