Nach Syrien wird Jemen zum weiteren Brennpunkt der Kriegsgefahr

Bombardierung der Trauerfeier in Sanaa durch saudische Flugzeuge. Bild: Sabanews

Nach dem als Kriegsverbrechen bezeichneten Massaker und den US-Raketen auf Huthi-Stellungen schickt Iran Kriegsschiffe und Moskau angeblich einsatzfähige S-300-Luftabwehrsysteme an den Iran

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Möglicherweise gibt es eine Annäherung zwischen Washington und Russland über einen möglichen Waffenstillstand. Am Samstag wollen sich Kerry und Lawrow in Genf mit Vertretern einiger der Regionalmächte Türkei, Iran, Saudi-Arabien und Katar treffen, um über eine Feuerpause zumindest in Aleppo zu verhandeln. Dort werden weiter Ziele in Ost-Aleppo von russischen und syrischen Flugzeugen bombardiert, während die "Rebellen" die von der syrischen Regierung kontrollierten Stadtteile beschießen.

Die US-Regierung schließt ein militärisches Abkommen mit Russland aus, wie zuletzt vor dem Abbruch der Verhandlungen angestrebt wurde. Russland habe seine Glaubwürdigkeit verloren. Der Sprecher des Weißen Hauses betonte auch, dass es keine bilateralen Gespräche seien. Eine Einigung dürfte kaum möglich sein, so lange die russisch-syrische Offensive weitergeht, die mit anderen Gruppen verbundenen al-Qaida-Kämpfer nicht die Stadt verlassen und Washington bereit ist, eine Trennung zwischen "gemäßigten" und islamistischen Terroristen zu ziehen. Davon ist nichts zu merken. Al-Nusra bzw. Jabhat Fath Al-Sham (JFS) hat es auch abgelehnt, die Stadt über einen angeblich sicheren Korridor zu verlassen. Allerdings kam es zu einem Übereinkommen von "Rebellen" mit der syrischen Regierung, aus den Vororten Qudsiya und Al-Hama von Damaskus abzuziehen. Danach sind um die 400 Kämpfer und 2000 Menschen mit Bussen fortgebracht worden. Kritiker sprechen davon, dass damit mit Gewalt die sunnitische Bevölkerung vertrieben und durch Alewiten ersetzt werde.

Derweil warnt Russland davor, Militante mit Luftabwehrraketen wie MANPADS auszurüsten. Das würde nicht ohne Konsequenzen bleiben, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums gestern. Und wenn die EU erneut Sanktionen gegen Russland wegen Syrien verhängen würde, werden schon Gegenmaßnahmen angedroht.

Dass die USA für die Syrien-Gespräche auch die Beteiligung von Saudi-Arabien und Katar sowie Iran als wünschenswert betrachten, ist einerseits verständlich, um den Knoten aufzuschnüren, auch wenn Syrien und die Rebellen fehlen. Es macht aber auch klar, dass eine sowieso derzeit kaum denkbare Einigung über Aleppo die Konflikte der Regionalmächte im Irak, wo die Interessen von Kurden, schiitischen Milizen, Iran, Türkei und Bagdad vor der Offensive auf Mosul aufeinanderprallen, und im Jemen einer Lösung nicht näherbringen werden.

Huthis warnen die USA, Russland rüstet den Iran auf

Die USA versuchen nach außen hin ein wenig auf Distanz zu Saudi-Arabien wegen des Massakers auf dem Friedhof in Sanaa zu gehen, wollen aber die autoritäre Monarchie, die seit letztes Jahr mit einer Koalition nach dem Vorbild der USA einen Krieg gegen die Huthis und die mit den aufständischen Schiiten verbundenen Stämme und Teile des jemenitischen Militärs führt, nicht verärgern. Man überprüfe die militärische Unterstützung Saudi-Arabiens, aber gesteht den Saudis zu, dass sie ein "legitimes Sicherheitsproblem mit der Gewalt im Jemen" haben. Die Aufständischen würden Raketen über die Grenze schießen. Der Sprecher des Weißen Hauses vergisst aber dabei, dass diese Auseinandersetzungen erst mit dem Luftkrieg seitens Saudi-Arabiens und des Eindringens von Bodentruppen, meist Söldner, begonnen hat. Überdies würden sie ja selbst eine Untersuchung machen und womöglich Fehler einräumen.

Seit gestern sind die USA erstmals auch direkt in den militärischen Konflikt im Jemen eingetreten. Nachdem US-Kriegsschiffe mit Raketen von der jemenitischen Küste beschossen wurden, haben die Amerikaner mit Tomahawk-Marschflugkörper angeblich drei aktive Radarstationen zerstört, die mit den Angriffen verbunden werden (USA greifen in Jemen-Krieg ein). Das Pentagon beschuldigt die Huthi-Rebellen, dafür verantwortlich zu sein, diese haben sich zwar zu dem Beschuss eines saudischen Kampfschiffs bekannt, weisen die Behauptung zurück, dass sie die US-Kriegsschiffe angegriffen hätten. Die Huthi-Rebellen warnten Washington davor, weitere Angriffe auf Jemen auszuführen. Sanaa werde das Recht zur Selbstverteidigung ausüben und entsprechend reagieren.

