Alte Fernsehsendungen und Zeitschriften machen Alzheimer erträglicher

Warum man für das Rentenalter Medien bereithalten sollte

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) zufolge sind "erkrankungsbedingte Fehlinterpretationen der Umwelt" bei Alzheimer-Patienten häufig Ursache von Ängsten und von aggressivem Verhalten. Dem könne man mit einer entsprechenden Gestaltung der Umwelt des Erkrankten und der Interaktion mit ihm entgegenwirken.

"Fotos, Musikstücke oder Buchtexte" aus der Vergangenheit können der DGPPN nach einem "fortschreitenden Identitätsverlust bei Patienten entgegenwirken", "dem Kranken kleine Erfolgserlebnisse verschaffen und zugleich Sicherheits- und Kompetenzgefühle wecken". Entscheidend dabei ist, dass man einem Dementen nicht etwas vorsetzt, womit er nichts anfangen kann, sondern auf seine in der Kindheit und Jugend geformten Interessen und Vorlieben eingeht.

Murphy-Fernseher von 1951. Foto: Rob Skitmore, Science Museum London. Lizenz: CC BY-SA 2.0.

Ein Engländer hat aus diesen Erkenntnissen bereits eine Geschäftsidee gezimmert, die über die BBC-Sendung Dragon's Den (in der der damit 100.000 Pfund gewann) landesweit bekannt wurde: Richard Earnest liefert Pflegeheimen 1950er-Jahre-Arrangements, mit denen sich Alzheimerpatienten wohler fühlen. Seiner Ansicht nach wird damit sogar Geld für Medikamente gespart, weil die Patienten in einer ihnen vertrauten Umgebung auch ruhiger sind.

Sein erstes Arrangement stellte Earnest kostenlos für einen Nachbarn zusammen. Mittlerweile hat er über 40 davon abgesetzt – für jeweils 1.500 Pfund. Basis dieser gezimmerten Vergangenheiten sind Stellwände, die ein Wohnzimmer aus den 1950er Jahren oder die Inneneinrichtung einer Gaststätte mit alten Markenprodukten abbilden, die es heute nicht mehr gibt.

Zu diesen Wandtapeten kommen antike Möbel, Fernseher im selben Design (die mit neuem Innenleben historische Programme zeigen) und Zeitschriften hinzu, in denen alte Damen beispielsweise Artikel zur Krönung Elizabeths II. finden. Wenn sie darin blättern, dann erinnern sich manche davon wohlig an die Sonderrationen Zucker und Käse, die es zu diesem Anlass gab.

Die Kindheit und Jugend der Generation, die jetzt massenhaft alzheimerkrank ist, ist deutlich weniger leicht simulierbar als die derjenigen, die seit den 1960er Jahren mit Fernsehen und anderen Medien aufwuchs: Raumschiff Enterprise oder Alpha Alpha lassen sich sehr viel einfacher und perfekter wiederaufführen als ein Fliegeralarm. Deshalb besteht eine gewisse Hoffnung, dass ein langsamer Gedächtnisverlust um so leichter erträglich gemacht werden kann, je virtueller das Leben eines Dementen war. Voraussetzung dafür ist freilich, dass die Auswahl stimmt und dass garantiert ist, dass man im Alter statt The Wire oder den Simpsons kein Degeto-TV vorgesetzt bekommt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.