Der "Islamische Staat" rüstet im Irak Drohnen mit Sprengsätzen aus

IS-Propaganda

Schon lange wurde befürchtet, dass kleine Drohnen zu fliegenden Sprengsätzen werden

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Kurz vor der schon lange angekündigten, aber jetzt offenbar bald startenden Offensive auf die Großstadt Mosul hat der im Irak bereits sehr geschrumpfte "Islamische Staat" wohl als erste Terrororganisation eine Drohne mit Sprengstoff ausgestattet. Wie sich jetzt herausstellte, haben Peschmerga-Kämpfer, begleitet von französischen Soldaten, die sie offiziell auf die Offensive vorbereiten und beratend tätig sind, letzte Woche eine kleine Drohne in der Provinz Erbil abgeschossen (Offensive auf Mosul: UN befürchtet 1 Million Flüchtlinge).

Man ging davon aus, dass es eine der üblichen Überwachungsdrohnen ist, die der IS wie auch viele andere Terror- und Rebellengruppen seit längerer Zeit verwenden, um die Umgebung auszukundschaften, Angriffe oder Verteidigungsmaßnahmen vorzubereiten oder auch Material für Propagandafilme herzustellen. Die Drohne wurde in das Militärlager mitgenommen, um sie dort zu untersuchen. Als Peschmerga-Kämpfer sie zerlegen wollten, explodierte der in der Drohne befindliche Sprengkopf und tötete zwei der Kämpfer, zwei französische Soldaten wurden schwer, weitere 12 leicht verletzt.

Angeblich sollen bereits letzten Monat mindestens zweimal Drohnen vom IS bei Mosul eingesetzt worden sein, um irakische Soldaten anzugreifen, berichtet die New York Times. Einmal wurde ein Kontrollposten angegriffen, wobei niemand verletzt wurde, das andere Mal wurde eine Minidrohne abgeschossen, auf der ein kleiner Sprengsatz angebracht war. US-Kommandeure hätten eine Warnung an Soldaten, die gegen den IS kämpfen, ausgegeben und dazu aufgefordert, jede kleine Drohne als fliegenden Sprengsatz anzusehen.

Offenbar experimentiert der IS nun erst damit, Drohnen auch als Waffen einzusetzen. Der Sprengsatz war in Form einer Batterie eingebaut worden. Es war also sehr wenig Sprengstoff, der aber reichte zwei Menschen zu töten. Angeblich hat das Pentagon Vorsorge getroffen, Drohnen abwehren zu können, ohne dass verraten wird, wie das geschehen soll. Gesichtet wurde, dass US-Soldaten mit dem DroneDefender, einem Antidrohnen-Gewehr von Batelle, ausgerüstet sind, die Drohnen durch Jammen der Fernsteuerung vom Himmel holen können (sollen). Aber die irakischen und kurdischen Kampfeinheiten seien noch kaum mit diesen neuen Mitteln (sphisticated devices) ausgestattet. Die Angst scheint groß vor den fliegenden Sprengsätzen zu sein.

Mehrmals hätten schon Kampfflugzeuge IS-Drohnen am Boden bombardiert, obgleich die relativ klein sind. Im Juli hat das Pentagon erst 20 Millionen US-Dollar für die Entwicklung von Drohnenabwehrwaffen bewilligt. Begründet wurde dies bereits damit, dass der IS kleine Drohnen mit Sprengsätzen ausstatte, was eine direkte Bedrohung darstelle. Ob der IS schon im Sommer mit solchen Drohnen experimentierte und das US-Militär lieber öffentlich nichts verlauten ließ, muss vorerst offen bleiben (Pentagon: Kleine Drohnen als "neue asymmetrische Bedrohung").

Warum erst jetzt?

Es verwundert, dass der IS - oder auch jede andere Terrorgruppe - so lange gezögert hat, Drohnen mit einer Bombe oder chemischen Waffe aufzurüsten, um Anschläge zu machen. Aufgerufen hatte er allerdings schon, Drohnen im Ausland mit Sprengstoff auszustatten und Anschläge etwa in Brasilen auf die Olympischen Spiele zu begehen. Schon lange war diese Gefahr beschworen worden, die von den kleinen Drohnen ausgeht, die schon millionenfach verkauft wurden oder selbst zusammengebaut werden können. Noch findet der Einsatz in den Kriegsgebieten im Nahen Osten statt, in denen auch die großen Kampfdrohnen eingesetzt werden, um mutmaßliche Gegner gezielt zu töten. Es dürfte nicht mehr lange dauern, bis erste kleine Drohnen für Terroranschläge oder Ermordungen auch im Westen verwendet werden und so der bislang ferne und ferngesteuerte Krieg nicht mehr nur in Form von Selbstmordanschlägen die kriegführenden Länder einholt und die Bevölkerung terrorisiert, da bislang kaum ein Schutz für alle möglichen Ziele, beispielsweise große Menschenmengen an öffentlichen Orten oder Stadien, gewährleistet werden kann.