S-300-Luftabwehrsystem. Bild: Kreml

Die iranische Marine schickt vermutlich als Reaktion Kriegsschiffe an den Golf von Aden und Bab al-Mandab, angeblich um Handelsschiffe und Öltanker zu sichern. Das sei nach Resolutionen des US-Sicherheitsrats möglich zur Bekämpfung von somalischen Piraten. Dazu kommt die vor allem in iranischen Medien verbreitete Meldung, dass Russland nun das Flugabwehr-Raketensystem S-300 vollständig an den Iran geliefert hat.

Das Raketensystem S-300PMU2 Favorit ist zur Verteidigung von Truppengruppierungen, strategischen Objekten, Militärstützpunkten und Industriebetrieben vor ballistischen Raketen und Marschflugkörpern, Drohnen sowie strategischen und taktischen Fliegerkräften bestimmt. Der Funkradar der S-300-Rakete kann Luftobjekte aus einer Entfernung von bis zu 300 Kilometern orten und deren Zugehörigkeit durch ein besonderes Erkennungssystem bestimmen. S-300-Raketen können aerodynamische Ziele aus drei bis 200 Kilometern, ballistische Ziele aus fünf bis 40 Kilometern und niedrig fliegende Objekte aus fünf bis 38 Kilometern treffen.

Beschreibung der Leistung durch Sputniknews

Das Abkommen datiert zurück auf 2007, Moskau hat den Verkauf lange hinausgezögert, da Israel und die USA wegen der iranischen Atompolitik dagegen protestierten. Nach dem Atomabkommen mit dem Iran und den steigenden Spannungen in der Region hat Moskau nun jede Zurückhaltung aufgegeben. Wie viele Systeme geliefert wurden, ist nicht bekannt. Kurz zuvor hatte Russland auch in Syrien ein S-300-System stationiert, schon im Dezember 2015 wurde nach dem Abschuss des russischen Jets durch ein türkisches Kampfflugzeug ein leistungsstärkeres S-400-System nach Syrien verlegt, was bereits als deutliche Drohung verstanden werden konnte. Sollten die S-300-Systeme im Iran wirklich einsatzfähig sein, wird man davon ausgehen können, dass der Iran sich nun sicherer fühlen wird und sich womöglich noch stärker im Jemen, im Irak und in Syrien engagieren wird.

Bombardierung der Begräbnisfeier ist Kriegsverbrechen

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat die Bombardierung des Friedhofs in Sanaa, bei der mehr als 140 Menschen getötet und über 500 verletzt wurden, als Kriegsverbrechen bezeichnet. Die westlichen Staaten werden aufgefordert, keine Waffen mehr an Saudi-Arabien zu liefern, das scharf verurteilt wird: "Nach unrechtmäßigen Angriffen auf Schulen, Märkte, Krankenhäuser, Hochzeiten und Häusern während der letzten 19 Monate hat Saudi-Arabien jetzt ein Begräbnis zu der immer größeren Liste von Missbräuchen hinzugefügt", sagte Sarah Leah Whitson von HRW. Bestritten wird auch, dass Saudi-Arabien die Vorfälle wirklich überprüft. HRW fordert eine unabhängige Untersuchung. HRW identifizierte mindestens eine der Bomben als eine GBU-12 Paveway II, eine Präzisionsrakete, die von den USA an Saudi-Arabien verkauft wurde.

Nach Reuters wurde das Weiße Haus bereits letztes Jahr gewarnt, dass Waffenlieferungen in Milliardenhöhe an Saudi-Arabien dazu führen können, dass die USA an Kriegsverbrechen beteiligt sind. Mitarbeiter des US-Außenministeriums seien auch skeptisch gewesen, ob das saudische Militär gegen die Huthi-Rebellen kämpfen könne, ohne Zivilisten zu töten und Infrastruktur zu zerstören. Juristen der US-Regierung seien aber nicht zu dem Schluss gekommen, dass die Unterstützung der saudischen Offensive die USA zu einer mitkämpfenden Partei nach internationalem Recht machen würde.

Nach dem Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Charles Taylor wegen Kriegsverbrechen, reicht es, schuldig zu werden, wenn praktische Hilfe oder moralische Unterstützung geleistet wird. Nach Reuters hat die US-Regierung just dieses Urteil einer Militärkommission in Guantanamo Bay eingereicht, um die Klage gegen Khalid Sheikh Mohammed und andere wegen der 9/11-Anschläge zu verstärken.