Fragwürdiger Beistand

"Christliche Drogenhilfe" als Alternative zu herkömmlichen Therapien?

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Die Querelen um die Zwölf Stämme und die Heime der Haasenburg GmbH sind vor einigen Wochen durch die Presse gegangen, die Entdeckungen in Reformschulen und in katholischen Internaten sind noch gut in Erinnerung. Aber es muss nicht immer der große Skandal sein, der zum Nachdenken über den Stand von Erziehung und Therapie in diesem Land anregen kann.

Da gibt es zum Beispiel in Leonberg bei Stuttgart eine Einrichtung namens "Weg zur Freiheit - Therapeutische Einrichtung für Suchtkranke". Während die Website auf den ersten Blick die gepflegte Langeweile von tausend anderen Angeboten ihresgleichen ausstrahlt, fördern der zweite und der dritte Blick doch gewisse Besonderheiten zutage.

Therapie auf christlicher Basis

So definiert man sich nicht nur offensiv als "Einrichtung der christlichen Drogenhilfe", sondern schleust die ausschließlich männlichen Abhängigen schon vor Beginn der "Therapie auf christlicher Basis" durch ein sogenanntes "Vorsorge/Brückenhaus", dessen Entstehung so beschrieben wird:

Wir sind eine "ganz normale" Familie und gehen unseren Lebensweg mit Gott. Seit 2003 haben wir ein Herz für Suchtkranke. Unser ältester Sohn war auch abhängig: 
Wir erlebten die Hilflosigkeit und die mangelnde Begleitung der Betroffenen zum richtigen Weg! Durch unsere lebendige Beziehung zu Gott erlebten und erfahren wir immer wieder gemeinsam mit unseren Gästen, dass Gott für jedes Leben eine Lösung hat.

Neben der sanften Einführung durch die "ganz normale Familie" "in ein geordnetes Familienleben ohne Drogen" und der "Suche nach einem geeigneten Therapieplatz", stehen die Gottesdienstbesuche in einer freikirchlichen Gemeinde und die "lebendige und schöne Beziehung zu Gott" ganz oben auf der Tagesordnung. Dass Gott so ermüdend häufig als Gewährsmann für Menschenwerk bemüht wird, ist kein Wunder: "Weg zur Freiheit" begreift sich in Gänze als "Bereich des Gospel Forums, einer Freikirche evangelikaler Ausrichtung in Stuttgart".

Nicht nur die allgemeine Sättigung mit religiöser Rhetorik mag öffentliche oder sonstige Kostenträger davon abgehalten haben, die "Therapie auf christlicher Basis" zu finanzieren. Das "Gospel Forum" (früher Biblische Glaubensgemeinde Stuttgart, BGG) ist durch Homophobie, hysterischen Heilungszirkus und Organisationsstrukturen in eine Kritik geraten, die ansonsten eher Sekten vorbehalten ist.

Arbeit und Dienstleistungen

Der Besuch von Thorsten Eppert für das ZDF-Magazin "Neo" in der Stuttgarter Zentrale klärt über den Geist auf, der dort herrscht, ob der nun heilig ist oder nicht. Und das "Gospel Forum" hat, wie viele Vereinigungen dieser Art, auch seine Aussteiger, die wenig Erbauliches über die Gemeinde berichten.

Dass ihre Bemühungen nicht von den Krankenkassen bezahlt werden, ficht die christlichen Therapeuten nicht an - sie haben einfach eine gGmbH (gemeinnützige GmbH) gegründet, in der sich die Patienten ihre Therapie selbst verdienen.

Die "BGG Dienstleistungen gGmbH" (die Übereinstimmung mit dem alten Namen der Muttervereinigung mag Zufall sein) verlangt für ihre Dienstleistungen (Entrümpelungen, Baumfällarbeiten, Gartengestaltungen etc.) 23 Euro pro Stunde, wenn sie von den Hilfskräften (d.h. den Patienten) erbracht worden sind, und 30 Euro, wenn die BGG-eigenen Fachkräfte Hand angelegt haben. Alternativ wird auch zum "Festpreis" gearbeitet (Einfügung des Autors: Die BGG gGmbH ist inzwischen offenbar umbenannt worden und firmiert nun als Zweckbetrieb von "Weg zur Freiheit" unter dem Namen "WZF Dienstleistungen". Die Bezifferung von konkreten Stundenhonoraren ist entfallen, stattdessen ist jetzt allgemein von "fairen Preisen" die Rede.)

