Kolumbien wählt den Frieden ab

Knappe Mehrheit gegen Abkommen mit Farc. Niedrige Wahlbeteiligung. Regierung und Rebellen behalten Waffenruhe bei

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Paukenschlag in Kolumbien: Entgegen aller Vorhersagen hat eine knappe Mehrheit der Teilnehmer einer Volksbefragung am Sonntag ein historisches Friedensabkommen mit der Guerillaorganisation Farc (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) abgelehnt. Anfang vergangener Woche hatten die Rebellen und die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos das Abkommen unterzeichnet. Der Friedensvertrag stand am Ende mehrjähriger Verhandlungen in der kubanischen Hauptstadt Havanna. Bei dem Festakt in der kolumbianischen Hafenstadt Cartagena waren zahlreiche internationale Staatsgäste zugegen, neben UN-Generalsekretär Ban Ki-moon auch die Vertreter von Kuba und Norwegen als Garanten- sowie Venezuela und Chile als Beobachterstaaten.

Und nun das: Bei einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung von nur gut 37 Prozent lehnten 50,2 Prozent das Friedensabkommen ab. In den vergangenen Wochen und Monaten hatten vor allem der ehemalige Präsident Alvaro Uribe und seine Anhänger gegen die 297 Seiten fassende Vereinbarung mobilisiert. Sie kritisierten die weitgehende Straffreiheit für ehemalige Rebellen und die geplante politische Beteiligung für die Farc, die zehn Sitze im Parlament erhalten sollte. Befürworter des "Si" hatten darauf verwiesen, dass nur so ein Schlussstrich unter den gut fünf Jahrzehnte währenden bewaffneten Konflikt gezogen werden kann.

Die Volksbefragung schafft für Präsident Santos, selbst ein Vertreter der Oberschicht des südamerikanischen Landes, massive Probleme. Er hatte an der Befragung nach dem Friedensschluss festgehalten, um seine Position gegenüber dem Uribe-Lager politisch zu festigen. Daher überging er auch die Einschätzungen führender Juristen wie dem ehemaligen Generalbundesanwalt Eduardo Montealegre oder dem amtierenden Leiter der Rechnungsprüfungsamtes, Edgardo Maya Villazón. Sie hatten den Standpunkt vertreten, dass schon in Santos' Wiederwahl 2014 ein explizites Mandat für die Friedensverhandlungen enthalten war, weil dieses Thema in Zentrum der Wahlkampagne gestanden hatte.

Mit der Niederlage am Sonntag hat sich nun der konservative und regressive Teil der kolumbianischen Oligarchie durchgesetzt – mit noch unabsehbaren Folgen für das Land.

Die Folgen sind derzeit noch nicht abzuschätzen und Gegenstand der Debatten in Kolumbien. Fakt ist, dass der Friedensvertrag von Cartagena ein völker-, kriegs- und strafrechtlich relevantes Dokument ist. Der kolumbianische Kongress hatte ein 13-Prozent-Quorum der Wählerschaft für das "Ja" festgelegt, das erreicht wurde. Zugleich hatte das Verfassungsgericht bei einem "Nein" die Möglichkeit von Nachverhandlungen und einer neuen Abstimmung eingeräumt. Was, kurz gesagt, bedeutet: Das Votum vom Sonntag ist politisch bindend, aber rechtlich nicht relevant. Anders formuliert: Santos hat den Frieden ausgehandelt, kann ihn innenpolitisch aber nicht umsetzen.

Wichtig sind daher die ersten Reaktionen der Vertragspartner: Sowohl Präsident Santos als Oberbefehlshaber der Armee als auch Farc-Chef Rodrigo Lodoño sprachen sich für die Beibehaltung der Waffenruhe aus, beide Seiten wollen weiter verhandeln. Der Staatschef will nun die Gespräche im erweiterten Kreis fortführen und andere Befürworter und Gegner des Abkommens an den Tisch holen. So oder so stehen Kolumbien nach einer kurzen Phase der Zuversicht schwere Zeiten bevor.