EU sucht Polizeieinheiten der Mitgliedstaaten für "robuste Missionen"

Militärs wünschen sich mehr Spezialtruppen und "Nischenkapazitäten". Zur Diskussion steht ein Kooperationsabkommen mit der Europäischen Gendarmerietruppe

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Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) hat einen Fragebogen veröffentlicht, in dem die 27 Mitgliedstaaten zu ihren Kapazitäten für "robuste Missionen" antworten sollen. Gesucht werden Einheiten, die im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) eingesetzt werden können. Dabei handelt es sich um Einsätze außerhalb der Europäischen Union, die unter militärischem Kommando stehen.

Polizeimissionen innerhalb der GSVP werden gegenwärtig in Afghanistan, im Kosovo, im Irak oder in den Palästinensischen Gebieten durchgeführt. Im Juli begann eine ähnliche Operation in Libyen, die erstmals auch die EU-Grenzschutzagentur Frontex einbindet (Deutsche Polizei hilft bei militärischer Grenzsicherung in Libyen).

Grundlage der EU-Missionen ist ein zunächst geheim gehaltenes Konzept von 2005 für die schnelle Verlegung von Polizeikräften ins Ausland. Offensichtlich rechnet die EU mit weiteren Einsätzen und noch mehr benötigten Kapazitäten und bittet nun die Mitgliedstaaten um entsprechende Informationen. Das 2005 noch geheime Papier wurde hierzu öffentlich zugänglich gemacht.

Beliebt für Einsätze in Bürgerkriegsszenarien

Der von der britischen Bürgerrechtsorganisation Statewatch veröffentlichte Fragebogen ist auf Mai diesen Jahres datiert und müsste mittlerweile beantwortet sein. Gesammelt werden Daten zu sogenannten "Integrated Police Units" (IPU) sowie "Formed Police Units" (FPU).

Als "Integrated Police Units" gelten gemeinhin Gendarmerien die dem Militär unterstehen, aber Aufgaben der öffentlichen Sicherheit wahrnehmen. Sie sind für Einsätze in Bürgerkriegsszenarien besonders beliebt, da sie über ein breites Aufgabenspektrum verfügen, besonders ausgebildet sind und automatische Waffen mitführen dürfen. In der EU verfügen Italien, Frankreich, Portugal, Spanien, Litauen, Rumänien, Polen sowie die Niederlande über entsprechende Einheiten.

"Formed Police Units" sind Einheiten der Bereitschaftspolizei, die gewöhnlich nicht in Krisenregionen entsandt werden dürfen und einem zivilen Kommando unterstehen müssen. Ihr Aufgabenspektrum erstreckt sich ebenso auf die Gewährleistung öffentlicher Sicherheit oder Informationsbeschaffung. Nach einer Befriedung kriegerischer Auseinandersetzungen können FPU jedoch auch zur Bekämpfung von Unruhen und Aufständen eingesetzt werden. Im Gegensatz zu den IPU-Kräften verfügen sie meist nicht über entsprechende Logistik für Einsätze in Krisenregionen.

Deutschland unterhält mit seiner Auslandshundertschaft der Bundespolizei ebenfalls über eine "Formed Police Unit". Bislang dürfen derartige Einheiten aber nur Ausbildungsmaßnahmen durchführen, häufig müssen sie dabei vom Militär geschützt werden. Deutsche Polizisten haben aber bereits mehrmals an wochenlangen "European Union Police Forces Trainings" (EUPFT) teilgenommen. Die Trainings fanden von 2008 bis 2010 statt und wurden von der EU-Kommission finanziert. Ziel war, EU-weite Standards für Angehörige von Polizei und Gendarmerie in polizeilichen Großlagen entwickeln (Bundespolizei lädt zum Häuserkampf) .

Gendarmerietruppe wird Teil zivil-militärischer EU-Strukturen

Zur Jahrtausendwende hatten Italien und Frankreich vorgeschlagen, die IPU-Kräfte der Mitgliedstaaten in einer EU-Truppe zu bündeln. Der Vorschlag fand keine Mehrheit. Dennoch schlossen sich die Länder in der Europäischen Gendarmerietruppe (European Gendarmerie Force, EGF) zusammen. Die Truppe hat ihr Hauptquartier im italienischen Vicenza. Sie agiert außerhalb des EU-Rechtsrahmens und untersteht damit nicht der Kontrolle des EU-Parlamentes. Trotzdem wird sie an die EU ebenso "ausgeliehen" wie an die NATO. Frühere Einsätze führten die EGF nach Bosnien, Afghanistan oder Haiti (Europäische Gendarmerietruppe wird zur kasernierten Einheit).

Die Europäischen Gendarmerietruppe führt einen sogenannten "Catalogue of Capabilities", eine Art Register über "quantitative und qualitative Kapazitäten". Der nun vorliegende EU-Fragebogen dockt an diese Aufstellung an und fragt nach jenen Kräften, die dort noch nicht gelistet sind. Falls der Bedarf der EU an "robusten" Polizeieinheiten nicht aus den Mitgliedstaaten gedeckt werden kann, zieht der Auswärtige Dienst ein Kooperationsabkommen mit der EGF in Erwägung. Damit würde die Truppe endgültig in zivil-militärische EU-Strukturen einverleibt.

