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Vom Wert des Wissens: Neurobiologen ergründen die Mechanismen der Neugier

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Aha. Neugierig?

Immerhin haben Sie den Artikel auf der Telepolis-Startseite angeklickt. Warum? Was versprechen Sie sich davon? Warum wollen Sie etwas lesen, von dem Sie noch nicht wissen, was Sie damit werden anfangen können? Wenn überhaupt?

Offensichtlich sind Sie zu einer Tätigkeit - dem Lesen - motiviert, ohne eine greifbare Belohnung erwarten zu können. Die Lektüre macht Sie weder satt noch high. Allenfalls ein wenig klüger. Wissen ist Ihnen anscheinend etwas wert. Ihre Zeit, und, wenn Sie Druckwerke kaufen, auch Ihr Geld.

Neugier ist ein starker Antrieb, und sie ist intrinsische Motivation par excellence: Sie lässt uns Handlungen vollführen, bloß um ihrer selbst willen. Die Neugier bringt uns dazu, Kosten und Risiken auf uns zu nehmen, verbotene Türen zu öffnen, weiße Flecken zu bereisen, ohne dass eine äußere Belohnung in Aussicht, geschweige denn sicher wäre. Wir wollen einfach nur wissen.

Persönlichkeitspsychologen nennen einen ihrer "Big Five"-Faktoren der Persönlichkeit "Offenheit für Neues". Und obgleich das eher passiv klingt, spielt die intrinsische Motivation eine Rolle für diese Eigenschaft, und so ist wohl doch einfach Neugier gemeint. Sie ist also eine von nur fünf Eigenschaftsdimensionen, in denen sich Menschen unterscheiden. Und darunter die einzige, die mit der Intelligenz korreliert. Was zu dem Befund passt, dass konservative Menschen im Mittel dümmer sind als - wie soll man es nennen? - progressive / linke / kritische.

Natürlich ist Neugier auch der Antrieb der Wissenschaft, und so hat es seinen Reiz, dass Neurobiologen seit einigen Jahren erforschen, wie das Gehirn die Motivation vermittelt, nach Information zu suchen. Auch Tiere sind neugierig. Mit einer raffiniert ausgedachten Verhaltensaufgabe kann man das beobachten und nutzen, und so feststellen, welche Nervenzellen aktiv sind, wenn das Verhalten von Neugier motiviert wird.

Wie macht man Tiere im Labor gezielt und messbar neugierig? Stellen Sie sich Folgendes vor: Gemeinsam mit einem Partner spielen Sie Lotto. Jeder spielt immer seine selben Zahlen, und im wöchentlichen Wechsel gibt mal der Eine, mal der Andere einen Schein ab. Also wechseln die Zahlen wöchentlich.

Nun sind Sie aber für mehrere Wochen auf großer Reise, irgendwo, wo es keinen regelmäßigen Telefon- oder Internetzugang gibt. Das abwechselnde Lottospiel läuft in Ihrer Abwesenheit weiter (Sie haben Scheine vorausgefüllt), aber nach ein paar Wochen haben Sie verständlicherweise den Überblick verloren, wer wann dran ist.

Da sehen Sie in der Lobby eines Hotels eine BILD vom letzten Wochenende rumliegen. Die Lottozahlen auf der Titelseite sind genau Ihre Zahlen! Mitsamt Superzahl! Sie sind jetzt reich! - Wenn, ja, wenn diese Woche Ihre Zahlen dran waren. So. Sie könnten jetzt eine Woche warten, bis Ihr Flug nach Hause geht. Oder Sie könnten für ein paar Dollar von der Rezeption aus ihren Partner anrufen und fragen, welche Zahlen getippt wurden. Am Ergebnis (und das ist experimentell wichtig) ändert das nichts. Der Schein ist abgegeben, die Zahlen sind gezogen. Nüchtern betrachtet bringt es Ihnen nichts, wenn Sie den Anruf tätigen. Tun Sie’s trotzdem?

Die Äquivalenz von Wasser und Wissen

Makaken würden anrufen. Sie spielen freilich nicht Lotto, doch wenn sie durstig sind, ist ein Schluck Wasser für sie ein Hauptgewinn. Ethan Bromberg-Martin und Okihide Hikosaka setzten für eine Studie zwei der Affen vor einen Bildschirm, beobachteten ihre Augenbewegungen und leiteten mit Elektroden von Nervenzellen im ventralen Tegmentum ab - also denjenigen Neuronen im Hirnstamm, die den Neurotransmitter Dopamin in den Nucleus accumbens ausschütten, wenn eine Belohnung zu erwarten ist (Warum nicht einfach aufgeben?).

Die Makaken saßen vor einem Bildschirm, auf dem einfache Symbole erschienen. Mittels ihrer Blickrichtung konnten sie zwischen diesen eine Auswahl treffen. Zunächst kündigte ein Quadrat den Beginn einer neuen Runde an (sozusagen die neue Lottospielwoche). Am Ende der Runde, etwa vier Sekunden später, würde der Affe entweder einen großen (sechs Richtige) oder nur einen kleinen Schluck Wasser bekommen.

Wie viel, das hatte der Zufallsgenerator zu dem Zeitpunkt schon ausgewürfelt, aber der Affe wusste es noch nicht. Bevor es soweit sein würde, boten ihm zwei unterschiedliche Symbole zunächst die Wahl zwischen zufälligen, bedeutungslosen Zeichen oder echter Information über die Belohnungsgröße. Wählte der Makake letztere, dann kündigten ihm zwei unterschiedliche Symbole zuverlässig an, wieviel Wasser er zwei Sekunden später bekommen würde. Wählte er erstere, dann gab es auch zwei verschiedene Zeichen, aber sie hatten keinen Vorhersagewert.

Sobald sie den Zusammenhang verstanden hatten, wählten beide Affen die brauchbare Information - der eine Makake sogar in jedem einzelnen Durchgang, der andere in immerhin 80% davon. Sie wollten wissen. Und das ist ihnen sogar etwas wert: In einer späteren Studie von Bromberg-Martin opferten die Affen bis zu einem Drittel des erwarteten Wassers, wenn sie dafür die Information über die Wassermenge vorab erhielten.

Dass Information für die Affen einen Wert hat, zeigten auch die Feueraktivitäten der Nervenzellen in der ersten Studie: Dieselben Neuronen, die, wie aus klassischen Studien hinreichend bekannt, den Erwartungsfehler mit ihrem Feuern anzeigten - also dann aktiver wurden, wenn das Ergebnis besser war als erwartet (Info über große Wassermenge, oder unangekündigte große Menge), und verstummten, wenn es schlechter war -, dieselben Neuronen änderten ihre Aktivität bereits vorher, wenn die Runde gerade begonnen hatte und die Affen sich zwischen Information und Unsinn entscheiden konnten.

Wenn sie Information wählen konnten (oder mussten, weil die Zufallsoption weggelassen wurde), dann steigerten die Neuronen ihre Aktivität. Stand die Informationsoption nicht zur Verfügung, und kündigte das Symbol an, dass sie gezwungen sein würden, sinnlose Zeichen zu sehen, dann sank die Aktivität der Dopaminneuronen. Kurz: Die Belohnung durch Wasser und die Belohnung durch Wissen ist auf dieser neuronalen Ebene dasselbe.