Zeitbombe unter Tage

Salzbergwerk in Bad Friedrichshall-Kochendorf.Bild: K. Jähne/CC-BY-SA-3.0

In den Salzbergwerken in Heilbronn befindet sich eine der größten Giftmülldeponien ganz Europas. Trotz "beunruhigender Messergebnisse" und massiver Gesteinsabbrüche sehen Betreiber, Behörden und Politik keine Gefahr für Mensch und Natur

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im Juli 2013 strahlte der Westdeutsche Rundfunk in der Wissenschaftssendung "Quarks" einen Beitrag über "die giftigsten Orte Deutschlands" aus. Darin wurde aufgezeigt, "wie Zehntausende Tonnen Giftmüll unter der Erde verschwinden". Als "giftigste Orte" wurden u.a. das Kalibergwerk Herfa-Neurode und das Salzbergwerk Heilbronn genannt.

Das Salzbergwerk Heilbronn gehört wie die Grube im benachbarten Bad Friedrichhall-Kochendorf zu den Südwestdeutschen Salzwerken AG. Im Februar 1984 hatte das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Baden-Württemberg in Freiburg im Breisgau der Südwestdeutschen Salzwerke AG (SWS) die Genehmigung erteilt, in den Stollen des Bergwerks Heilbronn quecksilberhaltige Salze aus Produktionsrückstände der Hoechst AG, einem langjährigen Kunden der SWS, einzulagern.

Nun traf es sich, dass im Sommer 1985 in Göppingen beim Müllheizkraftwerk Göppingen eine Rauchgaswaschanlage in Betrieb genommen werden sollte und die Landesregierung in Stuttgart - nach dem Abfallgesetz dazu verpflichtet - einen Ort ausfindig zu machen hatte, an dem die Rauchgasfilterrückstände deponiert werden konnten. Und da "bot sich das Heilbronner Salzbergwerk der Südwestdeutschen Salzwerke AG [als Ablagerungsort] an", sollten doch "dort ohnehin quecksilberhaltige Salze aus Rückständen der Firma Hoechst abgelagert werden", so der Wortlaut einer Pressemitteilung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 5. Juni 1985.1 Zu diesem Zeitpunkt hatten sich das Land Baden-Württemberg und die Stadt Heilbronn bereits auf ein einvernehmliches Vorgehen in der Sache geeinigt. Nachdem die Stadt zunächst Widerspruch gegen die Entscheidung des Landes eingelegt hatte, das Salzbergwerk Heilbronn in eine Untertagesdeponie für Sondermüll zu verwandeln, und ein Planfeststellungsverfahren forderte, beschieden ihr seitens der Landesregierung aufgebotene "Experten", die geplante Einlagerung von Sondermüll in die Grube sei völlig ungefährlich. Habe man den Standort Heilbronn doch gerade deshalb ausgewählt, weil hier eine Beeinträchtigung des Grundwassers gerade nicht zu befürchten sei. Eingelagert werden sollten zudem allein Rückstände aus der Salzauflösung sowie Rauchgasreinigungsrückstände aus Müllverbrennungsanlagen, was vollkommen "unschädlich für die Gesamtbevölkerung" sei. "Eine Aufnahme weiterer Abfälle" sei "zur Stunde" nicht vorgesehen, beschwichtigten der damalige baden-württembergische Umweltminister Gerhard Weiser und sein Regierungspräsident Manfred Bulling besorgte Heilbronner Bürger und Gemeinderäte.

Die Stadt Heilbronn gibt nach

Tatsächlich ging es dem Land von Anfang an nicht allein um die Ablagerung von Rauchgasreinigungsrückständen aus der Müllverbrennungsanlage in Göppingen, sondern um die Deponierung von Rückständen aus weiteren Müllverbrennungsanlagen, wie etwa derjenigen in Stuttgart-Münster, die seinerzeit modernisiert wurde.

