Banlieue La Grande Borne: Brandanschlag auf Polizisten

La Grande Borne, rue du Labyrinthe à Grigny. Foto: Nioux/gemeinfrei

Frankreich: Debatte über "rechtlose Zonen" und die Forderung, dass nicht die Polizei, sondern die Kriminellen Angst haben sollen

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Am vergangenen Wochenende wurden vier Polizisten in einem Problemviertel (zone de sécurité prioritaire, ZSP) südlich von Paris auf eine Weise angegriffen, die an einen Kriegsschauplatz denken lässt. Die vermummten Angreifer, ungefähr ein Dutzend, umstellten die beiden Polizeiautos, zertrümmerten die Scheiben und warfen Molotowcocktails ins Wageninnere. Drei der vier Polizisten trugen schwere Brandverletzungen davon; einer schwebt in Lebensgefahr.

Sabotageakte gegen Überwachungskameras

Die Polizisten waren zu einer Kreuzung gerufen worden, weil dort versucht wurde, die Überwachungskameras zu zerstören. Dies ist an der Kreuzung "du Fournil", die sich an der Grenze zwischen La Grande Borne und Viry-Châtillon befindet, ein regelmäßig vorkommender Akt, wie ein Bericht der Zeitung Le Parisien von Ende September dokumentiert.

Demnach werden solche Sabotageakte gegen die Überwachung nicht selten von Gewaltakten gegen andere Autofahrer begleitet. Es genügt, dass Autofahrer an der roten Ampel stehen bleiben. Jede Neugier wird sofort und mit härtesten Mitteln unterbunden, könnte man das Prinzip nennen. La Grande Borne liegt an der Autobahn, die seit vielen Jahren der Zulieferweg für den Drogen- und Waffenhandel ist.

La Grande Borne: Seit Jahren berüchtigt, seit Jahren keine Veränderung

Mit der lebensgefährlichen Attacke auf die Polizisten sind die Verhältnisse in den Banlieues wieder in den Schlagzeilen. La Grande Borne zählt zu den berüchtigsten. Die Frage, die in den meisten Medienberichten gestellt wird, lautet, ob La Grand Borne zu einem Ort der Rechtlosigkeit geworden ist. Die Vorschläge zur Änderung der Verhältnisse gravitieren häufig um den Ansatz: "Sie müssen wieder Angst vor der Polizei haben und nicht die Polizei vor ihnen."

Mit "sie" sind die Kriminellen, meist Jugendliche, gemeint, die nach Aussagen von Bewohnern und der Einschätzung der Polizei das Viertel einschüchtern. Es gelte das Prinzip der Omerta, berichtet beispielsweise der Figaro. So lange man still halte und sich nicht in deren Geschäfte oder laute Aktivitäten einmische, passiere nichts.

Beinahe identische Aussagen sind schon in einer Reportage von Le Monde aus dem Jahr 2008 zu lesen. Sie ist überschrieben mit "Grigny: Der Ausnahmezustand" (La Grande Borne ist ein Viertel von Grigny). Das Eigentümlich der Reportage ist, dass sich anscheinend in den acht Jahren nichts verändert hat. Außer, dass es angesichts des damaligen Kinderreichtums nun noch mehr Jugendliche in La Grande Borne geben dürfte, die mit Kriminalität zu tun haben.

Auffallend ist auch, dass in der Reportage von 2008 noch viel von den berüchtigten CRS-Polizeikräften die Rede ist, von ihrem harten Vorgehen. Man könnte daraus schließen, dass die Präsenz der CRS und ihre bewusst rigide Vorgehensweise nichts dazu beigetragen hat, an den Verhältnissen im Viertel etwas zu ändern.

Polizisten fordern neue Notwehrbestimmungen

Das wird von der Polizeigewerkschaft Alliance, insbesondere von deren Vertreter Frédéric Lagache anders gesehen. Für Lagache hat die Regierung einen Fehler gemacht, dass sie die Polizeipräsenz in den Problemzonen reduziert hat. Die Regierung habe sich damit abgefunden, dass in bestimmten Stadtvierteln nicht mehr für Recht und Ordnung gesorgt werde, wird er von der FAZ zitiert. Sie wolle damit verhindern, dass es wieder zu Banlieue-Unruhen wie im Herbst 2005 komme.

Festhalten kann man, dass auch das politische Kalkül, durch Abzug der CRS-Polizeikräfte und ein zurückhaltenderes Auftreten der Polizei Spannungen zwischen Polizei und Bewohnern der Problemzone abzubauen, nicht aufgegangen ist, wie sich am Wochenende schockierend deutlich gezeigt hat.

Polizisten hielten gestern in mehreren französischen Städten einen Bummelstreik als Reaktion auf die Geschehnisse ab. Sie fordern eine Aufstockung der Polizeikräfte und ein neues Reglement zur Selbstverteidigung.

Die Bestimmungen zur Selbstverteidigung sind zwar ohnehin schon im Zuge des Ausnahmezustands in Frankreich zugunsten der Polizeikräfte verbessert worden, aber die Sprecher der Polizisten fordern noch weitergehende Veränderungen. Der Nachweis, dass die Notwehr mit Waffen nicht angemessen war, soll künftig von der anderen Seite geführt werden. Bislang müssen Polizisten den Nachweis führen, dass sie in angemessener Weise von ihrer Waffen Gebrauch gemacht haben.

Premierminister Valls verweigert sich solchen Forderungen. Er sprach sich dafür aus, die Polizeiwagen in den Brennpunkt-Vierteln zu verstärken, mit Panzerglas und gepanzertem Karrosserieteilen. Möglicherweise bekomme La Grande Borne ein neues Kommissariat, stellte Valls in Aussicht.

Es dürfte jedem klar sein, dass dies nur oberflächliche Ansätze sind. Lösungen, die tiefer greifen und Aussicht haben, eine substantielle Veränderung der Lebensweise in den Banlieues herbeizuführen, sind nicht zu hören. Sie fehlen seit Jahren.