Amnesty International: Ungarn misshandelt Flüchtlinge

Ungarisch-serbische Grenze, Aufnahme vom 21. Juli 2015. Bild: Délmagyarország/Schmidt Andrea/CC BY-SA 3.0

Kontrolle heißt nicht Hetze, Einsperren, Jagen und Prügeln von Flüchtlingen und Migranten

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Der Luxemburger Außenminister Jean Asselborn plädierte Mitte September für einen vorübergehenden oder notfalls dauerhaften Ausschluss Ungarns aus der EU. Als Begründung gab er an, dass Ungarn Flüchtlinge "schlimmer behandle als wilde Tiere". Das sei nicht Europa (siehe Asselborn fordert Ausschluss Ungarns aus der EU). Die Replik aus Budapest kam von Ungarns Minister für Soziales und Gesundheit, Zoltán Balog.

"Gefährlicher Typ Europapolitiker"

Er bezeichnete Asselborn - wie auch den EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, der ähnlich reden würde - als "gefährlichen Typ Europapolitiker". Nicht Ungarn, sondern diese beiden Politiker würden den Zusammenhalt in Europa gefährden, geht die Rede von Zoltán Balog.

Gefährlich seien sie, weil Asselborn und Schulz keine Ahnung haben, begründet Balog. Sie würden "weder die Realität kennen noch ein funktionierendes Rezept zur Lösung der Probleme haben, aber dafür aggressiv nach Sündenböcken suchen".

Dazu stellen sich ein paar Fragen. Wie sieht die Realität der Flüchtlinge in Ungarn aus? Was bedeutet der Hinweis auf ein funktionierendes Rezept zur Lösung der Probleme? Welche Rolle sieht die ungarische Regierung für das Land in der EU?

Mit Stöcken und Fäusten verprügelt, mit Fußtritten malträtiert

Am 20. September veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch einen Bericht zur Situation der Flüchtlinge an Ungarns Grenze zu Serbien. Absicht war es, den Auswirkungen neuer Gesetze zum ungarischen "Grenzmanagement" nachzuspüren.

Die Ergebnisse waren deutlich: Flüchtlinge und Migranten würden unter erbärmlichen Bedingungen teilweise wochenlang auf die Entscheidung darüber warten, ob sie nach Ungarn einreisen dürfen. Asylsuchende, die versuchen, illegal über die Grenze zu kommen, würden mit Stöcken und Fäusten verprügelt, mit Fußtritten malträtiert. Seit dem Gesetz vom 5. Juli dieses Jahres werden illegal Eingereiste, die bis zu einer Entfernung von acht Kilometern hinter der Grenze aufgegriffen werden, an die Grenze zurückgebracht.

Die Abschiebungen ("push-backs") zurück nach Serbien sind laut HRW von Rücksichtslosigkeit und Brutalität im Umgang mit den illegal Eingereisten gekennzeichnet. Besonderes Augenmerk legte der HRW-Bericht auf die Situation der Flüchtlinge, die wegen ihres Alters oder Krankheiten geschwächt sind, ohnehin haben die meisten eine lange strapaziöse Route hinter sich.

Die ungarische Regierung bricht alle Regeln

Nicht nur dass menschlicher Umgang anders aussieht, das ungarische Grenzmanagement verstoße auch gegen internationale Vereinbarungen und Gesetze, stellte das HRW fest. Zu diesem Ergebnis kam die Organisation schon zuvor am 13. Juli in einem Bericht über Misshandlungen von Migranten an der ungarischen Grenze zu Serbien:

Im Umgang mit Asylsuchenden, die über Serbien ins Land kommen, bricht die ungarische Regierung alle Regeln. Sie lehnt ihre Ansprüche summarisch ab und schickt sie zurück über die Grenze. (…) Wenn Menschen unerlaubt nach Ungarn einreisen, auch Frauen und Kinder, werden sie brutal geschlagen und zur Rückkehr über die Grenze gezwungen.

Lydia Gall, Balkan- und Osteuropa-Expertin von Human Rights Watch

Grundlage für die Einschätzung der Realität an der Grenze waren Interviews mit "41 Migranten und Asylsuchenden, Mitglieder einer Nichtregierungsorganisation, Mitarbeiter der UN-Flüchtlingsagentur (UNHCR), Menschenrechtsanwälte, Aktivisten, Angestellte des Ungarischen Büros für Einwanderung und Nationalität sowie Beamte der ungarischen Polizei".

Amnesty International: Erbärmliche Regelverstöße an der ungarischen Grenze

Heute legte Amnesty International einen Bericht über die Situation an der ungarisch-serbischen Grenze vor. Unter dem Titel: Gestrandete Hoffnungen werden auf 30 Seiten erneut schwere Vorwürfe gegen das ungarische Grenzmanagement erhoben.

Auch bei AI ist von elenden Bedingungen in den Lagern an der ungarischen Grenze die Rede, wo Flüchtlinge ausharren, bis sie zu dem Kreis von 30 Personen gehören, der täglich in die Transitzonen vorgelassen wird. Dort müssen sie unter Umständen weitere Wochen auf die Entscheidung warten. Das betrifft besonders häufig alleinstehende Männer, manchmal auch unbegleitete Jugendliche. Sie werden auf sehr beengtem Raum in Containern untergebracht.

Auch die Brutalität von Abschiebungen mit Prügeln, mit Hunden, die auf Personen gehetzt werden, die die Grenze illegal überquert haben, kommt, von drastischen Zeugenaussagen unterlegt, erneut auf den Tisch. Das Fazit ähnelt dem oben genannten HRW-Lagebefund:

Ungarn bricht in vielerlei Hinsicht auf ungeheuerliche Weise mit internationalen Menschenrechten, mit Flüchtlingsgesetzen und EU-Regelungen zu Asylverfahren, Aufnahmebedingungen und den Dublin-Regelungen. Die ungarischen Behörden unterminieren jede Vereinbarung, die Rechte der Flüchtlinge und Migranten schützen, damit sie sicher und rechtmäßig in der EU ankommen können, mit Würde behandelt werden und einen faire und individuelle Möglichkeit haben, dass ihr Fall angehört wird

Amnesty International: Stranded Hope

Dieser Bericht gründet sich auf Aussagen von 143 Personen. Dies sind 129 Flüchtlinge und Migranten, darunter 21 Kinder, 41 Frauen und 67 Männer, 7 Behördenmitarbeiter, die für Asylverfahren zuständig sind, 5 Polizisten und 2 Mitglieder von NGOs. Sie wurden in den drei Ländern Ungarn, Österreich und Serbien im August befragt.

Selbst wenn man dem Auswahlprinzip und der teilweise sehr plakativen Aufarbeitung von Amnesty - "Wir flüchten vor dem Krieg, wir flüchten vor dem Schmerz. Warum also behandeln uns die Menschen an der Grenze wie Tiere?" - skeptisch gegenübersteht, so ist das ja nicht der einzige Lagebericht, der auf Misshandlungen von Flüchtlingen und ein auf brutale Abschreckung abgezieltes Grenzmanagement Ungarns hinweist.

Den Nachweis, dass die Vorwürfe aus der Luft gegriffen sind und nicht mit der Realität übereinstimmen, müsste die ungarische Regierung liefern. Wie das auch ein laufendes EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn wegen Asylverstöße verlangt.