Erdogan: "Aleppo gehört dem türkischen Volk"

Scheich al-Muhaysini: "Alle Gruppen müssen einer Linie folgen". Screenshot aus seiner Videobotschaft

Die türkische Armee setzt die territorialen Aspirationen ihres Präsidenten militärisch im Norden Syriens um. Als Helfer bieten sich die Dschihadisten an

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Vor der Präsidentschaftswahl konzentrieren sich die militärischen Operationen der USA auf Mosul, für Aleppo hat man keine Pläne, soweit die Informationen der Washington Post zutreffen. Die Zeitung berichtet von einem kürzlichen Treffen Obamas mit seinem nationalen Sicherheitsteam, das ohne Entscheidungen blieb.

Der Plan B

Angeblich wurde über einen Plan B debatiert, der darin besteht, das geheime CIA-Programm mit syrischen Milizen auszubauen, wörtlich ist von "escalating" die Rede. Allerdings soll der Vorschlag auf Skepsis in der Regierung getroffen sein. Obama, so der Eindruck, den die Zeitung von ihren Quellen bezieht, neige dazu, die Sache seiner Nachfolgerin bzw. seinem Nachfolger im Amt zu überlassen. Das Risiko, dass Plan B zu einem militärisch gefährlichen Konflikt mit Russland führen könnte, sei zu groß.

Die Befürworter des Plans sind bekannt: Verteidigungsminister Ashton B. Carter (der gerade beim Golfstaaten Partner Dubai zu Gast ist, um über die Region zu sprechen) und CIA-Chef John Brennan. Außenminister Kerry, der früher auch dazu zählte, soll jetzt auf Seite der Skeptiker zu finden sein.

"CIA-Einheiten tragen nur zum Blutbad bei. Was machen sie besser?"

Als interessante Äußerung von diesem Treffen wird die Aussage eines namentlich nicht genannten ranghohen Regierungsvertreters genannt, der verlangte, dass man einen "gnadenlosen Blick" darauf richten müsse, ob denn die von der CIA unterstützten Kämpfer tatsächlich noch als "moderat" betrachtet werden könne oder ob denn das CIA-Programm mehr erreichen kann, als dem Gemetzel in Syrien weitere Blutbäder hinzuzufügen.

Die CIA-Einheiten würden "auf dem Kampffeld nichts besser machen, sie kämpfen gegen einen überlegenen Gegner und werden mehr und mehr von Extremisten dominiert". So stelle sich die Frage, was aus diesem Programm geworden ist und was die Geschichte darüber sagen wird.

Ein anderer Regierungsvertreter blieb dabei: "Die FSA ist das einzige Mittel, mit dem man (unsere) Ziele erreichen kann." So wird es also auch bei der Mainstream-Berichterstattung dabei bleiben, dass die FSA, trotz aller dem widersprechender Fakten, weiterhin als "moderat" etikettiert und so eine Schimäre aufrecht erhalten wird. Das Thema. "Trennung der Opposition", das zum Scheitern der Abmachung zwischen den USA und Russland geführt hat, ist vom Tisch.

Erdogan auf Eroberungskurs

So wird auch der türkische Präsident Erdogan weiter von FSA-Truppen sprechen, wenn verkleidete Islamisten und Dschihadisten bei der von der Türkei geführten Operation Euphrates Shield in der Provinz Aleppo auf Eroberungskurs gehen und sich Aleppo nähern.

Anders als die scheidende US-Regierung derzeit hält sich Erdogan nicht mit markigen Ankündigungen und der Verkündigung gewagter Ansprüchen zurück, wenn es um seine Visionen zu Syrien geht. So sprach er nun auch in einer offiziellen Rede davon, dass nicht nur das irakische Mosul (vgl. Erdogan meldet Anspruch auf Mosul an), sondern auch das syrische Aleppo dem türkischen Volk gehöre.

Wie in heutigen Zeiten Syrer und Iraker vom IS-Kalifat von ihrem Zuhause in den beiden Städten vertrieben wurden, so sei das früher Türken in denselben Städten ergangen. Instruktiv für Erdogans Auffassung von "überkommenen Grenzen" ist dieses kurze Video einer seiner Ansprachen (mit englischen Untertiteln).

Mittlerweile nehmen auch US-Magazine den aggressiven Nationalismus und die osmanischen Reichs-Phantasien von Erdogan (vgl. Der Traum vom Großtürkischen Reich) zum Anlass für längere Artikel. Präsentiert werden Karten, die Erdogan als Vorlage für seine Vorstellungen dienen - mit Mosul und Aleppo auf türkischem Gebiet.

Syrische Dschihadisten und die Zusammenarbeit mit der Türkei

Was die syrischen Dschihadisten von solchen Expansionsplänen konkret halten, ist weniger bekannt. Für sie ist zunächst wichtiger sein, dass sie mit der türkischen Regierung zwei Feinde, Baschar al-Assad und die kurdischen Verteidigungsverbände, und das Nahziel der Eroberung der Versorgungswege, des Umlands von Aleppo und der Stadt. Etwaige ideologische Hindernisse, die dem Bund im Weg stehen, werden ausgeräumt.

Hatte Ahrar al-Sham vor ein paar Wochen hochoffiziell verkündet, dass eine Allianz der syrischen Dschihadisten (aka für den Westen: "Revolutionäre") mit türkischen Truppen erlaubt sei, so folgte darauf noch einiges korrigierendes Murren und Widerstände von Vertretern der al-Nusra-Front.

Der al-Qaida-Prediger, - Anwerber und enabler, Scheich al- Muhaysini, laut Kennern der Szene "eine große Nummer bei der Allianz Jaish al-Fatah" (angeführt von al-Nusra), hat nun per Video ein paar Weisungen für den Dschihad in Syrien erteil. Dazu gehört unter anderem das Edikt, dass die Türkei nicht angegriffen werden soll, weil das "nicht im Interesse der Muslime" liege.

Inwieweit das auch als geistlich abgesegnete Erlaubnis oder Ermunterung zur Zusammenarbeit von al-Qaida-Milizen mit türkischen Streitkräften verstanden wird, kann man künftig daran beobachten, dass die Zusammenarbeit zwischen Dschihadisten und der Türkei noch ausgebaut wird. Anzeichen dafür gibt es.

Welche Spielräume hat Putin Erdogan zugestanden?

Beiden Seiten dürften allerdings darauf bedacht sein, die Kooperation in der Außendarstellung nicht allzu offensiv zu vertreten, wie dies Muhaysini vormacht. Denn mit dieser Kooperation kann Russland als Unterstützer der syrischen Regierung nicht einverstanden sein.

So stellt sich erneut die Frage, welche Handlungsspielräume Putin beim Treffen mit Erdogan seinem türkischen Amtskollegen eingeräumt hat. Zum typischen "Divergierende-Interessen-Knäuel" kommt, dass Russland die syrischen Kurden unterstützt, angeblich selbst gegen die Interessen der syrischen Regierung.

Indessen beklagt und verurteilt der kurdische Nationalrat in Syrien (KNC) türkische Bombardements in der Region Aleppo.

Die USA ließen über den Außenministeriumssprecher John Kirby verlauten, dass man "Manöver türkischer Truppen in Nordsyrien weder unterstützt noch billigt". Man sei beunruhigt.