"Der Jesuswahn"

Der überschätzte Jesus. Bild: F.R.

Der evangelische Theologe und religionskritische Autor Heinz-Werner Kubitza über Jesus und wie das Christentum und die Kirche ihren Gott erschaffen haben

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Heinz-Werner Kubitza ist promovierter evangelischer Theologe, Autor eines religionskritischen Buches und Inhaber des Tectum Wissenschaftsverlags. In seinem Buch "Der Jesuswahn" befasst er sich mit den Ergebnissen der neutestamentlichen Forschung über Jesus von Nazaret sowie den christlichen Glaubensvorstellungen. Sein Fazit: Der christliche Glaube ist weitgehend eine Erfindung und hat mit dem historischen Jesus fast nichts gemein.

Viele Kritiker des Christentums befassen sich mit den im christlichen Glauben und von Amtskirchen im Namen Jesu begangenen Taten. Heinz-Werner Kubitza jedoch stößt zu den Grundfesten des christlichen Glaubens vor. Jesus selbst sah sich wohl nicht als Gottes Sohn, das behaupteten - nach seinem Tod - nur die frühen Christen, die ihn nicht kannten. Sich am Kreuz für die Sünden der Menschen zu opfern, sei ebenfalls nicht Jesu Plan gewesen. Die Auferstehung Jesu ist eher Legende denn historische Tatsache. Und die Lehre der Dreieinigkeit (Trinität) soll erst ab dem zweiten und dritten Jahrhundert entstanden sein.

Der historische Jesus deckt sich in nahezu nichts mit den christlichen Glaubensvorstellungen, denn Jesus sei ein Mensch jüdischen Glaubens gewesen, der - kaum verwunderlich - nur diesen Glauben gepredigt habe. Schon gar nicht das Christentum, dessen Botschaft für Juden eine Gotteslästerung darstellte. Der von allen späteren Glaubensvorstellungen entblößte und so historische Jesus sei ein Mensch durch und durch. Aber selbst der Mensch Jesus vermag heute nicht mehr so recht zu überzeugen. Seine Hauptbotschaft von der nahen Apokalypse sei ein epischer Irrtum, sprach Jesus von Liebe, meinte er nicht Jeden, und er habe allerlei Inhumanes gepredigt.

Heinz-Werner Kubitza beruft sich auf die neutestamentliche wissenschaftliche Forschung, deren Ergebnisse er präsentiert und aus denen er ein für das Christentum vernichtendes Gesamtbild zeichnet.

Herr Kubitza, Sie zweifeln nicht weniger als die Fundamente des christlichen Glaubens an. Den geglaubten Vorstellungen stellen Sie das Bild eines historischen Jesus entgegen, das Ihrer Meinung nach auf wissenschaftlichen Ergebnissen fußt. Um den Einstieg in ein komplexes Thema zu wagen: Sah sich Jesus als Gottes Sohn?

Heinz-Werner Kubitza: Er sah sich nicht in der dogmatischen Weise als Sohn Gottes, wie das spätere Konzilien festgestellt haben. Nach der Lehre der Kirche ist er ja als Sohn Gottes selbst Gott. Das wäre für den frommen Juden Jesus eine unglaubliche Blasphemie gewesen. Er sah sich vielleicht als Sohn Gottes in dem Sinne, wie sich heutige Gläubige auch als "Kinder Gottes" sehen. "Söhne Gottes" konnten im Judentum auch die Könige Israels genannt werden oder einzelne Fromme. Jesus als Gott oder als Teil einer wie auch immer gedachten Trinität: das ist absurd.

Wenn sich Jesus nicht als Gottes Sohn verstand, ist es doch denkbar, dass er sich als Mensch am Kreuz für die Sünden der Menschen geopfert hat. Wie sieht das die Forschung?

Heinz-Werner Kubitza: Dass die Kirche die Lehre entwickelte, Jesus sei am Kreuz für die Sünden der Welt gestorben, resultiert aus dem peinlichen Umstand, dass er den Tod eines Verbrechers am Kreuz gestorben ist. Damit haben wohl weder er noch seine Jünger gerechnet, und man hat Zeit gebraucht, um sich dieses an sich peinliche Faktum zurechtzulegen. Dass Jesus der Meinung war, er könne durch seinen Tod Menschen erlösen, heißt viel späteres christliches Gedankengut in diesen Jesus zu projizieren. Jesus war kein Christ, dies darf man nie vergessen.

