"Errungenschaften und Leistungen der Politik kennt man heute bestenfalls aus dem Geschichtsunterricht"

Bernhard Winkler über das abnehmende Interesse der österreichischen Jugend an Parteien

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In seinem Buch So nicht! Anklage einer verlorenen Generation geht der 24jährige PR-Mitarbeiter und Botschafter der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen Bernhard Winkler mit der Politik in Österreich hart ins Gericht und behauptet, dass ihre Vertreter die Jugend in eine zunehmend prekäre Lage treiben.

Herr Winkler, Sie führen in ihrem Buch aus, dass die Jugend in Österreich politisch zusehends passiver und apathischer wird. Mit welchen Faktoren hängt dies zusammen?

Bernhard Winkler: Ich denke, dass es dafür viele verschiedene Gründe gibt. Da sind zum einen die Skandale der vergangenen Jahre, die den Eindruck erwecken, in der Spitzenpolitik seien primär Menschen tätig, die nicht aus Idealismus, sondern aus Eigeninteresse ihre Funktion ausüben. Das hat dazu geführt, dass Politik in der öffentlichen Meinung zu etwas Negativem, ja fast Anrüchigem, geworden ist. In diese Welt der Ressentiments gegenüber politischen Entscheidungsträgern wird man als junger Mensch hineingeboren und kennt die großen Errungenschaften und Leistungen der Politik bestenfalls aus dem Geschichtsunterricht.

Zum anderen gibt es den demografischen Wandel, der politische Entscheidungen belohnt, die eher älteren als jüngeren Menschen zugutekommen. Denn dort sind die meisten Wählerstimmen zu holen. Nehmen wir als Beispiel das Thema Pensionen: Wenn Sie als Partei auftreten und sagen, Sie tasten die Pensionen nicht an, ist das eine erfolgversprechendere Strategie, als zu sagen: Wir möchten das System verändern, um künftigen Generationen auch noch ein bisschen etwas übrig zu lassen.

Und als dritten Grund für das niedrige Interesse der Jugend an Politik muss man schon auch sagen: Meine Generation investiert sehr viel Energie in den Beruf oder in die Ausbildung, um sich einmal etwas aufbauen zu können. Neben Doppelstudium, mehreren Jobs oder einem Arbeitsplatz mit All-in-Vertrag bleibt dann oft wenig Zeit, sich auch noch mit Politik zu beschäftigen. Oder man hat keine Lust mehr dazu. Da ist durchaus auch Selbstkritik angebracht. Ich hoffe, dass ich mit meinem Buch einen kleinen Teil dazu beitragen kann, bei Menschen in meinem Alter das Interesse an Politik zu wecken.

"Das faktische Pensionsantrittsalter liegt bei rund 58 Jahren"

Spielen Sie hier nicht die Rentner gegen die Jugend aus? Zumindest in Deutschland wird aufgrund einer prognostizierten demographischen Entwicklung bis 2050 eine recht pessimistische Renten-Einschätzung abgegeben, die aber beispielsweise den Faktor Produktivitätsentwicklung ignoriert und wohl über einen propagierten Generationenkonflikt emotionale Anreize für eine private Zusatz-Rente bei Arbeitnehmern schaffen soll. Sitzen Sie hier nicht einer Privatisierungs-Propaganda auf?

Bernhard Winkler: Es liegt mir fern, Generationen gegeneinander auszuspielen. Wenn wir etwas zum Besseren verändern wollen, brauchen wir das Miteinander aller. Das Schöne ist: Es gibt sehr wohl auch ältere Menschen, die sich eine Jugend mit mehr politischer Mitsprache wünschen.

Zum Thema Pensionen: Die objektiven Daten sprechen für eine Reform. Die Lebenserwartung steigt jedes Jahr um einige Monate. Die geburtenstarke Nachkriegsgeneration rückt ins Ruhestandsalter vor. Gleichzeitig ist die ohnehin schon historisch niedrige Anzahl an jungen Menschen deutlich länger als früher in Ausbildung und zahlt somit erst ab einem späteren Lebensalter Pensionsbeiträge ein. Österreich wendet etwa 25 Prozent seines Staatsbudgets für das Pensionssystem auf. Das faktische Pensionsantrittsalter liegt bei rund 58 Jahren. Wie soll die Produktivitätsentwicklung das alles auffangen? Wirtschaftsboom ist keiner in Sicht.

Bernhard Winkler. Foto © Mathias Lauringer

Wäre diese Frustration so groß, wenn es in Österreich noch eine etablierte Partei gäbe, die noch nicht von Skandalen geschüttelt ist und deren Gebaren glaubhaft wäre?

Bernhard Winkler: Ich wünschte, ich könnte darauf mit einem einfachen Ja antworten. Schön wär’s, wenn die Wähler Parteien, die wiederholt in Skandale verwickelt sind, abstrafen würden - und zwar nicht mit einem Stimmenminus von einem oder drei, sondern von zehn Prozent. Genau das Gegenteil passiert: So ist die FPÖ, die in ihrer Regierungszeit zwischen den Jahren 2000 und 2006 vor allem mit Skandalen aufgefallen ist, gerade wieder auf dem Weg nach oben.

Es gäbe in Österreich ja eine etablierte Partei, die nicht von Skandalen geschüttelt ist: die Grünen. Sie sind im vergangenen Wahlkampf auch aktiv als jene eine Parlamentspartei aufgetreten, in der es in den vergangenen Jahren keine Skandale um Bestechlichkeit, Veruntreuung oder einem anderen fragwürdigen Umgang mit öffentlichem Geld gegeben hatte. Das allein war allerdings zu wenig. Zwar haben die Grünen das beste Nationalratswahl-Ergebnis ihrer Parteigeschichte geschafft. Sie sind aber hinter ihren eigenen Erwartungen und wie so oft hinter den Umfragewerten zurückgeblieben.

In die Schlagzeilen schafften sie es im Wahlkampf meist, wenn es um kontroverse Forderungen nach Verboten und Vorschriften ging, zum Beispiel nach einem generellen Rauchverbot in Restaurants oder einem Tempolimit von 80 km/h auf Freilandstraßen. Die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz, zwei der wichtigsten unserer Zeit, blieben dagegen Randnotizen.

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