Aleppo: Radikal-islamistische Milizen bereiten Offensive vor

Screenshot al-Jazeera.

Nachdem sie die Zivilbevölkerung im Osten der Stadt mit Scharfschützen und Granaten davon abgehalten haben, die Evakuierungskorridore zu nutzen, kündigen sie nun eine Offensive an, unterstützt von Sponsor-Staaten

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Die von Russland initiierte Feuerpause in Aleppo läuft am Samstagabend, 22. Oktober, aus. Geht es nach jüngsten Informationen aus Kreisen der militärischen Gegner der syrischen Regierung wird sie wohl kaum verlängert: Denn eine Allianz der dschihadistisch-salafistischen Milizen, angeführt von Ahrar al-Sham, kündigte eine Offensive an, um die Versorgungsstraße Castello Road zurückzuerobern. Die al-Qaida-Miliz al-Nusra-Front wird sich an der Offensive beteiligen.

Die Informationen zum militärischen Vorhaben der Milizen können als verlässlich eingestuft werden, da sie von Charles Lister stammen. Der britische Nahostexperte und Autor des Buches "The Syrian Jihad" verfügt über sehr gute Kontakte in die Kreise der Milizen, die die syrische Regierung absetzen und einen islamistischen Staat in Syrien errichten wollen, bzw. ein Emirat, wenn es nach Vorstellungen der al-Nusra-Front-Führung geht.

Lister: Für eine "Strategie der Eskalation"

Listers Position ist von einer deutlichen Sympathie für die Gegner Assads bestimmt. Als Mitglied der Shaikh Group’s Track II Syria Initiative und des Brookings Institute, die eng mit der katarischen Herrscherfamilie verknüpft sind, eignet er sich wie kein zweiter als wertvoller Verbindungsmann zwischen einer Opposition, die Wert darauf legt, als moderat geschildert zu werden, und einer westlichen Öffentlichkeit, die in überwiegenden Teilen genau dies bestätigt haben will.

Er verfügt über sehr gute Verbindungen zum amerikanischen Militär und zu großen amerikanischen Medien, wie sein aktueller Artikel in der Washington Post, den er zusammen mit General John Allen verfasst hat, dokumentiert.

Der Artikel plädiert für ein größeres Engagement der USA in Syrien, für eine stärkere Unterstützung der oppositionellen Milizen, für die Absetzung von Baschar al-Assad, für Sanktionen gegen Russland - und zuletzt für die Option einer "Eskalation", ganz wörtlich: Die zweite Option - neben der Ermutigung der europäischen Partner zu einer eskalierenden Reihe von Sanktionen gegen Russland und Syrien - bestehe darin, Russland damit zu überraschen, dass die USA "den Konflikt eskalieren".

Die USA müssen den Status quo herausfordern und die Kriegsverbrechen des Regimes beenden, wenn nötig mit militärischer Gewalt.

Soweit zur Position Listers im Syrienkrieg. Wenn Lister nun mitteilt, dass auch die al-Nusra-Front bei der Offensive in Aleppo mit von der Partie ist, dann ist dies kein Manöver, um die oppositionellen Milizen im Sinne der "russischen Propaganda" als dschihadistisch geprägt zu diskriminieren, sondern eine verlässliche Information.

Die Allianz für die "entscheidende Schlacht"

Die anderen Milizen, die laut Lister die Angriffs-Allianz bilden, sind Ahrar al-Sham, Zinki, Jabhat al-Shamiya, die Free Idlib Army und Fastaqm Kama Umirt. Von Ahrar al-Sham ist bekannt, dass auch die Salafisten, die gerne mit den Taliban in Afghanistan verglichen werden wollen, über enge Kontakte zu al-Qaida verfügen. Nour al-Din al-Zenki, die durch die Enthauptung eines palästinensischen Jungen, einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde, folgt ebenfalls einer extremistischen islamistischen Agenda.

Die Nennung der anderen Gruppen, der Sham-Front und der beiden FSA-Gruppen, ist nicht wirklich beruhigend. Weil sie Empfänger von Waffenlieferungen der CIA sind und ihre Verbindungen zu den religiösen Extremisten wie ersichtlich sehr eng. Die militärische Führerschaft von al-Nusra und Ahrar al-Sham wird von keinem Beobachter in Zweifel gezogen, auch nicht dass sich alle Gruppen in Aleppo der Sharia als gemeinsame Richtline - und zwar in einer rigiden Ausprägung - unterworfen haben.

Laut Al-Jazeera erklärte der Al-Nusra-Kommandeur in Aleppo den "kommenden Kampf zur entscheidenden Schlacht, die die Regierung und ihre Verbündeten überraschen wird.

Die Kriegsgegner Assads und seiner Regierung hatten von Anfang an klargemacht, dass sie von der humanitären Pause in Aleppo "nichts halten und sich zu nichts verpflichtet fühlen", wie al-Jazeera berichtet. Die von der syrischen Regierung bereitgestellten acht humanitären Korridore, sechs für Zivilisten, zwei für Mitglieder der Milizen, wurden angegriffen, ebenso die Busse, die dafür bereitgestellt wurden.

Zivilisten, die als Geiseln gehalten werden

Dies wurde gestern von mehreren Quellen bestätigt. Da bei solchen Meldungen immer auch der Verdacht oder der Vorwurf geäußert wird, sie seien bloße Propaganda einer Kriegspartei, soll in diesem Fall auf einen Berichterstatter verwiesen werden, nämlich Dan Rivers, der Zeuge von Mörserangriffen auf Busse war und dies auch aus einer größeren Perspektive bestätigte.

Rivers hält sich als Reporter in Aleppo auf und sein Bericht über die Situation dort, der im britischen Mirror erschien, mag manchem nicht gefallen, weist den Journalisten aber als jemanden aus, der gewiss nicht im Dienste des russischen Verteidigungsministeriums arbeitet.

Auch in seiner aktuellen Reportage aus der Stadt werden russische Angriffe in drastischen Worten geschildert, erneut ist dort auch die Rede von Scharfschützen, die auf Evakuierungswillige feuerten, von Granatenbeschuss auf die Zivilbevölkerung, die in der Busse waren und "von Zivilisten die in Schrecken davonliefen". Bestätigt wird das Feuer der "moderaten Milizen" auf die Zivilisten, die nach West-Aleppo wollten, hier und hier.

Mobilisierung mit substantieller Unterstützung der Regionalstaaten

Die Milizen, die die Bevölkerung in Ost-Aleppo wie Geiseln hält, braucht Nachschub für ihre Kämpfer. Derzeit laufe eine Generalmobilisierung, wie mitgeteilt wird. Bei Charles Lister ist von abschließenden Vorbereitungen die Rede und davon, dass "regionale Staaten substantielle Unterstützung für die Offensive geliefert hätten.

Die vereitelte Waffenruhe, so berichtet der US-Journalist Sam Heller, habe die "syrischen Rebellen und die USA wieder einander nähergebracht". Weitere Gräueltaten sind also zu erwarten. Sie werden auch künftig von deutschen Politikern und den größeren Medien wenig beachtet bleiben, wie es aussieht. Das Putin-Kino, das Merkel für ihren Wahlkampf aufzieht, ist leichter an die Öffentlichkeit zu vermitteln - dank solcher Experten wie Charles Lister.