Einblicke in die Medienpropaganda des "Islamischen Staats"

Angeblicher Beschuss von Stellungen des irakischen Militärs bei ad-Dibis. IS-Bild

Ein Bericht hat versucht, die Medienstrategien des IS darzustellen, der jetzt militärisch und medial im Niedergang zu sein scheint

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Mit den Konflikten in Syrien zwischen den Großmächten und der geplanten Offensive im Irak gegen Mosul rutschte der "Islamische Staat", schon seit langem auf dem Rückmarsch in Syrien und im Irak, aber auch in Libyen, in den Hintergrund. Hatte der IS lange Zeit große mediale Öffentlichkeit auch durch eigene Propaganda-Arbeit vornehmlich in den Sozialen Netzwerken und der terroristischen "Propaganda der Tat" gefunden, was auch wichtig ist zur Rekrutierung neuer Anhänger und von Unterstützern, so scheint die Organisation zu erodieren.

Der Einmarsch türkischer Truppen mit ihren verbündeten "Rebellen" nach Syrien hat dem IS, selbst wenn es Absprachen zum Rückzug gegeben haben sollte, einen entscheidenden Zugang zur Türkei verbaut und damit geschwächt. Gut möglich, dass in Syrien viele IS-Kämpfer zu anderen islamistischen Gruppen überlaufen, nicht zuletzt zur stärksten Fraktion, der al-Qaida-Gruppe Jabhat Fateh Al-Sham (JFS), vorher al-Nusra, die praktisch mit allen anderen Gruppen kooperiert und von der sich der IS abgespalten hatte.

Gerade erst haben sich al-Nusra und die von Saudi-Arabien unterstützte islamistische Organisation Jund al-Aqsa zusammengetan. Letztere befand sich im Streit mit der ebenfalls von Saudi-Arabien unterstützten Gruppe Ahrar Al-Sham, die sich wiederum mit Jabhat Fateh Al-Sham zur Allianz Jaysh al Fath zusammengeschlossen hatte. Die Angriffe der russisch-syrischen Allianz führen also zu einem Zusammenrücken der übrigen gemäßigten und radikalen "Rebellen", die zudem das Vakuum ausfüllen, das der Rückzug des IS hinterlässt.

Nach einem Bericht des Combating Terrorism Center von der Militärakademie West Point haben sich die Propaganda-Aktivitäten des IS stark reduziert. Zudem habe sich eine inhaltliche Veränderung ereignet, so die Hauptthese des Autors Daniel Milton, der 9.000 Medienprodukte untersucht hat, die zwischen August 2015 und August 2016 in Umlauf gebracht wurden.

Im Unterschied zu den anderen islamistischen Organisationen hat der IS das Alleinstellungsmerkmal hervorgehoben, ein "Kalifat" auf einem größeren Territorium geschaffen zu haben, in dem nicht nur der Kampf, sondern auch der islamistische Alltag organisiert wird. Damit stellte man sich unter Leistungszwang, in der Lage zu sein, alle Aufgaben, die Staaten erfüllen, von den Finanzen über Steuern. Man kennt die Bilder von Schulen, Universitäten, Essensausgabe, Straßenpflege, vollen Märkten, eigener Währung und zufriedener Menschen, die zeigen sollen, dass die Terrororganisation auch verwalten kann. Menschen im Ausland wurden aufgefordert, in das "Kalifat" auszuwandern.

Goldmünzen des "Kalifats"

Tatsächlich ist in letzter Zeit aufgefallen, dass weniger Propaganda über das angeblich gut geordnete Alltagsleben im "Gottesstaat" zirkuliert. Im Vordergrund stehen die Erfolgsmeldungen über Kampfhandlungen oder abschreckende Bilder von Exekutionen. Nach dem Bericht sank der mediale Ausstoß des IS vom Höhepunkt im August 2015 mit mehr als 700 Postings auf weniger als 200 im August 2016.

Der Anteil der Veröffentlichungen, die militärische Inhalte beinhalten, stieg in derselben Zeit um 70 Prozent. Es wurden auch weniger Kämpfer oder Soldaten gezeigt, die vom IS getötet werden, und mehr "Spione", die hingerichtet wurden. Der war auch zu Beginn des "Kalifats" hoch, als man erst einmal Angst und Schrecken verbreitete, von Sieg zu Sieg eilte und das Territorium vergrößerte.

Im Unterschied zu den anderen Gruppen in Syrien und im Irak, auch zum al-Qaida-Vertreter al-Nusra, von dem man sich abspaltete, fiel der IS durch massive, gut und aufwendig gemachte Propaganda- und Medienaktivitäten auf, Vorbild für die Gestaltung war al-Qaida im Jemen (AQAP). Vermutlich angeleitet durch den aus den USA gekommenen al-Awlaki, der 2011 durch eine US-Drohne getötet wurde, hatte man dort eine eigene, stark bildhafte Ästhetik geschaffen, um das westliche Publikum beispielsweise durch die Inspire-Publikation anzusprechen.

