Kohle und Erdöl müssten in der Erde bleiben

Oben: Die Jahresmittel der globalen Durchschnittstemperatur aus verschiedenen Datensätzen, dargestellt als Abweichung vom Mittel der Jahre 1961 bis 1990. Auffällig ist der starke Anstieg der letzten drei Jahrzehnte, der durch Schwankungen überlagert ist. Unten: Die gleichen Daten, nun jedoch jeweils über ein Jahrzehnt gemittelt. Bild: IPCC

Klimawissenschaftler geben in ihrem jüngsten Bericht einen Überblick über unsere Kenntnis des Klimasystems und den Klimawandel. Nebenbei konkretisieren sie das von den Staaten beschlossene Zwei-Grad-Ziel

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Der IPCC, salopp meist UN-Klimarat genannt, hat, wie berichtet, am Freitag den ersten Teil seines neuen Sachstandberichts vorgelegt. Die Arbeitsgruppe I, in der die Geowissenschaftler sitzen, gibt in diesem mit den Anhängen rund 2000 Seiten umfassenden Werk einen Überblick über den aktuellen Kenntnisstand der internationalen Wissenschaften über die physikalischen Grundlagen des Klimasystems und die Veränderungen, die in ihm vorgehen.

Der IPCC, das heißt, der Zwischenstaatliche Ausschuss für Fragen des Klimawandels (Intergovernmental Panel on Climate Change) ist eine internationale Organisation in der mit 195 Mitgliedern so ziemlich alles Staaten vertreten sind. Seine Aufgabe ist es, für Politiker in aller Welt den aktuellen Stand des Wissens zusammenzufassen. Die Regierungen wählen einen Vorstand, der dann aus den Listen der von der Regierung vorgeschlagenen Autoren auswählt, wer den nächsten Bericht schreibt.

Im Falle der Arbeitsgruppe I waren das allein 259 Hauptautoren aus 39 Ländern und weitere 600 beitragende Autoren, die den Bericht geschrieben und sich in zwei Überarbeitungsprozessen mit nicht ganz 55.000 Kommentaren von Experten und Regierungen auseinander gesetzt haben. Ehrenamtlich übrigens. Der IPCC hat nur ein kleines Sekretariat mit 12 Mitarbeitern, das bei der Weltmeteorologie-Organisation (WMO) in Genf angesiedelt ist. Die Wissenschaftler schreiben den Bericht neben ihrer üblichen Arbeit an Universitäten und Forschungsinstituten. Für die Reisen von Wissenschaftlern aus Entwicklungsländer zu den notwendigen Treffen gibt es einen Fonds.

Cover des neuen Berichts. Bild: IPCC

Zielmarke

Aber kommen wir zum Inhalt der Zusammenfassung, die am Freitag veröffentlicht wurde. Der eigentliche Bericht wird in seiner endgültigen Fassung erst im Januar folgen. Ab dem heutigen Montag wird er aus der IPPC-Seite als Entwurf abzurufen sein.

Das Wichtigste vor weg: Der IPCC benennt ,gestützt auf die wissenschaftliche Literatur, umfangreichen Entwürfen für Emissionsszenarien und Berechnungen der Klimamodelle der diversen Gruppen, die sich beteiligten, erstmalig eine Zielmarke, eine Menge an Treibhausgasen, die noch emittiert werden dürfen, wenn das 2-Grad-Ziel eingehalten werden soll. Demnach dürften noch 269 Milliarden Tonnen Kohlenstoff (987 Milliarden Tonnen CO2) emittiert werden, wenn es eine Chance von mehr als 66 Prozent geben soll, dass das Ziel eingehalten wird. Wollte man ganz sicher sein, müssten die Emissionen noch drastischer begrenzt werden Knapp eine Billion Tonnen CO2 hört sich nach einer gewaltigen Summe an, doch das täuscht. Nach Angaben des UN-Umweltprogramms UNEP betrugen 2010 die weltweiten Emissionen aus allen Quellen (fossile Energieträger, Zementproduktion und Entwaldung hauptsächlich) 50,1 Milliarden Tonnen CO2. Demnach könnte die Menschheit noch gerade 20 Jahre so weiter machen wie bisher und müsste dann alle Emissionen von einem Tag auf den anderen einstellen. Das ist natürlich kein realistisches Szenario. Bestenfalls noch möglich wäre, den weiteren Anstieg so bald wie möglich anzuhalten und dann die Emissionen möglichst rasch zurück zu fahren.

Oder wie die Nachrichtenagentur "Bloomberg" es formuliert: Der größte Teil der bekannten Öl-, Gas- und Kohlevorräte müsste in der Erde bleiben. Deutschland könnte ja mit gutem Beispiel vorangehen und den Abbau der Braunkohle stoppen. Die hat ohnehin von allen fossilen Energieträgern die mieseste Umweltbilanz und den schlechtesten Brennwert. Dann dürfte allerdings nicht die Energiewende ausgebremst werden, wie es diverse Wirtschaftsverbände immer lauter fordern (Nach der Wahl: Quo vadis Energiewende?).

