Gezielte Tötungen mit Drohnen in rechtlicher Grauzone

UN-Sonderberichterstatter legen Berichte zum Einsatz bewaffneter Drohnen vor und beklagen mangelnde Transparenz und völkerrechtliche Unklarheiten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ben Emmerson, der UN-Sonderberichterstatter zu Menschenrechten bei der Bekämpfung von Terrorismus, war im Januar damit beauftragt worden, für den UN-Menschenrechtsrat einen Bericht über die Legalität der gezielten Tötungen mit Drohnen und die Opfer in Pakistan, im Jemen, in Somalia und Afghanistan zu erstellen. Emmerson hat mit einem Team Pakistan bereist, um sich vor Ort zu informieren, zahlreiche Konferenzen besucht und mit Experten gesprochen. Sein Bericht macht vor allem klar, dass die Drohnenstaaten USA, Großbritannien und Israel gerne ihre Aktionen im Dunklen halten wollen.

Reaper-Drohne mit Hellfire-Raketen. Bild: USAF

Im Mai hatte Emmerson noch US-Präsident Obama gelobt, nachdem dieser in einer Rede versprochen hatte, die Drohnenangriffe genauer zu kontrollieren (Obama beim Weißwaschen). Er lobte auch, dass die US-Regierung erstmals Hinweise darüber veröffentlicht hat, mit welchen Schritten Zielpersonen für die Tötung aus der Luft ausgewählt werden (Wir dürfen töten, wen wir für gefährlich halten). Das sei ein Schritt hin auf mehr Transparenz und Vernatwortung, sagte Emmerson.

Nun hat der Sonderberichterstatter einen Zwischenbericht vorgelegt, der Abschlussbericht wird erst im nächsten Jahr vorliegen. Die Arbeit habe sich schwieriger als vorhergesehen gestaltet. Näher untersuchen will er 33 Drohnenangriffe, bei denen Zivilisten ums Leben gekommen sind. Das sei nicht von vorneherein ein Hinweis darauf, dass die Angriffe nicht legal seien, aber es entstünden Fragen der Transparenz und der Rechtfertigung. Und das ergibt erneut Anlass, über die mangelnde Transparenz der US-Regierung zu klagen und diese aufzufordern, Informationen über die Drohnenangriffe und die Opfer vorzulegen.

Unklar ist weiterhin, unter welchen Bedingungen Angriffe mit Drohnen oder anderen ferngesteuerten Kampfrobotern nach internationalem Recht legal bzw. illegal sind. Parallel zu Emmerson untersucht auch der UN-Sonderberichterstatter für extralegale Tötungen, Christof Heyns. Ähnlich wie Emmerson fordert er in seinem Bericht mehr Transparenz über den Einsatz und die Offenlegung der rechtlichen Grundlage. Unsicherheit herrscht bei den Sonderberichterstattern, die beide erklären, dass der Einsatz von bewaffneten Drohnen nicht an sich gegen das Völkerrecht verstoße, aber dass sie "leicht missbraucht" werden können und gezielte Tötungen sehr viel einfacher machen

Nach Emmerson erfordert der zunehmende Einsatz von bewaffneten Drohnen eine Aktualisierung der Regeln. In einem bewaffneten Konflikt eine Liste "individueller militärischer Ziele" zu erstellen, sei nicht von vorneherein illegal. Daher will er auch nicht von "gezielten Tötungen" sprechen. Rechtswidrig sind "willkürliche Tötungen" außerhalb von bewaffneten Konflikten. Rechtlich sei es entscheidend, ob ein Mensch in einem bewaffneten Konflikt getötet wird oder außerhalb eines solchen. In Frage steht aber beispielsweise der geografische Raum eines bewaffneten Konflikts. Die US-Regierung hat sich nach 11/9 in einem weltweiten bewaffneten Konflikt mit al-Qaida gesehen und daraus die Berechtigung abgeleitet, gezielte Tötungen gegen Terroristen prinzipiell weltweit ausführen zu können. Umstritten ist auch, ob etwa al-Qaida weiterhin eine "organisierte militärische Gruppe" ist und ob mit ihr verbundene Gruppen gleichfalls Ziele darstellen können.

Nach internationalem Recht ist einem Staat in Selbstverteidigung nur ein Angriff auf eine bewaffnete Gruppe in einem anderen Land gestattet, wenn dieses oder der UN-Sicherheitsrat zugestimmt hat oder die Gruppe dem Staat zugerechnet werden kann. Die USA hingegen sehen Drohnenangriffe auch dann als gerechtfertigt an, wenn der Staat, in dem eine bewaffnete Gruppe agiert, die von dieser ausgehenden Bedrohung nicht neutralisieren kann oder will. Mittlerweile, so Emmerson, werde auch ein Angriff aus dem Grund einer "antizipatorischen Selbstverteidigung"! als gerechtfertigt angesehen, wenn eine unmittelbare Bedrohung vorliegt. Aber es gebe keine Einigung darüber, wann eine solche unmittelbare Bedrohung vorliegt.

