Snowden soll als Spion angeklagt werden

In den USA fürchtet man weitere Enthüllungen, die etwa die Kooperation der US-Geheimdienste mit denen anderer, nicht nur befreundeter Staaten aufdecken

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Es ist schon erstaunlich, dass ein einzelner Mensch weltweit Unruhe auslösen und die angekratzte Supermacht USA ins Schlingern bringen kann. Was Manning angebahnt hat, wurde von Edward Snowden noch überboten. Beide zeigten einerseits die Fahrlässigkeit an, durch die im militärisch-geheimdienstlichen Komplex Einzelne in untergeordneter Position auf riesige Datenmengen zugreifen und diese herunterladen konnten, während sie andererseits die Kehrseite von Big Data demonstrierten. Obgleich zunächst Einzelne staatlichen Behörden und Unternehmen, die riesige Datenberge ansammeln und auswerten, nichts entgegenzusetzen haben, können diese selbst wiederum die Datenbanken anzapfen und leaken. Dadurch werden die Datenberge aus persönlichen Informationen zu Masseninformationswaffen.

Inzwischen formiert sich Widerstand gegen die Sammel- und Lauschwut der US-Geheimdienste, die eine "Total Information Awareness" herstellen wollen, also alles sehen wollen, was nicht nur ihrem Präsidenten und der Regierung nutzt, sondern wahrscheinlich auch der Selbsterhaltung dient. Zu vermuten ist, dass da immer etwas in der Hinterhand sein könnte, was Politiker und Regierungen sehr vorsichtig mit ihren Geheimdiensten umgehen lassen könnte. Nachdem auch Merkels fahrlässig ungeschütztes Handy abgehört worden zu sein scheint, ist sie mit Brasilien und Frankreich zur Widerstandsfront gestoßen, um nun Obama zur Aufklärung anzuhalten. Nachdem freilich alle Geheimdienste machen, was sie können, was nur nicht so viel ist wie die im Geld schwimmenden amerikanischen, wird hier absehbar nichts herauskommen. Merkel wird sich halt doch bequemen, ihr besser gesichertes Diensthandy zu benutzen und etwas zurückhaltender mit Vertrauensbeweisen zu sein.

Snowden allerdings scheint noch längst nicht alles preisgegeben zu haben. Ähnlich wie bei den Depeschen des US-Außenministeriums könnte es wohl auch Offenbarungen über Geheimdienste anderer Länder geben, die der NSA zur Hand gehen. Angeblich sollen das nicht nur Geheimdienste offiziell befreundeter Länder sein, weil man ja, wenn es gegen de Feinde geht, also etwa China, Russland oder Iran, sich alles zunutze macht. Allerdings wissen manche Regierungen oder auch nur die Außenministerien nicht, was die Geheimdienste so hinter ihrem Rücken treiben. Es könnte also, wie die Washington Post schreibt, der US-Regierung noch mehr außenpolitische Kopfschmerzen bereiten als bislang, wenn Snowden wieder der Öffentlichkeit Einsicht in neue Geheimdokumente über Medien verleiht.

Irgendwelche "Offizielle", also Quellen aus Regierung oder Behörden, die sich auch jetzt nach dem Aufschrei von Hollande und Merkel gefunden haben, sollen warnen, dass Geheimdokumente im Besitz von Snowden nicht nur in anderen Ländern Probleme schaffen, sondern auch Spionagetätigkeiten gefährden könnten. Die oberste Geheimdienstbehörde DNI soll bereits begonnen haben, andere Geheimdienste über möglicherweiese bald kommende Leaks zu informieren. So könne ein gegen Russland gerichtetes Spionageprogramm in einem Nato-Land auffliegen, weswegen anscheinend bereits eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet worden ist, um Snowden nicht nur Diebstahl vorzuwerfen, sondern ihn der Spionage wie Manning zu beschuldigen. Snowden soll auch 30.000 Dokumente aus einem "top-secret"-Netz des DIA herausgezogen haben, die die Arbeit eines anderen Geheimdienstes als die NSA betreffen und Informationen über das Militär anderer Länder beinhalten. Zugriff soll er über das Joint Worldwide Intelligence Communications System (JWICS) gehabt haben.

Konstruktion des Spionageverdachts

Offenbar geht es jetzt darum, Snowden unter Spionageklage zu stellen. Snowden hatte bereits versichert, keine Dokumente nach Russland mitgenommen zu haben. Russen oder Chinesen hätten über ihn keinen Zugriff auf US-Geheimdienstdokumente erlangen können. Er habe zudem klar gemacht, so Thomas Drake, der Snowden in Moskau besucht hatte, dass er keine legitimen Spionage- und Lauschaktivitäten gefährden wolle. Fragt sich nur, was er unter legitim versteht. Jedenfalls habe er aus dem Fall Manning seine Lehren gezogen und WikiLeaks keine Dateien übergeben. Aber es ist ja eigentlich fast egal, ob Informationen, die geheim bleiben sollten, über WikiLeaks oder über Medien veröffentlicht werden und damit in die Hände der Gegner gelangen können, was Manning vorgeworfen wurde. Snowden behauptet, vieles, was große Wellen schlagen könnte, nicht an Medien weitergegeben zu haben. Er wolle niemanden schaden, nur mehr Transparenz herstellen.

Obwohl Snowden angeblich wahllos Dokumente abgespeichert haben soll, scheint man bei der NSA Sorge zu haben, was da noch kommen könnte. Die übrigen militärischen Geheimdienste wurden informiert, welche Dokumente womöglich Snowden erlangt haben könnte. Das Problem ist, dass Geheimdienste und Regierung vieles im Geheimen halten wollen: "Wenn sie uns etwas berichten, werden wir es geheim halten. Wir erwarten dasselbe von ihnen", so ein "Offizieller". Wenn diese Vertraulichkeit nicht mehr vorhanden ist, könnte der Informationsfluss austrocknen. Allerdings ist auch diese Geheimdiplomatie ebenso wie die Arbeit der Geheimdienste der Öffentlichkeit und damit auch den amerikanischen Bürgern verschlossen, für deren Interessen angeblich Regierung und Geheimdienste handeln. Aber tun sie das auch? Während Snowden nach eigenem Bekunden an der Schaffung von Transparenz interessiert ist, um eine - demokratische - Diskussion zu ermöglichen, sieht der Staat im Handeln dieses Bürgers eine Beschädigung der nationalen Sicherheit. Die aber ist wiederum begründet durch den Schutz jedes einzelnen Bürgers.

Der Guardian berichtet gerade aufgrund von durch Snowden geleakten Dokumenten, der britische Geheimdienst habe befürchtet, dass der Umfang seiner Lauschaktivitäten der britischen Öffentlichkeit bekannt wird. Beispielsweise gab es die Sorge, dass bekannt werden könnte, wie die Telekom-Konzerne dem Geheimdienst weit über die legalen Erfordernisse hinaus zu Diensten waren. Wenn die umfassenden Lauschaktivitäten bekannt würden, fürchtet man eine schädigende Diskussion. Das aber heißt im Klartext, dass die Geheimdienste nicht im Interesse der Bürger handeln.