Aleppo: UN-Sicherheitsratssitzung beendet Hoffnungen

Russlands Vertreter hält Wiederherstellung der Waffenruhe für "praktisch unmöglich". De Mistura fordert wöchentliche 48-stündige Feuerpausen wie vor dem US-russischen Deal

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Die Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates am Wochenende beendete die Hoffnung darauf, dass die russische-amerikanische Vereinbarungen wiederbelebt werden könnten. Die Interessen und Ziele der beiden Großmächte laufen zu weit auseinander, sie sind nicht vereinbar. Der einzige gemeinsame Nenner, auf den sich die Vereinbarung stützte, war der Kampf gegen terroristische Gruppen. Hier tut sich die größte Kluft auf.

Im Moment sieht es nicht danach aus, dass sich Kerry und Lawrow erneut an den Verhandlungstisch setzen, um die US-russische Vereinbarung noch irgendwie zu retten.

Bezeichnend dafür ist der Appell des UN-Sondergesandten für Syrien, Staffan de Mistura. Er plädierte für die Wiedereinsetzung der Waffenruhe. Er forderte eine eine wöchentliche Waffenruhe von 48 Stunden, um Hilfslieferungen nach Aleppo zu bringen und um notwendige Reparaturen an der Strom- und Wasserversorgung durchzuführen.

Das ist, wie man sich erinnert, eine Forderung, die de Mistura und der Koordinator für die Humanitäre Hilfe in Syrien, O’Brien, vor dem US-russischen Plan zur Eindämmung der Kriegshandlungen in Syrien gestellt hatte. Es ist also eine Rückkehr also zu Verhandlungspositionen vor dem Deal.

Churkin: "Kollektive Basis" notwendig

Geht es nach dem russischen UN-Botschafter Churkin, so liegt dem Zurückrudern de Misturas eine realistische Einschätzung zugrunde: Eine Wiederherstellung der Waffenruhe in der Dimension, wie sie die russisch-amerikanische Vereinbarung zum Ziel hatte, sei "praktisch unmöglich". Denn dafür, so Churkin laut Tass, bräuchte es eine "kollektive Basis".

Damit meinte er jenen Teil der Abmachung, der die Separation der bewaffneten Milizen von der al-Nusra-Front und Ahrar al-Sham zum Ziel hatte. Russland sieht diesen Teil nicht erfüllt. Die Milizen machten nicht mit, mehr als zwanzig Milizen erklärten, dass sie nicht mit der Abmachung einverstanden sind. Darunter auch auch die zweitmächtigste Miliz Ahrar-al-Sham.

Der syrische Dschihad. Bild: Screenshot aus einem You-Tube-Video

Aus Sicht Russlands kam von den USA zu wenig Engagement, um eine kollektive Basis mit den Gruppen herzustellen, die die USA als "nicht-terroristisch" von Angriffen verschont sehen wollte. Statt ihre Kampfbündnisse mit al-Nusra zu lösen, zogen sie es vor, bei den al-Qaida-Dschihadisten zu bleiben.

Auch Sympathisanten der Gegner der syrischen Regierung konstatieren, dass der vorgebliche US-Plan, die Opposition in gut und böse zu trennen den genau entgegengesetzten Effekt hatte.Nach Auffassung von Hassan Hassan, der den politischen Interessen der Golfstaaten nahesteht, hatte der Plan, Oppositions-Milizen von al-Nusra abzusondern, "nie eine realistische Chance". Er plädiert letztendlich für eine Zusammenarbeit mit al-Qaida/al-Nusra, wie es Katar schon lange fordert.

Durch das Scheitern der Separation der Gruppen bekam das Misstrauen in Moskau, und in Damaskus sowieso, gegenüber den USA neue Nahrung: Die Waffenruhe wird als Situation interpretiert, aus der die Takfiris und die ihr untergebenen oder von ihre abhängigen Milizen größten Nutzen ziehen, um sich in Ruhe zu konsolidieren.

