"To the front"

Deutsche Politikelite will mehr "geopolitisches Gewicht" für die Bundesrepublik, "notfalls" mit militärischen Mitteln

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"Neue Macht - neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch" - so der Titel eines in akademischem Slang gehaltenen Memorandums, das jetzt die in Berliner Regierungskreisen hochangesehene Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zusammen mit dem German Marshall Fund vorgelegt hat. Hervorgegangen ist es aus einjährigen Diskussionen einer Expertengruppe, an der u.a. Vertreter des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für Verteidigung, der politischen Parteien, der Bertelsmann-Stiftung , des Bundesverbandes der Deutschen Industrie sowie Redaktionsmitglieder der "Zeit" und der "F.A.Z." beteiligt waren.

Eine breite Bereitwilligkeit, diesen Vorschlägen zur "Neuvermessung der deutschen Weltpolitik" Sympathie zuzuwenden, dürfte damit gesichert sein. Der Gedankengang dieser Vorlage für die Außen- und Militärpolitik der Bundesrepublik ist bei gehobener Sprache durchaus volkstümlich; er lässt sich so zusammenfassen: Die wirtschaftliche Stärke des "Standorts" Deutschland verschaffe die Chance und erzeuge auch die Notwendigkeit, eigene geoökonomische Interessen stärker zur Geltung zu bringen, den weltpolitischen "Wartestand" hinter sich zulassen und im globalen Machtspiel in der ersten Reihe mitzumischen, selbstverständlich im Verbund der NATO und der EU.

Die Situation sei dafür günstig, weil die USA als unbestrittene Führungsmacht derzeit etwas schwächele und auf dem europäischen Kontinent nur die Bundesrepublik für eine regionale Anführerrolle in Betracht komme. Weltweites "Risikomanagement" müsse marktorientiert gedacht werden, solle die eigene Position in der globalen Konkurrenz stärken, gerichtet auf wirtschaftliche "Zugangs-, Nutzungs- und Ausbeutungsrechte". Unter geopolitischer "Sicherheitsvorsorge" sei zu verstehen, "notfalls bereit zu sein, militärische Gewalt anzudrohen oder anzuwenden". Gesichert werden müsse auch "die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Rüstungsindustrie".

Zum Schutz der internationalen Ordnung muss Deutschland notfalls bereit sein, militärische Gewalt anzudrohen oder anzuwenden.

Aus dem Bericht

Die Staatenwelt könne man sortieren nach "Mitstreitern, Herausforderern und Störern". Der außen- und militärpolitische Blick der Bundesrepublik solle vordringlich "Nordafrika, dem Mittleren Osten und Zentralasien" gelten. Als Störer gelten etwa Kuba und Venezuela, abgesehen von Iran, Syrien und Nordkorea.

Die "neue Verantwortung" der Bundesrepublik in der Weltpolitik, daran lässt das Memorandum keinen Zweifel, erfordere Konzentration der innergesellschaftlichen Ressourcen auf diese Aufgabe, von der Forschung bis zur medialen Meinungspflege - "neue Macht" hat eben ihren Preis.

Soweit die Vordenker bei der "Stiftung Wissenschaft und Politik". An Alternativkonzepte, Möglichkeiten der Abrüstung und Friedenssicherung betreffend, verschwenden sie ihre intellektuellen Anstrengungen nicht. Auch nicht an die Folgen, die das von ihnen empfohlene "Risikomanagement" in den Konfliktfällen zu haben pflegt. Menschliches Schicksal kommt in diesem Diskurs nicht vor.

Früher hätte man die Denkweise, mit der wir es hier zu tun haben, "imperialistisch" genannt. Aber das wäre altmodisch, eine solche Selbstermunterung "Germans to the Front" geschieht ja nicht im Zeitalter der Boxeraufstände.

(Literaturhinweis zur Geschichte: Werner Biermann/Arno Klönne, " Ein Spiel ohne Grenzen. Wirtschaft, Politik und Großmachtambitionen in Deutschland von 1871 bis heute", PapyRossa Verlag, Köln 2009.)

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