Jesus soll ein frommer Jude und kein Christ gewesen sein?

Heinz-Werner Kubitza: Christen gab es erst nach dem Tode Jesu. Und selbst dann verstanden seine Jünger sich natürlich weiterhin als Juden, nahmen an den Synagogengottesdiensten und am Tempelkult teil. Die Evangelisten haben Jesus später oft in Opposition zu seinen Glaubensbrüdern dargestellt. Doch die Evangelien stammen aus einer Zeit, als das frühe Christentum sich bereits vom Judentum gelöst hat. Bis dahin war es eine jüdische Sekte.

Jesus war bekennender Jude, der als Wanderprediger in Galiläa unterwegs war und einen Zwölferkreis um sich sammelte, in Anlehnung an die zwölf Stämme Israels. Er lebte als Jude, lehrte als Jude und wollte nie etwas anderes sein. Es ist eine der Absurditäten der Geschichte, dass der fromme Jude Jesus, der Jahwe als den einzigen Gott verehrt hat, durch die Christen selbst zu einem Gott erhoben wurde. Das war ein Akt von geistesgeschichtlicher Vergewaltigung. Doch ein Toter kann sich nicht mehr wehren.

Auferstehung: Eine überschießende Phantasie hat eine Schneise der Verwüstung im gesunden Menschenverstand hinterlassen

Und die Auferstehung?

Heinz-Werner Kubitza: Der Glaube, er sei von den Toten auferstanden, kam in der Gemeinde früh auf oder war sogar ihr Gründungsdatum. Theologen erklären dies heute gerne als Visionen einzelner Jünger (oder der Behauptung derselben), was dann von Anderen geglaubt wurde. Die Auferstehungsgeschichten in den Evangelien jedenfalls sind klare Legenden, da ist sich die Forschung weitgehend einig. Das Markusevangelium als ältestes Evangelium hatte ursprünglich gar keine Auferstehungsgeschichten, sondern endete mit dem leeren Grab. Ebenso scheint es keine in der Redenquelle Q gegeben zu haben, einer schriftlichen Vorlage, die von Matthäus und Lukas verwendet wurde.

Später haben dann eine überschießende Phantasie und ein überschäumender Auferstehungsglaube eine Schneise der Verwüstung im gesunden Menschenverstand hinterlassen. Und nebenbei: Der Auferstehungsgedanke verkleinert ja auch die Bedeutsamkeit des Kreuzes. Was soll das für ein Opfer gewesen sein, wenn der tote Gottessohn nur drei Tage tot bleibt? Viele Eltern wären froh, wären ihre Kinder mal für drei Tage aus dem Haus.

Aber in der Bibel findet sich eine Auferstehungsgeschichte von Markus.

Heinz-Werner Kubitza: Das ist richtig, doch diese Verse sind später hinzugekommen, sie finden sich in den ältesten Abschriften noch nicht. In späterer Zeit ist der sog. Markus-Schluss, so wie wir ihn heute kennen, hinzugefügt worden, zusammengestellt aus den anderen Evangelien.

Ist es nicht denkbar, dass Markus eine Auferstehungsgeschichte verfasste, sie aber verschollen ist?

Heinz-Werner Kubitza: Das wäre gut möglich, denn sicher hat auch die Gemeinde des Markus (um das Jahr 70) an die Auferstehung geglaubt. Den Historikern macht dies viel Kopfzerbrechen. Aber Fakt ist jedenfalls: In der uns erreichbaren ältesten Fassung hatte das Markusevangelium keine Auferstehungsgeschichten.

Allerdings berichten die anderen drei Evangelisten von einer Auferstehung Jesu. Markus vertritt also nur eine Minderheitenmeinung.

Heinz-Werner Kubitza: Ich würde gar nicht mal sagen, dass Markus nicht an die Auferstehung geglaubt hat. Es wäre aber schön, hätten wir aus diesem ältesten Evangelium auch eigene Erzählungen darüber, und nicht nur das, was fromme Christen später aus Verlegenheit hinzugefügt haben.

Kein Gott ist damals an Weihnachten Mensch geworden

Zu den schönsten Stellen der Bibel gehört die Weihnachtsgeschichte. Wie sieht sie die Forschung?