Dass die sieben Stunden Arbeit pro Tag, die die Patienten abzuleisten haben, als Bestandteil der Therapie selbst gesehen werden, versteht sich. Zusätzlich wirbt die Einrichtung Spenden ein.

Fragen

Was unter "Therapie auf christlicher Basis" zu verstehen ist, welche Ausbildung die Therapeuten genossen haben, ob es eine externe Kontrolle der Methoden und Erfolge der Einrichtung gibt, warum nur Männer in die Einrichtung aufgenommen werden, welche Anteile des Finanzaufkommens durch Spenden abgedeckt werden, wie viel die Patienten von dem Geld, das die BGG gGmbH mit ihrer Arbeitsleistung erwirtschaftet, für sich behalten dürfen, ob etwas für das Leben nach der Therapie angespart wird, ob die Patienten Angestellte der BGG gGmbH und ob sie kranken-, unfall- und sozialversichert sind - das kann man ja alles mal fragen.

Vor allem, wenn man sich vor Augen hält, dass inklusive Vor- und Nachsorge beim "Weg zur Freiheit" unter Umständen eine Therapiezeit von mehreren Jahren zusammenkommt. Man kann das fragen, bekommt aber keine Antwort - jedenfalls ging das mir so.

Das ist schade, denn möglicherweise hätten Informationen der Verantwortlichen selbst bei der Klärung der Frage geholfen, ob es sich beim "Weg zur Freiheit" tatsächlich um eine Institution handelt, die Süchtige therapiert, oder eigentlich um etwas anderes.

Auch herkömmliche Therapiemethoden legen großen Wert darauf, dass Süchtige den Weg zu einem "normalen" Alltag finden, und das hat oft mit einer Beschäftigung zu tun, die bei der Strukturierung dieses Alltags hilft. Es ist allgemein anerkannt, dass Suchttherapie schwierig ist und lange dauert - eine Sucht entwickelt sich nicht über Nacht, und ein Abhängiger kommt dementsprechend auch nicht über Nacht davon los.

Sucht als Sünde

Aber beim "Weg zur Freiheit" lassen doch einige Eigenheiten aufhorchen. Die Ausgestaltung der Therapie passt meiner Einschätzung nach gut zu einer Idee von der Sucht als Sünde, die durch Buße wieder gut gemacht werden muss. Die Süchtigen wären dann auch keine Kranken, die ein Recht auf Unterstützung bei ihrer Genesung haben, sondern Büßer, die sich ihre Eintrittskarte zur Rückkehr in die Gesellschaft der Gerechten gnadenhalber erarbeiten dürfen.

Betrachtet man die extreme Aufenthaltsdauer, die enge Anbindung an das "Gospel Forum", den Mangel an öffentlicher Kontrolle und einige andere Details, wie zum Beispiel die ungewöhnlich lange Kontaktsperre von 3 Monaten zu Beginn der Therapie sowie die Tatsache, dass die Einrichtung auch Straßenmission betreibt, dann könnte man meinen, dass es sich bei "Weg zu Freiheit" eben nicht hauptsächlich um eine Einrichtung der Drogenhilfe handelt, sondern um ein christlich-fundamentalistisches Langzeit-Bootcamp, das Notsituationen ausnutzt, um neue Mitglieder für die Muttergemeinde zu rekrutieren - was ein smartes und perfides "long game" zur sozialen Verankerung einer Gemeinschaft wäre, die von manchen Ehemaligen als Sekte begriffen wird.

Dann wäre "Weg zur Freiheit" aber auch kein Weg zur Freiheit, sondern bestenfalls der Weg von einer Abhängigkeit in die nächste - und Suchtkranke hätten etwas Besseres verdient.