Der IS baute schnell zahlreiche Medienagenturen auf, um schnell einen hohen Ausstoß zu erzielen, das Internet zu überschwemmen und vor allem mit Bildern, die von Medien weiter verbreitet wurden, Aufmerksamkeit zu finden.

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Nach der Ausrufung des Kalifats, das auch als eine Art Utopie verkauft wurde, kam gewissermaßen die Konsolidierungsphase, wo versucht wurde, Propaganda für das islamistische Machtsystem in Syrien und im Irak als Gesellschaftssystem zu machen, das zwar hemmungslos und apokalyptisch Krieg führt, aber gleichzeitig erfolgreich im Staatsaufbau ist, um für die Anhänger und Unterworfenen zu sorgen und Sympathisanten anzulocken. Gerichtet waren die professionellen Medienerzeugnisse natürlich auch auf die kontrollierte Bevölkerung, die nur hören, lesen und sehen sollte, was die IS-Führer für wichtig erachteten.

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Der IS legte nicht nur Wert auf die Botschaft, sondern auch auf die Boten

Interessant ist, dass der IS weitgehend auf einen Personenkult bei der Verbreitung von Bildern verzichtete und "normale" Kämpfer, Selbstmordattentäter, Mitarbeiter oder lokale Bewohner zeigte, wie Milton schreibt. Die Organisation habe erkannt, dass es besser ist, wenn der "Sender" einer Botschaft dem "Empfänger" ähnlich ist. Erkannt worden sei, dass es nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf den Boten ankommt. Für die große Verbreitung und Wirkung hätten nicht nur Inhalt, Boten und Gestaltung der Medienprodukte sowie die exzessive Nutzung des Internet und die weitere Verbreitung durch ein Netzwerk von Anhängern gesorgt, sondern auch die Vielsprachigkeit.

Von den von Milton untersuchten Medienprodukten waren zwar mit 97 Prozent fast alle in arabischer Sprache, aber es wurden Botschaften auch in zahlreichen anderen Sprachen, vor allem auf Englisch, Französisch, Russisch, Türkisch oder Kurdisch, verbreitet, was den internationalen Charakter verdeutlicht. Wichtige Botschaften wurden meist in 28 Sprachen übersetzt. Allerdings ist die stark auf visuelle Botschaften ausgerichtete Propaganda auch dann einem internationalem Publikum eingängig, wenn sie nur auf arabisch verbreitet wird.

Milton hat die visuellen Medienprodukte mit Geotagging soweit möglich ihrem Ursprungsort zugeordnet. Daraus hat sich ergeben, dass das "Kalifat" kein einheitliches System ist, sondern aus einer Reihe von geografischen Orten besteht, "die sehr unterschiedlich im Hinblick auf die militärische Aktivität, Verwaltung etc. funktionieren (oder so dargestellt werden)". Er ist überzeugt, dass der IS ein solches zersplittertes Bild nicht zeigen würde, "wenn er den zugrundeliegenden funktionierenden Staat hätte, den es in diesen Gebieten zu haben behauptet". Hauptgebiet der Medienaktivitäten sind Syrien und der Irak, aber es haben sich auch "Medienbüros" des IS in Afghanistan, Libyen, Ägypten und im Jemen etabliert. In Nigeria oder im Kaukasus sind die medialen Aktivitäten noch gering. Identifiziert wurden für den Bericht 33 "Medienbüros".

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Wenn nun mit der militärischen Macht und der territorialen Kontrolle auch die Medienproduktion schrumpft, könnte dies ein gutes Zeichen sein und für den Erfolg der militärischen Offensiven der US-geführten Koalition, der Kurden in Syrien und im Irak, der syrisch-russischen Verbände oder der irakischen Truppen und schiitischen Milizen sprechen.

Allerdings hat sich gezeigt, dass der IS verstärkt versuchen könnte, Anschläge im Ausland durchzuführen oder dazu anzustiften, also auch dort in den Terror auszuweichen, um den Verlust an Staatlichkeit zu kompensieren - wobei Terroranschläge auch dann für Propaganda sorgen, wenn der IS gar keine Bilder selbst liefert, sondern den Medien die Arbeit überlässt. Zudem werden andere Gruppen in das vom IS hinterlassene Vakuum einrücken, während die aus dem Ausland gekommenen Anhänger zurück in ihre Herkunftsländer gehen werden, um dort weitere Anschläge zu planen, nachdem sie bereits zu Killern ausgebildet wurden.

Milton macht gegenüber der New York Times darauf aufmerksam, dass viele Adressaten der IS-Propaganda Kinder waren und sind, die systematisch indoktriniert worden sind: "Wie geht man mit all den Kindern um, die das erlebt haben und dieser Weltsicht ausgesetzt waren?" Für ihn wird das auch nach einer eventuellen Niederschlagung des IS zu einem langfristigen Problem werden. Das aber wird sehr davon abhängen, welche Aussichten die Kinder haben werden. Man darf davon ausgehen, dass sie nicht Nutznießer eines Marshall-Plans werden.