"Bisher war es ja ein noch ungelöstes Problem, wohin diese Rückstände […] abgelagert werden können", heißt es denn auch unverblümt in der bereits zitierten Pressemitteilung des Regierungspräsidiums Stuttgart:

Diese Rückstände können wegen des hohen Anteils von 33 l bis 35 I wasserlöslicher Salze nur durch Einlagerung unter Tage ordnungsgemäß beseitigt werden. Bei oberirdischer Ablagerung bestünde die Gefahr, daß diese Rückstände ausgelaugt werden und über die Sickerwässer Kalzium, Chlorid, Sulfat, Phosphat, Zink, Cadmium und Blei in den Wasserkreislauf gelangen können. Dies wäre bei einer Ablagerung in einem Salzbergwerk nicht zu befürchten.

Weiter verkündete die Pressemitteilung: "Nach dem Inhalt dieser Vereinbarung verpflichten sich die Südwestdeutschen Salzwerke einerseits, einen Antrag auf Planfeststellung für die Ablagerung der Müllbeseitigungsrückstände zu stellen; die Stadt Heilbronn andererseits verpflichtet sich, in diesem Planfeststellungsverfahren keine grundsätzlichen Einwendungen zu erheben, wenn bestimmte Forderungen des Gemeinderats erfülIt werden. Damit ist jetzt der Weg frei für ein Genehmigungsverfahren für die Ablagerung vor allem von Filterstäuben und Rückständen aus Rauchgaswaschanlagen ..." Der Weg war in der Tat frei, und bereits am 22. Oktober 1986 lag der erste Planfeststellungsbeschluss für die Abfallbeseitigungsanlage im Salzbergwerk Heilbronn vor, schon im Jahr darauf erfolgte die Inbetriebnahme der Untertagedeponie.

"Instabile Gebirgsmechanik"

Doch dabei sollte es nicht bleiben. Verschiedene Ereignisse in der Grube Kochendorf machten Anfang der 1990er Jahre eine Neubewertung des Salzbergwerks notwendig. Nur wenige hundert Meter von dessen Schacht hatte dort bereits früher einmal ein Salzbergwerk existiert - bis zum 18. September 1895. An diesem Tag erhielt das Oberbergamt Stuttgart ein Telegramm: "Gestern Einbruch im alten Pfeilerabbau. Kolossaler Wassereindrang. Grube nicht zu retten." Nur "in wenigen Tagen soff die Grube ab, es entstand ein See. Wäre in diesem alten Bergwerk schon Giftmüll eingelagert worden, hätten die Kochendorfer heute kein Trinkwasser mehr."2

Nach mehrfachen Wasserzutritten bis zur Größenordnung von 50 Litern pro Stunde in den Jahren 1986 bis 1988 kam es im Februar 1991 erneut zu einem "schwerwiegenden Ereignis"3, einem "Hangendausbruch" (Gesteinsabbruch) mit Feuchtigkeitszutritt von ebenfalls 50 l/Stunde. Die Abdichtung der Tropfstellen mittels Verpressung und Errichtung eines "Versteifungsbauwerk" kostete insgesamt über zwölf Millionen DM und machte eine Verfüllung der Stollen notwendig. "Die beiden Ereignisse waren also insgesamt Zeichen einer instabilen Gebirgsmechanik und erforderten eine grundsätzliche Neubewertung des Zustandes und der Sicherheit des Bergwerkes", so der spätere Geschäftsführer der UEV GmbH und Prokurist der SWS AG Reiner Blümmel.

Ein im September 1992 vorgelegtes geomechanisches Gutachten zur Standsicherheit der Grube von Prof.-Ing. Otfried Nattau (Lehrstuhl für Felsmechanik, Universität Karlsruhe) kam zu dem Ergebnis, dass zwar "keine akute Gefährdung des Bergwerkes Kochendorf besteht", da alle womöglich eintretenden Ereignisse "mit geeigneten Sicherungsmaßnahmen saniert werden können". Jedoch könne es nach Stilllegung der Grube zu Verbrüchen kommen, "die sich so weit nach oben fortsetzen könnten, dass es zu großräumigen Brucherscheinungen und damit auch zu Schäden an der Tagesoberfläche kommen könnte".4