Die "Freunde Syriens" malen große Bilder

Aus Sicht der westlichen Freunde Syriens, die aus der gemeinsamen Feindschaft zur Regierung al-Assad schöpfen, sieht alles ganz anders aus. Sie kooperieren seit Jahren mit der bewaffneten Opposition und haben deren Radikalisierung mit Geld gefördert, mit Waffenlieferungen und mit fortlaufender Imagepflege in den Medien. Schuld am Schlamassel in Syrien haben den "Freunden" zufolge Russland und die syrische Regierung, weil sie unglaubliche Brutalität über das Land bringen.

Der britische UN-Botschafter, Matthew Rycroft, wirft Russland vor, "Bunker-busting bombs" auf Wohnhäuser im Osten Aleppos abzuwerfen, "Aleppo brennt wieder". Sein französischer Amtskollege, François Delattre, spricht von Verbrechen und wirft Signalnamen und historische Großtableaus in die Diskussion: "Aleppo wird das nächste Sarajevo oder Guernica", die US-Botschafterin bei der UN, Samantha Power, spricht wie Delattre von Barbarei:

Was Russland unterstützt und selbst betreibt ist nicht gegen den Terrorismus gerichtet. Es ist Barbarei.

Dann gibt es noch Boris Johnson, der von Putins Regime spricht, das Assad nicht nur den Revolver reiche, sondern den Revolver manchmal auch selbst bestätigt. Und es gibt den französischen Außenminister Ayrault, der lehrerhaft fordert, Russland möge sich doch endlich aus der Beziehung mit Syriens Regierung "desengagieren".

Wären sie denn mit so viel Eifer dabei, wenn es um Luftangriffe auf Ramadi oder Falludscha ginge, wo die US-Luftwaffe wenig Rücksicht nahm, um die IS-Terroristen zu verschonen, dann würde die Entrüstung wenigstens einen Anstrich von Glaubwürdigkeit bekommen. So dient sie vor allem den politischen Zweck, Russland für das Scheitern einer friedlichen Lösung verantwortlich zu machen.

Die Schlagzeilen und Berichte von der Hölle in Aleppo folgen genau dieser emotionalen Inszenierung und machen sich in ihrer verkürzten Wiedergabe aber nicht einmal mehr die Mühe, die Angriffe der bewaffneten Milizen auf die Stadtteile Aleppos, die von der Regierung kontrolliert werden, zu erwähnen. Eine Kritik am Verhalten und Vorgehen der Oppositionsgruppen, zentral für das Verständnis der russischen und syrischen Verhaltensweisen, kommt in der westlichen Berichterstattung zu Aleppo so gut wie nicht vor.

Hilfslieferungen, Versorgung und Versorgungswege

Das ist eine sträfliche Ignoranz, weil bestimmte Kalküle der Dschihadisten, die mit Hilfslieferungen zu tun haben (die Mafia verteilt, was die Mafia in Besitz nimmt), auch nicht ins Gesamtbild eingefügt werden.

Nicht erwähnt wird auch das Interesse der dschihadistisch-salafistischen Oppositionsgruppen, die sich nie der Waffenruhe verpflichtet fühlten, daran, die Versorgungsstraße unter Kontrolle zu bringen, die für die von ihnen beherrschten Stadtteile von entscheidender Bedeutung ist. In dieser Zone finden seit Wochen Kämpfe statt. Sie sind der Kontext auch zum Angriff auf den Hilfskonvoi.

Zur umkämpften Zone in den südwestlichen Außenbezirken Aleppos gab es heute eine Meldung von der russischen Nachrichtenagentur Tass, wonach syrische Einheiten im Stadtdistrikt Ramousseh nach Minen suchen und sie entfernen. Angedeutet wird, dass dies in Hinsicht auf Hilfslieferungen geschieht, die Ramousseh passieren müssen.

Also hält man in Damaskus und in Moskau daran fest, dass es Hilfslieferungen geben wird. Gestern gab es Hilfslieferungen in vier syrische Städte, nach Madaja und Sabdani in der Nähe der Hauptstadt Damaskus sowie nach Fua und Kefraja in der nordwestlichen Provinz Idlib, meldet die Tagesschau.