Von Interesse sind außerdem Teams von "nationalen und multinationalen Experten". Hier handelt es sich um polizeiliche Spezialeinheiten der EU-Mitgliedstaaten, wie sie in Deutschland in der GSG 9 oder in Österreich in der COBRA bestehen. Die Einheiten sind auf EU-Ebene in der "ATLAS-Gruppe" organisiert , die jedes Jahr gemeinsame Übungen abhält. Zu den Gründerstaaten der ATLAS-Gruppe gehören Deutschland, Dänemark, Spanien, Belgien, Schweden und Frankreich. Die letzte in Deutschland abgehaltene Übung fand 2010 auf einem Gelände der Bundeswehr statt, die damals für Unterkunft und Verpflegung sorgte und "logistische Unterstützungsleistungen" erbrachte.

Feldjäger auf "Ausschaltung eines gegnerischen Ziels" spezialisiert und daher unbrauchbar

Immer wieder wird laut über die zukünftige Verwendung deutscher Polizisten unter militärischem Kommando nachgedacht. Die "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP) hatte hierzu eine Studie vorgelegt. Unter dem Titel "Gendarmerieeinheiten in internationalen Stabilisierungsmissionen - Eine Option für Deutschland" schlägt Verfasserin Ronja Kempin vor, zukünftig Truppen der Bundespolizei oder der GSG 9 unter militärisches Kommando zu stellen. Sollte der hierfür erforderliche "robuste Selbstschutz", der beispielsweise den Einsatz automatischer Waffen gegen Aufständische einschließt, politisch nicht durchsetzbar sein, könnte stattdessen die "Militärpolizei der Bundeswehr funktional erweitert" werden. Feldjäger hätten in Afghanistan gezeigt, dass ihr "militärischer Status nützlich" sei und sie daneben grundlegende polizeiliche Aufgaben erfüllen.

Den Militärs mangele es laut der SWP-Studie allerdings an "kriminalpolizeilichen Fähigkeiten", die Soldaten seien auf "letale Gewalt" und "Ausschaltung eines gegnerischen Ziels" spezialisiert. Die also zu erwartenden Kollateralschäden im militärpolizeilichen "Kampf gegen das organisierte Verbrechen" seien der Zivilbevölkerung im Einsatzgebiet und der Heimatfront schwer zu vermitteln. Politisch drohe Deutschland ein Bedeutungsverlust in der NATO, sollte die Bundesregierung nicht beispielsweise mit "einigen hundert Gendarmen" in Afghanistan aushelfen.

Jedoch interessiert sich der Auswärtige Dienst der EU nicht nur für Polizeikräfte: Abgefragt werden auch weitere, zivile "Nischenkapazitäten", um diese in den Dienst der Aufstandsbekämpfung zu stellen. Hierzu könnten akademische Einrichtungen oder Ausbildungsprogramme gehören. Der EAD wünscht sich Hilfe zu den Bereichen Konfliktprävention, Menschenrechte, Cybersicherheit, Küstenwache, Organisierte Kriminalität oder Forensik. Auch auf EU-Ebene werden derartige Maßnahmen durchgeführt und könnten in die nun abgefragten Kontingente einfließen. Allerdings würden sie in diesem Fall zweckfremd genutzt, denn sie dienen eigentlich der Unterstützung von Drittstaaten und nicht der EU.

Einsatz auch in EU-Mitgliedstaaten?

Die neuerliche Initiative zur Auflistung von polizeilichen "robusten Kapazitäten" ist laut offizieller Mitteilung auf Drittstaaten außerhalb der EU ausgerichtet. Allerdings haben die EU-Militärs zusammen mit der EU-Kommission letztes Jahr einen Vorschlag zur Ausgestaltung der sogenannten "Solidaritätsklausel vorgelegt. Die Organe der Europäischen Union bzw. ihre Mitgliedstaaten werden dadurch verpflichtet, einander im Falle eines Schadensereignisses zu unterstützen (Bald EU-Aufstandsbekämpfung bei Generalstreiks und Schweinegrippe?).

Die mitgelieferte Definition einer "Katastrophe" ist als "jede Situation, die schädliche Auswirkungen auf Menschen, die Umwelt oder Vermögenswerte hat oder haben kann" beschrieben. Die Definition einer "Krise" als Auslöser deckt alle weiteren denkbaren Bedrohungen ab, darunter jede "ernste, unerwartete und häufig gefährliche Situation, die rechtzeitige Maßnahmen erfordert" und die "wesentliche gesellschaftliche Funktionen betreffen oder bedrohen kann.

Es scheint, dass sich die EU mit den ATLAS-Übungen, aber auch dem jetzigen Fragebogen auf die Umsetzung der Solidaritätsklausel vorbereitet: Denn die Antwort auf "Krisen" in den Mitgliedstaaten schließt den Einsatz polizeilicher, geheimdienstlicher und militärischer Mittel ein.