Der hybride Krieg des Pentagon im Irak

Nach einem Anschlag 2006 in Taji im Irak 2006. Bild: U.S. Navy

Für eine halbe Milliarde US-Dollar wurde eine britische PR-Agentur beauftragt, gefälschte Videos unter die Menschen zu bringen, um die Zuschauer verfolgen zu können

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Es hat sich auf westlicher Seite eingebürgert, Russland eine hybride Kriegsführung vorzuwerfen. Dabei wird so getan, also würde dies dem Nato-Westen völlig fremd sein, weswegen man sich nur verteidigen müsse. Dabei ist hybride Kriegsführung, zumindest wenn man den Schwerpunkt auch auf die Beeinflussung der Information legt, was einst u.a. Informations-Operation, Propaganda, psychologische Kriegsführung und dann Medienkrieg hieß, natürlich nicht neu und hat sich seit dem Kosovokrieg in Zeiten des Internet drastisch verschärft.

Besonders deutlich wurden die Anstrengungen des Pentagon und der US-Regierung nach 9/11 und seit der Vorbereitung des Kriegs gegen den Irak mit einer Propagandamaschinerie mitsamt dreisten Lügen, die man allerdings damals Saddam Hussein vorwarf, der als Figur des Bösen Milosevic und dann Osama bin Laden ablöste. Heute ist es Wladimir Putin.

Schon zur Vorbereitung des Golfkriegs 1991 hatte die in den USA sitzende (Lobby)Organisation Citizens for a Free Kuwait ein Jahr zuvor die PR-Agentur Hill and Knowlton beauftragt, finanziert durch Kuweit. Bekanntlich schickte die Agentur schließlich ein fünfzehnjähriges kuweitisches Mädchen, die als Krankenschwester "Nayirah" auftrat, in den Menschenrechtsausschuss, wo sie in einer öffentlichen Anhörung erzählte, dass irakische Besatzer angeblich mit Gewehren in Krankenhäuser eingedrungen und Säuglinge aus den Brutkäsen geholt und auf den kalten Boden geworfen oder verkauft hätten.

Möglicherweise auch nach dem "erfolgreichen" Vorbild, aber auch aufgrund gängiger Praxis etwa der CIA während des Kalten Kriegs beauftragte das Pentagon schon im Oktober 2001 die Werbefirma Rendon, um den Krieg gegen den islamischen Terrorismus besser zu verkaufen, um dann den Aufbau eines Office for Strategic Influence anzugehen (Das Pentagon will für bessere Propaganda sorgen). Das war dann noch zu öffentlich, ebenso wie das Lauschprojekt TIA (Total Information Awareness), so dass man den Plan öffentlich beerdigte, aber einzelne Projekte (Pentagon denkt über Geheimprogramm zur Manipulation der öffentlichen Meinung in befreundeten Ländern nach) weiter trieb ("Das Netz muss wie ein feindliches Waffensystem bekämpft werden").

Wie jetzt als Beispiel das Bureau of Investigative Journalism berichtet, beauftragte das Pentagon die britische PR-Firma Bell Pottinger, die u.a. für Margarete Thatcher und Asma al-Assad, die Frau des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, gearbeitet hat, um im Irak für über 500 Millionen US-Dollar ein geheimes Propagandaprogramm aufzubauen und zu betreiben. Neben dem Pentagon waren auch die CIA und der Nationale Sicherheitsrat beteiligt, die Auftragsergebnisse sollen von General David Petraeus, dem damaligen Kommandeur der Koalitionstruppen im Irak, unterzeichnet worden sein. Petraeus war danach CIA-Chef und musste wegen einer Beziehungsaffäre zurücktreten.

Das Bureau spürte dem Wirken der Agentur in Berichten des Pentagon-Generalinspektors, Army-Verträgen und Zahlungsaufzeichnungen ebenso wie in Arbeiten über militärische Propaganda und Unternehmensangaben von Bell Pottinger nach. Überdies wurden damals beteiligte Pentagon- und Agenturmitarbeiter in Interviews befragt. Bell Pottinger erhielt nur den größten Batzen, was offenbar amerikanische PR-Firmen erzürnte, das Bureau kam mehr als 40 Firmen wie Lincoln Group, Leonie Industries und SOS International oder Cradle of New Civilization Media, Babylon Media und Iraqi Dream, auf die Schliche, die zwischen 2006 und 2008 vom Pentagon für die Herstellung und Verbreitung von Medienprodukten bezahlt wurden: Radio- und Fernsehsendungen, Filmproduktionen, Meinungsumfragen, Werbung oder Plakate.

