"Anti-Pendlerpauschale"

Bernhard Knierim setzt bei der Lösung von Verkehrsproblemen statt auf neue Technologien auf Verbieten, Verteuern und eine Kulturänderung

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Ein interessantes Phänomen in der gegenwärtigen Nachhaltigkeits-Debatte ist der Umstand, dass das Prädikat "nachhaltig" gar nicht für umweltfreundliche Produkte steht, sondern für Güter, die weniger Schadstoffe produzieren als üblich. In seinem Buch Essen im Tank erblickt der Verkehrsexperte Bernhard Knierim nicht in der technischen Umorientierung auf "nachhaltige" Kraftstoffe und Fortbewegungsmittel einen sinnvollen Schlüssel für einer ökologische Neugestaltung. Statt dessen plädiert er auf eine Änderung des Mobilitätsverhaltens.

Herr Knierim, Sie bezeichnen in Ihrem Buch die Stadt Los Angeles als das "Schreckensbild einer autogerechten Stadt". Warum?

Bernhard Knierim: Ich habe noch keine andere Stadt auf der Welt gesehen, die so sehr auf Autoverkehr setzt und durch diesen geprägt ist. Los Angeles ist von bis zu sechzehnspurigen "Freeways" - die niemals frei sind - durchzogen und die Menschen versuchen ihr Leben primär danach zu strukturieren, dass sie die Stauzeiten möglichst effektiv umgehen. Dennoch kann es einem selbst um Mitternacht passieren, dass man im Stau steht. Für mich ist die Stadt das Symbol, wie eine einseitige Orientierung auf Autoverkehr in die Katastrophe führt - und wie hässlich sie eine Stadt machen kann.

Immerhin setzt aber auch Los Angeles inzwischen auf einen Wechsel: Nur noch wenige fordern, die Zahl der Spuren auf den Autobahnen noch mal zu verdoppeln, indem man diese jetzt zweistöckig macht. Stattdessen werden nach und nach die U-Bahnlinien wieder ausgebaut. Aber in einer Stadt, in der das öffentliche Nahverkehrssystem schon vor vielen Jahrzehnten kaputtgemacht worden ist und die inzwischen aufgrund des als selbstverständlich angenommenen Individualverkehrs auf über 1000 Quadratkilometer gewuchert ist, nun wieder einen wirklich gut nutzbaren öffentlichen Nahverkehr aufzubauen, ist ein fast unmögliches Unterfangen.

Welche Probleme und Auswüchse sind denn global zu erwarten, wenn der bislang eingeschlagene verkehrstechnische Weg weiter beschritten wird?

Bernhard Knierim: Der Verkehr ist immerhin für gut 20 Prozent unserer Emissionen von klimaschädlichen Gasen verantwortlich, und dass wir auf einen massiven Klimawandel zusteuern und kaum noch eine Chance haben, diesen unter der Zwei-Grad-Grenze zu halten, ist inzwischen unumstritten. Darüber hinaus schaden Abgase aber auch der lokalen Umwelt, wir versiegeln weiter in großem Maße Flächen, zerstören die Struktur unserer Städte, verbrauchen wertvolle Ressourcen und erzeugen enorm viel Lärm.

Verkehr ist aber nicht nur ein Umwelt- sondern auch ein soziales Problem: Mit unserem jetzigen Modell schließen wir vielfach Menschen von selbstbestimmter Mobilität aus - nämlich Minderjährige, Senioren und Behinderte, die nicht selbst Auto fahren können oder die Menschen, die es nicht wollen. Außerdem ist unser Modell von Mobilität global nicht übertragbar, weil dafür die Ressourcen nicht ausreichen und das Klima innerhalb kürzester Zeit kollabieren würde. Wenn wir also auch nur annähernd nachhaltig leben wollen, bleibt uns überhaupt nichts anderes übrig als den Weg, wie wir momentan unseren Verkehr organisieren, schleunigst über Bord zu werfen.

"Technologie nur in begrenzten Nischen sinnvoll"

Ihre These ist, dass Biokraftstoffe und Elektroautos mehr Probleme schaffen als lösen. Weshalb?

Bernhard Knierim: Beide Technologien sind für das Klima nicht besser als fossile Kraftstoffe - also Benzin oder Diesel. Bei Agrokraftstoffen - die ja in der Regel alles andere als bio sind - ist die Bilanz für viele Produktionsweisen sogar noch deutlich schlechter, wenn man alle Effekte in die Kalkulation mit einbezieht. Auch viele der anderen Probleme bleiben bestehen: Umweltverschmutzung (auch wenn diese im Falle der Elektroautos nicht lokal geschieht, sondern in den Kraftwerken, aus denen der Strom kommt), Flächenversiegelung und die sozialen und gesundheitlichen Probleme, die ganz besonders der Individualverkehr mit sich bringt.

Dazu schaffen sie aber noch neue Probleme, insbesondere im Bereich des Ressourcenverbrauchs: Im Falle der Agrokraftstoffe werden landwirtschaftliche Flächen zu einer global umkämpften Ressource, was sich schon jetzt im Land Grabbing zeigt. Bei Elektroautos geht es um Lithium, Kobalt, Neodym, Dysprosium und weitere Stoffe, die global sehr begrenzt sind. Mit beiden Technologien steuern wir auf eine Art neuen Kolonialismus zu, weil wir in erheblichem Umfang Ressourcen in anderen Ländern ausbeuten müssen. Beide Technologien können in gewissen begrenzten Nischen sinnvoll sein, aber sie sind keinesfalls die umfassenden Lösungen, als die sie momentan überall gepriesen werden.

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