"Wer bestimmt darüber, wie Frauen zu sein haben?"

Hamburgs DGB-Chefin Katja Karger über Schwesigs Gesetz zur Lohngleichheit und warum Männer von dem Trip herunter müssen, die Normen vorgeben zu müssen

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Katja Karger, geboren und aufgewachsen in Bremen, ist gelernte Industriekauffrau. Sie arbeitete einige Jahre in der Medienbranche, war bei der Verdi-Interessenvertretung für Medienschaffende, connexx.av, bis 2007 Projektmanagerin, ehe sie an der Humboldt Universität zu Berlin ihren Master in Kulturwissenschaften machte. Karger ist in Hamburg die erste Frau auf dem Chef-Posten des DGB in Hamburg.

Frau Karger, Unternehmen sollen künftig schon bei Stellenausschreibungen das vorgesehene Mindestgehalt angeben müssen. Die Kritiker des Gesetzentwurfs sagen, das führe dazu, dass die Wettbewerber sehr viel mehr über die Gehaltsstrukturen einer Firma erführen als bisher.

Katja Karger: Ich verstehe nicht, weshalb die Firmen das als Gefahr sehen!

Das schade speziell kleinen Unternehmen, weil diese oft nicht so gut zahlen könnten wie die großen Konzerne, heißt es; Bewerber würden somit abgeschreckt, bevor es zum Vorstellungsgespräch kommt.

Katja Karger: (lacht) Mir kommen die Tränen. Diejenigen Arbeitgeber, die so etwas allen Ernstes als Argument nennen, sollten einfach noch einmal nachdenken, welche Folgen Transparenz hat. Sie würden schnell erkennen, dass es nicht Gefahr, sondern eine echte Chance wäre für Ihr Unternehmen.

Inwiefern?

Katja Karger: Wenn wir uns alle an bestimmten Kriterien orientieren, dann findet auch kein Unterbietungswettbewerb mehr statt. Und genau über den beklagen sich doch dieselben Leute. Der Mindestlohn ist ein gutes Beispiel: Wenn klar ist, dass in den überwiegenden Teilen des Einzelhandels ein Bruttomonatslohn von 2000 Euro gezahlt wird, muss keiner für 1500 Euro anfangen, weil er womöglich denkt, das sei so üblich in der Branche. Sozusagen eine Art Waffengleichheit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Unternehmer können sich darauf verlassen, dass Konkurrenten ihnen nicht die Preise kaputtmachen.

Das Gesetz zur Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern geht in eine ähnliche Richtung und ist daher dringend nötig. Mehr Transparenz tut allen Beteiligten gut.

Katja Karger, Vorsitzende des DGB Hamburg. Bild: Peter Bisping/DGB

Familien- und Frauenministerin Manuela Schwesig fordert, dass die Regelung nicht nur für Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern gelten solle, sondern für alle Betriebe. Wie genau würde das in einer Firma mit acht Mitarbeitern aussehen?

Katja Karger: Die Arbeitnehmerin stellt zunächst eine Anfrage an ihren Arbeitgeber, in diesem Fall also: ihren Chef. "Wie liegt mein Einkommen im Verhältnis zu meinen männlichen Kollegen?" Eine Frage, die ein gut organisierter Chef innerhalb weniger Minuten beantworten kann.

Und wenn ebenjener Vorgesetzte der Frau antwortete, das Gehalt ihrer männlichen Kollegen sei höher?

Katja Karger: Dann würde sie ihn fragen, woran das liegt.

Abschreckende Bußgelder

Welche Sanktionen hielten Sie für angemessen?

Katja Karger: Ich weiß nicht, was das Gesetz vorsieht. Eine strafrechtliche Relevanz sehe ich da nicht. Eher liefe es wohl auf ein Bußgeld hinaus. Vermutlich wird sich erst in der Umsetzung zeigen, welche Bestrafung sinnvoll ist. Da müsste der Gesetzgeber - wie bei so vielen Gesetzen - nachjustieren. Fest steht: Die Sanktionen müssten abschreckend wirken, sonst würden viele Firmen darüber nur milde lächeln.

Wie hoch sollten die Bußgelder in etwa liegen?

