"Die Partei mitnehmen"

Sozialdemokraten auf dem Weg in die Große Koalition

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Eine partnersuchende Partei braucht die Kanzlerin, also wird jetzt eifrig sondiert, wahrscheinlich kommen dabei die Sozialdemokraten zum Zuge, die Grünen brauchen noch eine Verschnaufpause. Und die SPD, wenn sie erst in die Regierung eingebunden ist, scheint der CDU/CSU verlässlicher, die grüne Partei muss erst einmal ihre innere Stabilität herstellen.

Das Problem beim Arrangement einer Großen Koalition: Bei der Mitgliederschaft der SPD stößt diese Lösung noch immer auf starke Vorbehalte, schließlich wurde der Wahlkampf ja unter der Parole geführt, die Kanzlerin müsse abgelöst werden, und so mancher sozialdemokratische Basisaktivist hat das für bare Münze genommen. Zudem ist ein strategisches Risiko erkennbar: Wenn die SPD mitregiert, wird die Linkspartei ihre Rolle als Opposition aufwerten, sich als linke Konkurrenz zur Sozialdemokratie profilieren können.

Dennoch ist offenbar im sozialdemokratischen Führungskreis eine Vorentscheidung für die Große Koalition getroffen worden - unter der Bedingung, dass die Unionsparteien sich in personellen Fragen großzügig zeigen und der Entwurf eines Koalitionsvertrages als sozialdemokratisch eingefärbt präsentiert werden kann. Da bieten sich einige Themen an, die eher symbolische Bedeutung haben und "der Wirtschaft" nicht weh tun.

Die sogenannte Frauenquote ist ein Beispiel dafür; faktisch betrifft sie in der verhandelten Form nur die Verteilung von Aufsichtsratssitzen in börsennotierten Aktiengesellschaften, die Chancen der Masse von Malocherinnen verbessert sie nicht. Aber wenn die CDU/CSU ihr zustimmt, lässt sich das als sozialdemokratischer Erfolg präsentieren.

Von steuerpolitischen Forderungen, die tatsächlich den Umverteilungsprozess in die andere Richtung drehen, dem großen Geld zu Leibe rücken würden, hat die SPD-Führung bereits Abstand genommen, das war eben ein Wahlkampfauftritt. In der Arbeitsmarktpolitik können sich CDU/CSU und SPD verständigen; beide geben dem nationalen Standortinteresse Vorrang, das heißt dem Ziel, den exportorientierten deutschen Unternehmen Konkurrenzvorteile im Weltmarkt zu sichern. Eben deshalb haben auch die Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Metall und der Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie ihre Sympathie für eine Große Koalition erklärt, was den SPD-Oberen den Rücken gegenüber der Parteibasis stärkt.

Bei der weiteren Umsetzung der "Energiewende" gibt es keine grundsätzlichen Differenzen zwischen den Unionsparteien und der SPD. In Sachen "Euro-Politik" ebenfalls nicht. Und was den Umgang mit Bürgerrechten angeht, waren die Sozialdemokraten auch bisher nicht gerade zimperlich, wenn "Sicherheit" ihren Tribut verlangt.

Insofern würde in der Großen Koalition zusammenfinden, was zueinander passt. Im Wege dabei steht freilich der Erwartungshorizont, den die SPD im Wahlkampf ihren Mitgliedern und Anhängern in den Kopf setzte.

Schritt für Schritt zur Großen Koalition

Mittlerweile beteuern alle Parteien, sie seien auf Partizipation ihrer Mitglieder ausgerichtet, bei allen politischen Weichenstellungen solle es bei ihnen binnendemokratisch zugehen. Und so versprach die SPD-Führung, in eine Große Koalition werde sie nur eintreten, wenn ein Mitgliederentscheid dies für richtig halte. War das Leichtsinn – kann das Projekt des Mitregierens unter Angela Merkel daran scheitern? Das ist sehr unwahrscheinlich. Die SPD-Führung ist, was die Praxis innerparteilicher Demokratie angeht, Herrin des Verfahrens, und darauf kommt es an. Jetzt wird sondiert, verhandelt, der Weg in die Koalition vereinbart - das geschieht ganz oben. Dann wird dafür im Parteivorstand und bei einem Parteikonvent die Zustimmung erbeten, immer noch ziemlich oben.

Ist das geschafft, wird, wieder ganz oben, der Entwurf eines Regierungsvertrages mit den Unionsparteien ausgearbeitet. Und dann ist die Partei unten dran, die Mitglieder dürfen Ja sagen. Sie können auch Nein sagen, aber die meisten derjenigen, die sich an diesem Entscheid beteiligen, werden sich denn doch sehr genieren, so etwas zu tun. Wer will schon etwas verwerfen, was die Führungsgremien der eigenen Partei mühevoll zustande gebracht haben. Wer mag sich dann noch daran erinnern, dass Peer Steinbrück Kanzler werden sollte? Als Oppositionsführer kommt er auch nicht in Betracht. Außerdem würde ein Nein zur Großen Koalition leichter fallen, wenn eine andere "Machtoption" zur Verfügung wäre. Ist sie aber nicht, "Rot-Rot-Grün" war ein Phantom.

Und so können die sozialdemokratischen Parteienoberen ohne allzu viel Besorgnis einen Weg zur Großen Koalition gehen, den Hannelore Kraft so beschrieben hat: "Bei unserer Entscheidung müssen wir die Partei Schritt für Schritt mitnehmen." Einige entscheiden, die vielen anderen werden an die Hand genommen, damit sie nicht straucheln. Die SPD ist eine fürsorgliche Partei.