Die Unsterblichkeit der Schwarzen Löcher

Künstlerische Darstellung eines Schwarzen Lochs. Bild: Alain r. Lizenz: CC-BY-SA-2.5

Was bleibt übrig, wenn ein Schwarzes Loch verdampft?

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Wenn ein Stern mit mindestens achtfacher Sonnenmasse (Tolman-Oppenheimer-Volkoff-Grenze) in einer finalen Explosion stirbt, gibt ihm die Anziehungskraft seiner eigenen Masse ein faszinierendes Schicksal vor: Er verwandelt sich in ein Schwarzes Loch. Dessen Gravitation ist so groß, dass ihr nicht einmal Licht entkommen kann. Was einmal hinter dem so genannten Ereignishorizont verschwindet, kommt nie wieder ans Tageslicht.

Vorhergesagt wurden Schwarze Löcher schon im achtzehnten Jahrhundert. Bis in die 1960er Jahre hielt man sie jedoch für eine mathematische Kuriosität, eine spezielle Lösung von Einsteins Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie für punktförmige Massen. Das Schwarze Loch nimmt allerdings durchaus eine gewisse Ausdehnung im Raum ein. Schon bei einer Sonnenmasse erstreckt sich der Ereignishorizont mit einem Radius von einigen Kilometern in den Raum, und zwar in Form eines Rotationsellipsoids (ein Körper, aufgespannt aus einer rotierenden Ellipse).

Beobachten lassen sich Schwarze Löcher nur über ihre Wirkung, etwa als Bestandteil von Mehrfachsystemen oder über den Gravitationslinsen-Effekt. Da keinerlei Information über den Ereignishorizont nach außen dringt, lassen sich über das Innere eines Schwarzen Lochs nur Vermutungen anstellen. Das fällt den Physikern besonders schwer, weil hier Quantenphysik und Allgemeine Relativitätstheorie an ihre Grenzen kommen. Die Singularität, die den Kern eines Schwarzen Lochs bilden muss, entzieht sich kompletten Berechnungen mit heutigen Mitteln.

1975 zeigten Stephen Hawking und Jacob Bekenstein, dass Schwarze Löcher dauernd Masse verlieren. Das liegt daran, dass auch der leere Raum nicht wirklich leer ist: Durch Quantenfluktuationen entstehen ständig Kombinationen von Teilchen und Antiteilchen im Vakuum. Unter normalen Umständen zerstrahlen sich diese fast sofort wieder gegenseitig und begleichen damit die Energieschuld, die sie durch ihre Existenz beim Universum aufgenommen haben. Entstehen sie jedoch am Rand des Ereignishorizonts eines Schwarzen Lochs, wird es ab und zu passieren, dass einer der beiden Partner gerade noch innerhalb der Todeszone entsteht, der andere außerhalb. Schluckt nun das Schwarze Loch das eine der Teilchen, nimmt es wie mit einer Giftpille dessen negative Energie auf und verliert demzufolge an Masse, während das andere Teilchen als so genannte Hawking-Strahlung ins Universum entweicht.

Dass Schwarze Löcher demnach eine begrenzte Lebenszeit haben, ist aber nicht das eigentliche Problem der Physiker. Immerhin braucht schon ein Exemplar mit Sonnenmasse etwa 1067 Jahre, bis es auf diese Weise ausgelöscht wird. Die spannende Frage ist vielmehr: Was passiert mit der Information, die in ein Schwarzes Loch gelangt - und von der man annimmt, dass sie unzerstörbar ist? Wäre ein Schwarzes Loch unsterblich, könnten sich die Physiker damit trösten, dass einmal hinter den Ereignishorizont gelangte Information zwar unwiederbringlich verloren ist, aber rund um die Singularität immer noch existiert. Um dieses Paradoxon auflösen zu können, brauchen die Physiker vermutlich die "Theorie von Allem". Bis diese ausgearbeitet ist, müssen sie sich mit diesen Szenarien behelfen:

  1. Die Information ist unwiederbringlich verloren. Unangenehmerweise verletzt dieses Ende das Prinzip der Informationserhaltung. Andererseits setzt etwa der Mathematiker Roger Penrose in seiner Kosmologie die Zerstörung von Information in einem Schwarzen Loch voraus.
  2. Schwarze Löcher sind informations-inkontinent. Ihnen entweicht dauernd Information. Leider widerspricht das derzeitigen Berechnungen für makroskopische Schwarze Löcher, die gut mit der Wirklichkeit übereinstimmen.
  3. Wenn das Schwarze Loch stirbt, entweicht die gesammelte Information auf einmal. Dieses Szenario lässt sich gut mit der aktuellen Physik vereinbaren - bis auf den Moment kurz vor dem gewaltsamen Tod. Dann müsste ein sehr, sehr kleines Schwarzes Loch eine riesige Menge an Information enthalten, was gegenwärtigen Erkenntnissen über die maximale Informationsdichte widerspricht.
  4. Das Endstadium eines Schwarzen Lochs ist nicht größer als die kleinste Länge im Universum, die Planck-Länge. Darin befindet sich alle jemals gesammelte Information. Die Physiker bräuchten sich dann nicht wie in Szenario 3 einen Weg auszudenken, auf dem die Information entweicht. Allerdings würde die Informationsdichte unendlich.
  5. Die Information bleibt in einem Tochteruniversum erhalten, das sich von unserem Universum abspaltet. Eine hübsche Idee, zu der nur leider noch keine ausgearbeitete physikalische Theorie existiert.
  6. Statt in räumlichen Dimensionen bleibt die Information in zeitlichen Korrelationen erhalten. Diese Vorstellung lässt sich mit aktueller Physik gut ausarbeiten, widerspricht jedoch dem Verständnis der Natur als einer sich mit der Zeit entwickelnden Entität.
  7. Die im Schwarzen Loch im dreidimensionalen Raum kodierte Information ist zusätzlich auf seiner zweidimensionalen Begrenzungsfläche gespeichert. Dieses vom Physiker Juan Malcadena entwickelte "holographische Prinzip" geht davon aus, dass unser Universum sowohl aus einer dreidimensionalen Struktur als auch einem 2D-Element besteht. Im 3D-Universum befolgen Strings, Gravitation und Schwarze Löcher die Relativitätstheorie, im flachen Teil richten sich Elementarteilchen und deren Felder nach den Gesetzen der Quantenphysik. Jede Information aus dem einen Teil ist auch im jeweils anderen kodiert, doch für einen Angehörigen der einen Struktur ist die jeweils andere unzugänglich. Information, die mit dem Schwarzen Loch verdampft, wäre also gar nicht verloren, sondern bliebe in der 2D-Struktur des Universums erhalten.
  8. Am Ereignishorizont entsteht ein so genannter Firewall. Dabei nimmt man an, dass die aus dem Nichts entstehenden Teilchen miteinander verschränkt sind. Wenn einer der Partner in das Schwarze Loch fällt, bricht die Verschränkung, und Energie wird frei. Die Information bleibt in Form einer Verschränkung aller Teilchen in dieser Firewall erhalten. Dieses Szenario widerspricht allerdings der Allgemeinen Relativitätstheorie, nach der alle Schwerefelder grundsätzlich gleich sind. Warum sollte beim Fall eines Objekts in ein Schwarzes Loch etwas anderes passieren als beim Fall eines Balles zum Erdboden?
  9. Die der Allgemeinen Relativitätstheorie widersprechende Firewall rund um das Schwarze Loch ließe sich vermeiden, wenn das Schwarze Loch selbst und alle Teilchen seiner Hawking-Strahlung durch Wurmlöcher verbunden wären, Abkürzungen in der Raumzeit. Die im Juni veröffentlichte Idee ermöglicht, dass Teilchen und Antiteilchen weiterhin verschränkt bleiben können. Durch die Verschränkung bleibt nicht nur die Information erhalten: Sie ließe sich theoretisch auch wiedergewinnen.
  10. Das Verdampfen des Schwarzen Lochs kommt irgendwann zu einem Ende. Diese Idee entwickelt der Physiker George Ellis von der Cambridge University in einem recht frischen Paper, dem allerdings noch harte Berechnungen fehlen. Ein Schwarzes Loch verzerrt durch seine Gravitation die Raumzeit. Es ist damit jedoch nicht allein: Die kosmische Hintergrundstrahlung lässt unter dem Einfluss des Schwerefeldes kurz hinter dem Ereignishorizont ebenfalls Singularitäten entstehen, die die Struktur der Raumzeit verändern. Entstehen die virtuellen Teilchen der Hawking-Strahlung nun in der Nähe einer solchen Verzerrung, rutschen beide hinter den Ereignishorizont. Je mehr ein Schwarzes Loch schrumpft, desto wahrscheinlicher wird dieser Prozess - bis er irgendwann öfter auftritt als der gegenteilige Fall und sich die Masse des Schwarzen Lochs stabilisiert. Wann genau das der Fall ist, kann Ellis nicht sagen - doch unabhängig davon würde das Schwarze Loch nicht restlos verdampfen, sondern asymptotisch einer bestimmten Masse entgegenstreben und dadurch die Information in seinem Inneren erhalten.

Was wäre eigentlich so schlimm daran, würde Information in einem Schwarzen Loch verloren gehen? Haben wir nicht alle schon einmal etwas vergessen, ohne dass gleich das Universum zusammengebrochen ist? Das Problem: Information korrespondiert mit Ordnung, ein Informationsverlust mit Unordnung oder auch Entropie. In der Thermodynamik entspricht einer Zunahme der Entropie eine Erhöhung der Temperatur. Würden Schwarze Löcher Information vernichten, müssten sie sich aufheizen, und zwar in kurzer Zeit um Trillionen Grad.

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