Kurz nach der Invasion wurde die PR-Firma bereits beauftragt, für die Durchführung demokratischer Wahlen zu werben. 2006 sollen 120 Millionen US-Dollar an die Agentur gegangen sein, zwischen 2007 und 2011 konnten 540 Millionen US-Dollar an Zahlungen vom Pentagon eruiert werden. Teilweise waren bis zu 300 Personen für das Irak-Programm der Agentur tätig. 2011 endete der Vertrag, 2012 wechselte die Führung der Agentur. Lord Tim Bell, der damalige Vorsitzende der Agentur, bestätigte gegenüber der Sunday Times, dass die Agentur an einer "verdeckten" militärischen Operation beteiligt war, die durch mehrere Geheimabkommen gesichert worden war.

Die Arbeit wurde in Camp Victory erledigt, wo die Mitarbeiter der Agentur neben den Militärs arbeiteten, deren Tätigkeit aber offenbar von den Agenturmitarbeitern geheim gehalten wurde. Die Agentur lieferte demnach Produkte in drei Kategorien: weiß für solche, bei denen angegeben wurde, wer sie produziert hat, grau für Produkte ohne Angaben und schwarz für solche, bei denen eine andere Herkunft angegeben wurde.

Gefälschte al-Qaida-Filme

Es wurden Propagandafilme hergestellt, die al-Qaida negativ darstellten, Fernsehnachrichten, die so aussahen, als seien sie von arabischen Sendern hergestellt (der damalige Verteidigungsminister Rumsfeld beklagte sich über die Sender al-Jazeera und al-Arabiya), oft Aufnahmen von Anschlägen in schlechter Qualität, die wie eine Nachrichtensendung produziert, in Arabisch kommentiert und an Fernsehsender geschickt wurden.

Und dann gab es gefälschte al-Qaida-Propagandafilme. Die sollten eine gewisse Länge haben und Aufnahmen von al-Qaida-Videos enthalten. Sie wurden auf CDs kopiert und von US-Marines bei Hausdurchsuchungen in dem Chaos hinterlassen, das sie anrichteten. Abgespielt wurden die Videos mit Real Player, der sich mit dem Internet verbindet. Auf den CDs war ein Programm abgespeichert, das mit Google Analytics verbunden war und eine Liste mit den IP-Adressen ausgab, auf denen die CD abgespielt worden war. Das wurde wiederum von den Agenturmitarbeitern ausgewertet, um zu sehen, ob die Zuschauer an einem Ort bleiben oder sich schnell bewegen. Wer kurze Zeit später mit einer IP-Adresse woanders lokalisiert werden konnte, war verdächtig. Die CDs zirkulierten nicht nur im Irak, sondern auch in Syrien, im Iran oder in den USA.

Nach dem Pentagon arbeitete Bell Pottinger tatsächlich im Irak und gehörte der Information Operations Task Force (IOTF) an. Nach dem Pentagon sei das gesamte Material allerdings der Wahrheit entsprechend gewesen. Nach einem Mitarbeiter von Bell Pottinger hat die Agentur aber auch für die Joint Psychological Operations Task Force (JPOTF) gearbeitet, was auch ein anonym bleibender Pentagon-Mitarbeiter bestätigte. Contractors wurden nicht nur wegen ihrer vermuteten besseren Kenntnisse über die Beeinflussung der Öffentlichkeit herangezogen, sondern auch, weil den US-Behörden, das Pentagon eingeschlossen, eigentlich verboten ist, Unwahrheiten zu verbreiten, vor allem wenn sie die amerikanische Öffentlichkeit erreichen können. Da aber die produzierten Filme über das Internet und CDs global verbreitet werden können, hat man das für viel Geld lieber outgesourct.

Gebracht hat die geheime Propaganda-Operation, die endete, als die US-Truppen erst einmal den Irak verließen, wohl kaum etwas. Zwar konnte das US-Militär den al-Qaida Führer Sarkawi töten, aber in dessen Nachfolge entstand erneut al-Qaida, die sich in Syrien und dann Irak ausbreitete, um sich schließlich in al-Nusra und dem Islamischen Staat festzusetzen. Im Augenblick befinden sich die USA im Dilemma, die mit den meisten Widerstandsgruppen in Syrien verwobene al-Qaida-Organisation al-Nusra von den angeblich "gemäßigten" Gruppen unterscheiden und zum Abschuss freigeben zu wollen.

Zudem verweist die Propaganda-Aktivität im Irak erneut darauf, misstrauisch die Medienberichte aus Syrien, derzeit aus Aleppo, zur Kenntnis zu nehmen. Der "strategischen Kommunikation", gleich ob sie aus den USA, aus Syrien, Russland oder den Assad-Widerstandsgruppen kommt, sind die zivilen Opfer eigentlich egal, für die jeweils die andere Seite verantwortlich gemacht wird. Im Medienkrieg sind alle Beteiligten.