Wie der IPCC rechnet

Wie kommt der IPCC auf die Zielmarke von knapp einer Billion Tonnen CO2? In verschiedenen sogenannten repräsentativen Konzentrationspfaden wurden zunächst Szenarien entwickelt, die die verschiedenen Treibhausgasemissionen, von denen CO2 die wichtigste, aber nicht die einzige ist, mit Modellen unter anderem der Luftchemie und des Kohlenstoffkreislaufs verbindet. Dadurch ergeben sich detaillierte räumliche und zeitliche Datensätze - inklusive der jeweiligen Unsicherheiten - die in komplexe Klimamodelle eingespeist werden können. Das heißt, die Konzentrationspfade geben sozusagen einen Teil der Randbedingungen für das Klima vor. (Andere Randbedingungen sind die Sonneneinstrahlung, die Verteilung von Land und Ozeanen und so weiter.)

Mit diesen jeweils identischen Datensätzen wurden dann die Modelle verschiedener Wissenschaftlergruppen angetrieben und die Ergebnisse gemittelt. Die Modelle unterscheiden sich oft in Einzelheiten, wie etwa der Frage, wie kurzlebige Aerosole oder Treibhausgase behandelt werden. Der Vergleich und die Mittlung ergeben eine zusätzliche Aussage über die mögliche Bandbreite der Entwicklung für jeweils einen Konzentrationspfad.

Mit diesen Berechnungen lässt sich schließlich ermitteln, welche Treibhausgasemissionen in der Atmosphäre in etwa welcher globalen Temperaturentwicklung entsprechen. Unter anderem fließt darin auch ein, dass knapp die Hälfte der CO2-Emissionen von den Ozeanen und der Biosphäre aufgenommen werden. Bei den Ozeanen sind sich die Wissenschaftler relativ sicher, dass dies auch in einem wärmeren Klima so bleiben wird. Bei der Biosphäre gibt es hingegen größere Unsicherheiten. Aus der Untersuchung unserer Klimageschichte wissen wir, dass über den Zeitraum von Jahrhunderten und Jahrtausenden gemittelt ein wärmeres Klima zu höheren Kohlendioxid-Konzentrationen in der Atmosphäre führt. Abhängig vom verwendeten Szenario verbleiben 15 bis 40 Prozent der CO2-Emissionen länger als Tausend Jahre in der Atmosphäre.

Das Ergebnis dieser Berechnungen: Wenn wir noch eine kleine Chance von über 33 Prozent haben wollen, dass die globale Erwärmung auf zwei Grad über dem durchschnittlichen Niveau der Jahre 1861 bis 1880 begrenzt werden soll, dann dürfen die Gesamtemissionen 5725 Milliarden Tonnen CO2 nicht übersteigen. Soll die Wahrscheinlichkeit mehr als Fifty-Fifty betragen, müssen die Emissionen auf maximal 4440 Milliarden Tonnen CO2 begrenzt werden. Und soll schließlich die Möglichkeit, dass Ziel zu erreichen, auf über 66 Prozent erhöht werden, dann dürfen die CO2-Emissionen 3670 Milliarden Tonnen nicht mehr überschreiten. Über die Hälfte davon, 1949 Milliarden Tonnen, haben wir, das heißt vor allem die Industriestaaten, in den letzten 150 Jahren bereits emittiert. Bleiben also noch 1721 Milliarden Tonnen. Berücksichtigt man schließlich noch die anderen Treibhausgase, Aerosole usw., die ebenfalls Ergebnis menschlicher Aktivitäten sind und das Klima beeinflussen, dann bleiben nur noch die oben erwähnten knapp 1000 Milliarden Tonnen CO2, die wir uns noch leisten können.

Die Angaben in der Zusammenfassung des IPCC-Berichts sind übrigens meist in Tonnen Kohlenstoff. Da hierzulande die Emissionen meist in Tonnen CO2 angegeben werden, wurden die Werte für diesen Beitrag mit dem Umrechnungsfaktor 3,67 multipliziert.

Beobachtungen

Aber im Grunde genommen ist diese Zielmarke nur ein Aspekt von vielen, die die Wissenschaftler in der Zusammenfassung ihres Berichts ansprechen. Andere Fragen beschäftigen sich mit der Unumkehrbarkeit vieler Vorgänge, mit den Kenntnissen über die Kohlenstoff- und Wasserkreisläufe, mit dem Verständnis des Gesamtsystems, mit den erwarteten Veränderungen oder mit den verschiedenen von Menschen verursachten "Antrieben" des Klimasystems. Hier fällt zum Beispiel auf, dass die Unsicherheit in der Rolle des CO2 im Vergleich zum letzten Sachstandbericht etwas größer geworden zu sein scheint, und zwar erschreckender Weise im oberen Bereich. Das heißt, dass der Einfluss auch noch etwas größer als bisher gedacht sein könnte.

Schließlich listet die Zusammenfassung auch eine Reihe von Veränderungen auf, die bereits beobachtet werden. Am prominentesten ist hier mit Sicherheit der Anstieg der Oberflächentemperatur oder genauer: der übers ganze Jahr und den ganzen Planeten gemittelten Lufttemperatur in zwei Metern Höhe über dem Boden. Der Bericht verweist darauf, dass die letzten drei Jahrzehnte jeweils deutlich wärmer als das vorhergehende waren (siehe Abbildung). Außerdem betont er, dass die Oberflächentemperatur natürliche Variabilität von Jahr zu Jahr und auch von Jahrzehnt zu Jahrzehnt aufweist. Aussagen über den Trend hängen daher sehr von der gewählten Periode und den Anfangswerten ab.