Heinz-Werner Kubitza: Als reine Legende, an der vermutlich bis auf die Eltern Jesu kein wahres Wort ist. Es gab keine Krippe, keine Weisen aus dem Morgenland, keine Volkszählung, keinen Kindermord von Bethlehem, keine Flucht nach Ägypten. Da sind sich praktisch alle Historiker einig. Das Markusevangelium als ältestes Evangelium hatte auch noch keine Geburts- und Kindheitslegenden, Paulus weiß noch nichts von einer Jungfrauengeburt.

Die Geschichten sind dann verständlicherweise entstanden, weil Gläubige auch schon die Geburt und Kindheit des religiösen Helden wunderbar verklärt wissen wollten. Man kennt das aus vielen Heiligenlegenden. Also: Genießen Sie die Ruhe und die Weihnachtsfeiertage. Aber kein Gott ist damals Mensch geworden.

Nach christlichen Glaubenvorstellungen ist Jesus der Messias. Der Messias-Glaube entstammt aber Judentum. Für Nicht-Theologen ist das verwirrend. Was beinhalteten die jüdischen Messias-Vorstellungen, wie passen sie zum Christentum, wie definierte sich der historische Jesus als Messias?

Heinz-Werner Kubitza: Messias heißt übersetzt einfach "Gesalbter" und meinte ursprünglich einen König. Alle Könige Israels waren so gesehen Messiasse. Doch um die Zeitenwende erwartete man die Aufrichtung der Herrschaft Gottes, bei der in einigen Vorstellungen ein Messias eine Rolle spielte. Die nahe Gottesherrschaft verkündete auch Jesus. Dass er sich selbst aber für den Messias gehalten hat, davon gehen die meisten Neutestamentler heute nicht mehr aus.

Offenbar hat die Urgemeinde aber seine Rückkehr als Messias noch erwartet. Doch die Christen haben die Messiasvorstellung bald fallen gelassen, denn sie war an jüdische Vorstellungen gebunden, und die meisten Christen kamen bald aus nichtjüdischem Umfeld. Die Messiasvorstellung war da einfach zu popelig, im hellenistischen Umfeld machte man aus Jesus einen Gottessohn und später einen Gott selbst. Eine wirklich bemerkenswerte Karriere für einen Zimmermannssohn aus Galiläa. Jesus wurde damit zur am meisten überschätzten Person der Weltgeschichte.

Schon Markus berichtet von Wundern Jesu. Nimmt man das Fehlen der Auferstehungsgeschichte bei Markus ernst, so muss man ihn auch bei den Wundern Jesu für bare Münze nehmen.

Heinz-Werner Kubitza: Vor allem als Exorzisten hat die frühe Überlieferung Jesus offenbar verstanden. Wenn das Rad der Fantasie erst einmal ins Rollen kommt, gibt es bald kein Halten mehr. Die Wunder Jesu werden immer großartiger, aber auch skurriler. Man kennt dies aus mittelalterlichen Heiligenlegenden. Fragt man zurück, was am Anfang stand, so ist besonders der Vers Gal. 1, 18 interessant. Dort berichtet Paulus, dass er um das Jahr 32-35 für fünfzehn Tage bei Petrus zu Besuch war. Und worüber werden sie sich unterhalten haben? Natürlich über Jesus, sein Leben, was er gesagt und getan hat. Doch seltsam: Paulus erwähnt später aus dem Leben Jesu praktisch nichts. Petrus scheint noch nichts von den Wundern Jesu gewusst zu haben. Sonst hätte uns Paulus sicher davon erzählt. Im Vergleich zu den Evangelien, davon gehen Theologen heute aus, verlief das Leben Jesu, von seinem Tod abgesehen, wohl eher unspektakulär.

Jesus soll von Dämonen besessene Menschen geheilt haben?

Heinz-Werner Kubitza: Heute wirkt dies natürlich absurd, denn es gibt ja keine Dämonen, auch wenn der Vatikan noch offiziell eine Exorzistenschule unterhält. Mit Dämonen aber war man in der Antike schnell bei der Hand. Es genügten psychische oder körperliche Auffälligkeiten, um Dämonen am Werk zu sehen. Bei den "Besessenen" dürfte es sich um geistig Behinderte, psychotische oder neurotische Menschen gehandelt haben. Leider weiß man einfach zu wenig über die Geschehnisse, um eine Ferndiagnose stellen zu können.

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