Man kann Gründe nur vermuten, wieso der IS nun mit Kampfdrohnen experimentiert. Man muss wohl von Experimenten sprechen, da nicht klar ist, ob die mit dem Sprengsatz ausgerüstete Drohne beim Aufprall oder mittels Fernzündung explodieren sollte. Möglicherweise dienen sie nur als Warnung, dass die Gefahren größer als erwartet sein könnten, versprochen wurde schließlich vom IS, bei einem Kampf um die Stadt ein Inferno auszulösen. Für den zurückgedrängten und permanent bombardierten IS könnten mittlerweile nicht nur die Kämpfer ausgehen, sondern vor allem die billigen und willigen jungen Männer, die Selbstmordanschläge ausführen. Deren Zahl scheint in den letzten Monaten deutlich abgenommen zu haben, obgleich sie ein wichtiges Mittel waren, um mit gepanzerten, mit Sprengstoff vollgeladenen Fahrzeugen Breschen in gegnerische Stellungen zu schlagen und Furcht und Schrecken zu verbreiten.

Und natürlich werden Kampfdrohnen ein Mittel der Wahl sein, um Mosul neben mit Öl gefüllten Gräben, Minen und Sprengfallen wenn nicht schon verteidigen zu können, sondern dessen Einnahme zu einem auch für die vorrückenden Truppen blutigen Unternehmen zu machen. Mit dem IS arbeiten schließlich Offiziere und Spezialisten der irakischen Armee, die nach dem Sturz von Saddam Hussein und der großen Säuberung in den Widerstand gegangen sind. Ähnlich wie in den "befreiten" Städten Ramadi und Falludscha wird auch Mosul weiträumig zerstört zurückbleiben.

Verwunderlich ist jedenfalls nicht, dass der IS, der sich von der irakischen Al-Qaida-Organisation ableitet, nicht nur mit fernsteuerbaren Fahrzeugen, sondern eben auch mit bewaffneten Drohnen beschäftigt (Bilder aus der Waffenschmiede des Islamischen Staats in Raqqa). Nach dem Einmarsch der Amerikaner entstand im Irak erst als Widerstandsorganisation al-Qaida, die mit dem Sturz der Taliban-Regierung in Afghanistan dort ihren Stützpunkt verloren hatte. Zum großen und gefürchteten Anführer wurde al-Sarwaki, der auch vom IS noch als Gründer gefeiert wird (Strategie von al-Qaida: 2013 Kalifat und Endsieg 2020). Er hat schon damals hemmungslos Anschläge ausführen lassen, alle Grenzen eingerissen ("Das Böseste der Menschheit") und einen richtigen Propagandakrieg entfesselt, der auch zum Vorbild für den IS wurde. Der damalige US-Verteidigungsminister beklagte damals ein ums andere Mal, dass die USA im Medienkrieg auf der Verliererseite stünden (Niederlage im Medienkrieg). Dessen Tötung wurde 2006 vom Pentagon richtiggehend zelebriert, was auch zum posthumen Ruhm beigetragen haben wird (Archaische Bilder vom Sieg).

Neu ist das alles nicht, es schlummert schon lange in der Fantasie von Anschlagsplanern. So soll bereits 1977 die RAF geplant haben, einen Sprengstoffanschlag auf Franz-Josef Strauß auszuüben - mit einem Modellflugzeug.

Die Angreifer im Streit

Die Offensive gegen Mosul wird allerdings nicht nur von möglichen Bedrohungen seitens des IS behindert, sondern auch durch die Streitereien der gegen den IS ins Feld ziehenden Parteien, die sich ihren Einfluss schon im Vorfeld sichern wollen. So wollen die USA nicht, dass schiitische Milizen am Angriff beteiligt sind, und vor allem nicht, dass sie in die Stadt einrücken. Die lehnen die Amerikaner ab, liegen im Konflikt mit den Kurden und mit den im Irak stationierten türkischen Truppen. Der türkische Präsident Erdogan will, dass sie an der Offensive teilnehmen, die schiitisch dominierte irakische Regierung lehnt dies ab. Es kam bereits zu einem offenen Streit, in dem Erdogan den irakischen Premier al-Abadi abkanzelte und beleidigte: "Irakischer Ministerpräsident, dein Gerede ist nicht von Belang."

Es zeichnet sich ab, dass nach Aleppo Mosul zur nächsten Stadt wird, das ins Zielfeuer der unterschiedlichen geopolitischen Interessen gerät. Die Türkei orientiert sich stärker an Russland und damit sowohl an das syrische Regime und den Iran. Für das Wochenende ist immerhin ein Treffen in Genf zwischen den USA, Russland, Saudi-Arabien und der Türkei anvisiert, um wieder über Syrien zu verhandeln, während es auch im Irak brodelt.

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