Die biologische Uhr tickt - unabhängig vom Lebensstil

Der Jungbrunnen von Lucas Cranach dem Älteren. Bild: gemeinfrei

Wer genetisch Pech hat, stirbt noch früher, wenn die Hypothese einer epigenetischen Uhr zutrifft

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es ist ein schwerer Schlag für die Anti-Aging-Community, die davon ausgeht, dass sich die Lebenszeit durch gesundes Leben und Einhalten bestimmter Regeln verlängern lässt. Wie auch zunehmend in Bezug auf Krankheiten und überhaupt den Lebenserfolg, soll jeder selbst verantwortlich dafür sein, wie lange und wie gesund er lebt. Der Körper ist eine Maschine, die gut gepflegt und ausgelastet werden muss.

Die puritanisch getragene Hoffnung, mit Sport, Diät und anderen Mitteln, die Zeit, Geld und Beharrlichkeit erfordern, das Leben verlängern zu können, ist besonders ausgeprägt in Kalifornien, wo auch der Transhumanismus entstanden ist. Just in Kalifornien, an der University of California, Los Angeles, haben nun Forscher herausgefunden, dass der Lebensstil zumindest bei einer Bevölkerungsgruppe nicht viel zur Lebenserwartung beiträgt, es also möglicherweise nicht so wichtig ist, ob man sich hedonistisch dem Faulenzen und der Völlerei hingibt oder seinem Körper nur bestimmte Lebensmittel einflößt und ihn möglichst viel und anstrengend in Bewegung hält.

Der Biostatistiker Steve Horvath hat schon vor Jahren eine Methode entwickelt, an jeder Zelle feststellen zu können, wie alt sie ist. Die von ihm entdeckte "epigenetische Uhr" basiert darauf, wie die Gene in den Zellen durch bestimmte Marker ausgelesen werden, die bei Zellteilungen weitergegeben werden. An bestimmten DNA-Stellen wird untersucht, ob diese methyliert sind, aus der Häufigkeit der DNA-Methylierung in vielen verschiedenen Zelltypen lässt sich dann das epigenetische Alter einer Person mit relativ hoher Genauigkeit errechnen. Und daraus ergibt sich, dass manche Menschen schneller altern als andere - was eben genetisch festgelegt ist und nichts mit der wie immer auch selbst verantworteten Lebensweise zu tun hat.

"Es gibt Menschen", so sagte Horvath dem Guardian, "die vegan leben, 10 Stunden am Tag schlafen, einen Job mit wenig Stress haben und dennoch früh sterben." Untersucht wurden für die neue Studie Blutproben von 13.000 Menschen aus den USA und Europa. Durch Vergleich des biologischen Alters des Bluts mit dem Lebensalter versuchten die Wissenschaftler die Lebenserwartung vorherzusagen. Auch wenn Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, Krankheitsgeschichte und Gewicht berücksichtigt werden, ließ sich aus der epigenetischen Uhr die Lebensspanne der Menschen vorhersagen. Je höher das biologische oder epigenetische Alter ist, desto eher findet ein früher Tod statt. Besonders betroffen sind 5 Prozent der Menschen, die am schnellsten altern und damit ein durchschnittlich 50 Prozent höheres Todesrisiko haben.

Die kalifornischen Wissenschaftler führen das Beispiel von zwei 60-jährigen Männern an, die rauchen, weil sie unter hohem Stress stehen. Wenn das epigenetische Alter bei einem Mann in den höchsten 5 Prozent liegt, liegt seine Sterbewahrscheinlichkeit in den nächsten 10 Jahren bei 75 Prozent, während sie bei dem anderen Mann 60 Prozent beträgt, wenn sein biologisches Alter im mittleren Bereich liegt. Es können also Menschen jung oder vorzeitig sterben, obwohl sie Sport treiben, nicht rauchen, sich gesund ernähren und wenig Alkohol trinken. Die haben einfach Pech. Aber natürlich schlagen die bekannten Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck oder Diabetes trotzdem durch und erhöhen das Sterberisiko bei allen.

Frauen haben eine höhere Lebenserwartung, auch wenn die Kluft in vielen Ländern enger wurde. Am weiblichen Lebensstil liege dies nicht, meint Horvath. Die unterschiedlichen Lebenserwartungen würden sich schon ab dem Alter von 5 Jahren zeigen. Im Alter von 40 Jahren kumulieren sich die Unterschiede bereits in einem Unterschied von 1 bis 2 Jahren der Lebenserwartung.

Aber auch wenn das Altern in den Genen liegt, ist es kein Schicksal, sagen die kalifornischen Wissenschaftler. Klar, wenn man die Ursachen kennt, könnte man diese beeinflussen, was nicht über den Lebensstil zu beeinflussen wäre, sondern durch gezielte pharmakologische Behandlung. Die biologische Uhr wäre allerdings nicht nur für Pharma-Konzerne interessant, sondern auch für Versicherungen. Wer schneller altert, muss mehr bezahlen - oder vielleicht auch weniger. Der Bluttest würde nur 300 US-Dollar kosten. Horvath will ihn nicht auf den Markt bringen, aber das hängt kaum von einer einzelnen Person auf Dauer ab.

Klar ist aber, dass aus der statistischen Analyse nicht hervorgeht, ob der Biomarker der Methylierung die Ursache für einen frühen Tod ist oder ob dadurch der Körper vielleicht nur weniger Widerstandskraft gegenüber bestimmten Krankheiten besitzt. Horvath verkündet jedenfalls ganz geschäftstüchtig in der kalifornischen Ideologie, dass man Mittel finden müsse, um das Leben bis zu 20 Jahre mehr zu verlängern. Man könne Menschen nicht über Jahrzehnte beobachten, ob ein Medikament wirkt. Seine epigenetische Uhr würde es aber ermöglichen, schon in drei Jahren feststellen zu können, ob eine Anti-Aging-Therapie wirkt.