Katja Karger: Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten. Wir stehen ja noch ganz am Anfang.

Verschiedene Studien kommen zu dem Ergebnis: Frauen verhandeln nennenswert seltener als Männer. Spielt das in diesem Zusammenhang keine Rolle?

Katja Karger: Frauen sind anders geprägt als Männer, sie pflegen auch einen anderen Kommunikationsstil, das ist richtig.

Was halten Sie von dem Appell vieler Karriereberater, Frauen sollten in Gehaltsverhandlungen mutiger sein?

Katja Karger: Solche Sätze machen mich echt wütend! Wer bestimmt darüber, wie Frauen zu sein haben? Warum gehen derart viele Leute davon aus, Frauen machten etwas falsch und müssten die Rezepte der Männer übernehmen? Genau das ist doch ein Teil des Problems. Hier wird den Frauen - wie so oft - eingeredet, sie sollten sich doch bitteschön nicht so anstellen. Warum sagen wir nicht, die Männer machten es falsch mit ihrer Haltung: "Ich muss hart verhandeln; ich muss ein Arschloch sein; ich muss eine Menge komischer Dinge über mich erzählen, die überhaupt nicht stimmen."

Mit anderen Worten: Frauen verhandeln genau richtig?

Katja Karger: Nein, aber warum muss ich bluffen, was ist daran erstrebenswert? Dass Frauen lernen müssen, sich selbst mit ihrem persönlichen Wert besser einzuschätzen: Ja, das stimmt. Männer dagegen müssen dringend von ihrem Trip herunter, sie seien diejenigen, die die Norm bestimmen. Beide Seiten müssen sich da bewegen. Das Gesetz würde genau das befördern.

Bei einem hohen Anteil von Arbeitsverhältnissen gibt es überhaupt keine Gehaltsverhandlungen, weil Tariflöhne bezahlt werden. Sie als Gewerkschaft vertreten auch jene Arbeitnehmerinnen, die in Branchen arbeiten, in denen der Frauenanteil sehr hoch ist, die Löhne allerdings niedrig. Wäre hier nicht auch eine gewisse Selbstkritik angemessen?

Katja Karger: Sowohl als auch. Natürlich sind wir an vielen Stellen zuständig für Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Im Unterschied zu den Kammern sind wir allerdings eine Mitgliedsorganisation. Das heißt, wir können nur die Frauen vertreten, die sich uns angeschlossen haben.

Nur nebenbei: Der Schritt, dass Frauen sich organisieren, war bekanntlich noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar. Noch in den 50er und 60er Jahren wurden Frauen schräg angeschaut und ausgelacht, wenn sie sagten: "Ich habe Arbeitnehmerinnenrechte und setze mich für meine Interessen ein."

Was wollen Sie damit sagen?

Katja Karger: Dass wir uns stets daran erinnern sollten, in welch miserabler Situation wir gestartet sind. Früher wurden teils schlimme Sachen in die Tarifverträge reinverhandelt - aus heutiger Sicht: erschreckend.

"Wir fordern eine grundlegende Reform der Minijobs und eine Aufwertung von typischen Frauenberufen"

Was tun Sie als Gewerkschaft für die Frauen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten?

Katja Karger: Überall dort, wo wir Einflussmöglichkeiten haben, steuern wir entsprechend um. Wir fordern zum Beispiel eine grundlegende Reform der Minijobs und eine generelle Aufwertung von typischen Frauenberufen. Es wird immer so schön gesagt, "Die Gewerkschaften müssen doch was tun." Da frage ich immer zurück: Wer ist die Gewerkschaft? Fakt ist: Wir setzen uns für jedes Mitglied ein.

Sagen allerdings Arbeitnehmerinnen, nee, Gewerkschaft ist nicht meins, ich kann meine Interessen doch wunderbar selbst vertreten, dann sind wir machtlos, Punkt. Ich kann sie ja nicht zum Jagen tragen. Für unsere weiblichen Mitglieder haben wir viele gute Sachen verhandelt. Leider sind genauso viele Arbeitnehmerinnen nicht gewerkschaftlich organisiert. Und das ist in der Tat ein Problem.