Frankreich: Eine Ökosteuer als Auslöser eines landesweiten Aufstandes?

Der Protest der roten Mützen: Die unbeugsamen Bretonen machen den Anfang, nun wollen sich auch andere Regionen anschließen

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"Der Sturm des Zornes legt sich nicht", prognostiziert der Figaro. Greift der Aufstand der roten Mützen, der sich in der Bretagne an der LKW-Ökosteuer entzündete, bald auf ganz Frankreich über? Oder ist das nur eine kurze herbstliche Sturmböe aus dem Norden?

Der Hersteller der roten Mützen kommt jedenfalls mit der wachsenden Nachfrage nach der Strickware nicht zurecht und muss sie aus Schottland importieren, was dem mit viel Patriotismus geführten Protest eine Haube aufsetzt, an der rechte Mitläufer zu kauen haben.

So etwa der Front National, der bekanntlich für stärkere Abgrenzungen innerhalb Europas wirbt. Auch der FN springt bei den Rote-Mützen-Protesten mit auf. Die Zusammensetzung des Protestlagers ist sehr gemischt.

"Ré zo ré

Bemerkenswert ist der Auslöser der Proteste im Land der unbeugsamen Bretonen. Es ist nämlich eine Ökosteuer - eine zu viel, wie die Proteste proklamieren. "Ré zo ré", ""Was zu viel ist, ist zu viel"," heißt auch der Slogan des Aufstandes, dem es jetzt aber um mehr geht als die Schwerverkehrsabgabe aus Umweltschutzgünden.

So sendet Christian Troadec, Bürgermeister von Carhaix, und einer der bekanntesten Protagonisten des bretonischen Widerstands, große Signale nach Paris:

Die Regierung muss verstehen, dass eine Bewegung ohne Namen, aber mit Mobilisierungspotential, entsteht in der Bretagne - und über die Bretagne hinaus. Zahlreiche französische Regionen, darunter viele mit einer starken Identität, wie Nord-Pas-de-Calais, das Alsace, der Süden Frankreichs und das Baskenland ermuntern uns, weiterzugehen mit unserem Armdrücken ("Bras de fer") und sie wollen es uns nachmachen.

An diesen Worten des linksgerichteten Politikers sind die Anschlussmöglichkeiten rechter Gruppen gut ablesbar. Die Stichworte "starke Regionen" und "Bras de fer" sind wahre Lockrufe für den Front National und andere Gruppen, die mit patriotischen Werten und lokaler Verankerung Wind machen. Mit dabei sind natürlich vor allem die Nationalisten der Region selbst.

Zum Protest gegen die "Ökosteuer" gesellt sich die Forderung nach der Unabhängigkeit der Bretagne. Immerhin, so eine Umfrage Anfangs des Jahres, wäre jeder fünfte Bretone dafür.

"Es wäre ein Fehler, unsere Bewegung nur als Wutausbruch gegen die Ökosteuer zu verstehen", mahnt Bürgermeister Troadec.

Anzufügen ist dem, dass die LKW-Ökosteuer, die in Frankreich unter der Präsidentschaft Sarkozys im Rahmen des Umweltschutz-Maßnahmenpakets "Grenelle Environnement" beschlossen wurde, von der Regierung wieder auf Eis gelegt wurde. Als Reaktion auf die ersten Proteste. Doch hat das die Wogen nicht geglättet.

Unsicherheit der Regierung, Protest-Aktionen im Norden wie im Süden

Man hat die Steuer erstmal suspendiert, heißt es von der Regierung. Wann sie einmal gelten soll, weiß man nicht. Nach aktuellen Nachrichten ist aus dem Elysée-Palast, dem Amtssitz des Präsidenten, noch nicht zu erfahren, wann genau die Steuer inkraft gesetzt werden soll. Das verrät einige Unsicherheit.

Laut heutiger Berichterstattung kam es gestern zu einigen Protestaktionen, landesweit, wie betont wird. Autobahnen wurden zeitweilig durch Schneckentempo fahrende Lastwagen blockiert; Angriffsziel mehrerer kleiner Aktionen im Norden wie im Süden das Landes waren aufgestellte Säulen für die Lastwagenmaut sowie Kontrollbrücken. Dabei kam es auch zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Im Raum Paris wurden Mitglieder des Printemps francais, der mit vielen Rechtsauslegern durchwachsenen Protestbewegung gegen die Ehe für alle, dabei erwischt, wie sie sich an einem Teil der LKW-Ökomaut-Installation zu schaffen machten. Große Nachrichten sind das aber noch nicht.

Zumindest stehen die kleinen Aktionen im Widerspruch zum großen Wort, das bei vielen Pressemeldungen dafür verwendet wird: die Fronde, ein geschichtsträchtiger Ausdruck, der einen Aufstand bezeichnet, der die Zentralregierung in richtige Schwierigkeiten bringen kann.

Ob das bei der Rote-Mützen-Bewegung der Fall ist, ist noch nicht abzusehen. Die Bretagne lebt von Fischfang und Landwirtschaft, der LKW-Transport ist wichtig. Die anstehende Einführung der Maut traf dazu auf ein zunehmend rauheres wirtschaftliches Klima. Großbetriebe kündigten Entlassungen an.

Dazu kommt, dass die "Ökos" bei einigen Bauern nicht sonderlich beliebt sind, seit dem Skandal der Algen an der bretonischen Küste - verursacht durch die Landwirtschaft -, bei dem in den Augen der Bauern schlechte Publicity vonseiten der "Ecos" betrieben wurde.

Paris im Zentrum der Kritik

Aber: Im Winter macht man keine Revolution, diagnostiziert Eric Verhaeghe, Mitglied der französischen Piratenpartei. Er hält den Befürwortern der Unabhängigkeit der Bretagne und den Bauern entgegen, dass sie daran denken sollten, mit wie viel Geld aus der EU und aus Paris sie unterstützt werden und wie nötig sie das Geld haben.

Möglich also, dass der Sturm der Entrüstung nicht weit trägt, Paris setzt darauf. Doch bleibt mit genau dieser Haltung bestehen, was den Zorn der Bürger nicht nur in der Bretagne, sondern auch in anderen Landesteilen entfacht: die Selbstherrlichkeit der Pariser Regierung, die nicht zuhören kann und keine Ahnung von den wirklichen Problemen im Land hat, so der Vorwurf.

Anderseits scheint die französische Bevölkerung von regionalen Einzelaktionen nicht viel zu halten, jedenfalls hat sich laut einer aktuellen Umfragen die Mehrheit gegen den bretonischen Protest ausgesprochen.

Die Umfrage wurde durchgeführt, nachdem Landwirtschaftsminister Stéphane Le Foll Geld aus dem nationalen Topf für die Region versprach, eine Milliarde Euro, um die bretonische Wirtschaft zu unterstützen.

Bei der Umfrage sind es aber immerhin vierzig Prozent, die sich für die Fortsetzung des Protestes ausgesprochen haben - das Frühjahr könnte heiß werden, meint Verhaeghe.