Ziel eines legalen Angriffs können nur Mitglieder von bewaffneten Gruppen sein, die direkt und aktiv an feindlichen Aktivitäten beteiligt sind. Das führt zu Einschränkungen für gezielte Tötungen bei organisierten bewaffneten Gruppen, die normalerweise ihre Mitglieder aus der Bevölkerung rekrutieren. Nach den Richtlinien des Internationalen Roten Kreuzes können nur solche Menschen als aktive Mitglieder einer bewaffneten Gruppe betrachtet werden, die Informationen weitergeben, die unmittelbar für einen Angriff gebraucht werden, die Ausrüstung in unmittelbarer Nähe eines Angriffs trasportieren oder die als Wache oder Spion fungieren. Wer Propaganda macht, Kämpfer versorgt oder zur Flucht verhilft, dürfe aber zum Ziel werden. Es sei unklar, ob und in welchem Ausmaß die USA diese Standards berücksichtige, es bestünden jedoch erhebliche Zweifel, ob die Auswahlkriterien, die einen Menschen zum Abschuss freigeben, ausreichend geprüft würden.

Auf jeden Fall müssten die Staaten, die bewaffnete Drohnen zum Töten von Menschen einsetzen, jeder begründeten Vermutung nachgehen, dass Zivilisten einem Angriff zum Opfer gefallen sind. Die Ergebnisse der Untersuchungen müssten veröffentlicht werden. Und die Staaten müssten sich dringend darüber verständigen, wann Drohnenangriffe rechtens sind. Das Interesse daran düfte minimal sein. Nach dem Vorbilder vor allem der USA und Israel wird sich jeder Staat die Handlungsoptionen offen halten wollen, Gegner nicht nur mit Drohnen zu überwachen, sondern auch zu töten.

Angeblich hohe Zahl von getöteten Zivilisten, aber kaum belastbare Informationen

Emmerson weist in seinem Bericht darauf hin, dass er vom pakistanischen Außenministerium bei seinem Besuch eine Statistik über die Drohnenangriffe erhalten hat. Danach seinen seit 2004 bis zum März 2013 mindesten 330 Angriffe in den Stammesgebieten erfolgt. Durch sie seien mindesten 2.200 Menschen getötet und 600 schwer verletzt worden sein. Exakte Zahlen zu ermitteln sei aufgrund der Sicherheitslage in diesen oft schwer zugänglichen Gebieten schwierig, zudem würden die Toten nach der Tradition der dort lebenden Paschtunen möglichst schnell begraben. Die pakistanische Regierung bestätigte, dass mindestens 400 Zivilisten getötet worden seien, 200 weitere seien wahrscheinlich keine Kämpfer gewesen. Nach den Regierungsvertretern seien die Zahlen vermutlich höher. Allerdings ließe sich seit 2012 ein deutlicher Rückgang bei der Zahl der getöteten Zivilisten feststellen. Während die pakistanische Regierung vermutlich früher Drohnenangriffe geduldet hatte, lehnte sie 2012 das pakistanische Parlament ab. Auch die neue Regierung sieht darin eine Verletzung der Souveränität und fordert den sofortigen Stopp.

Keine genaueren Zahlen über die Zahl der Getöteten liegen für Jemen, den Irak, Afghanistan und Somalia vor. In Libyen sollen die Nato-Drohnen zwar 250 Einsätze geflogen sein und 145 Raketen abgeschossen haben, aber dabei seien keine Zivilisten getötet worden, sagt die Nato. Zweifel bestehen. Bei den israelischen Angriffen auf den Gazastreifen 2008/2009 und 2012 ist ebenfalls nicht bekannt, wie viele Menschen getötet wurden und ob darunter auch Zivilisten waren.

Emmerson schreibt angesichts der dürftigen, meist überhaupt fehlenden Informationen seitens der amerikanischen, britischen und israelischen Streitkräfte, die bewaffnete Drohnen eingesetzt haben: "Das allergrößte Hindernis für eine Bewertung der zivilen Opfer von Drohnenangriffen ist die fehlende Transparenz, die es sehr schwer macht, Beschuldigungen von gezielten Tötungen objektiv zu beurteilen." Das ergebe ein "Verantwortungsvakuum". Emmerson kann es natürlich nicht direkt sagen, aber es dürfte klar sein, dass die Verantwortlichen bewusst möglichst wenig Informationen über die von ihren Streitkräften ausgeführten Drohnenangriffe geben, um nicht wegen Kriegsverbrechen angeprangert zu werden.

Im Fall der USA schreibt Emmerson, stelle die Beteiligung der CIA bei Drohneneinsätzen in Jemen und Pakistan ein "fast unüberwindliches Hindernis für Transparenz" dar. Alles findet hier unter Geheimhaltung statt, was auch für die verdeckten Einsätze der Spezialeinheiten gilt. Bislang hätten die USA noch keine eigenen Angaben über zivile Opfer erstellt, ein Verweis auf die nationale Sicherheit ist für Emmerson kein Grund, die Transparenz zu verweigern. Präsident Obama hat allerdings angedeutet, Drohnenangriffe in Zukunft nicht mehr durch die CIA, sondern durch durch die Streitkräfte ausführen zu lassen. In Großbritannien unterliege der Einsatz zwar der parlamentarischen Kontrolle, aber Untersuchungen werden nur vom Militär intern ausgeführt, die Ergebnisse werden nicht veröffentlicht. In Israel wird auch mangelnde Transparenz und Rechenschaft moniert.