Russland baut Internetüberwachung aus

Während die NSA-Affäre die Politiker in Deutschland und Europa beschäftigt, arbeitet der Kreml unbeirrt weiter am Ausbau der Internetüberwachung auf russischem Territorium. Dabei wollen die Russen offenbar auch Zugang zu westlichen Diensten

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Dass der Skandal um die Abhörmethoden der Amerikaner in Deutschland immer wieder aufflammt, wie zuletzt nach der Reise des Grünen-Politikers Hans-Christian Ströbele nach Moskau, kommt den Russen sicher nicht ungelegen. Denn was die Haltung des Kremls zur Spähaffäre angeht, so besteht sie anscheinend vor allem darin, im Zwist zwischen Europa und Washington die Beine still zu halten. Und zugleich den Ausbau der eigenen Internetüberwachung weiter nach Plan voranzutreiben. Unbeirrt, nach einer Strategie, die es gab, lange bevor der Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden auf der Bildfläche der Weltbühne mit seinen Enthüllungen erschien.

FSB-Zentrale. Bild: Victorgrigas/CC-BY-SA-3.0

So hat der russische Inlandsgeheimdienst FSB über ein System namens SORM (Das russische Lauschsystem für das Internet wird eingerichtet) auf den Internetverkehr im Inland praktisch bereits vollen Zugriff - jedenfalls, wenn es sich um Dienste handelt, deren Server sich auch in Reichweite befinden. Die erstreckt sich über das größte Land der Erde sowie teilweise über das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, weil es das Grundschema des SORM-Systems als Relikt der späten UdSSR dort ebenfalls gibt. Der Geheimdienst muss zwar laut Gesetz einen Gerichtsbeschluss haben, sich gegenüber Internetanbietern jedoch nicht rechtfertigen: Er hat über ein Kabel ständig Zugang zum Server und damit Zugriff auf die gewünschten Informationen - und zapft direkt ab.

Dass es sich hierbei um die bisherige Praxis seit dem Jahr 2008 handelt, bestätigte das Kommunikationsministerium gegenüber russischen Medien noch einmal, als es nun eine Neuerung in den gesetzlichen Grundlagen dafür angekündigt hat: Demnach soll von Juli 2014 an kein konkreter Anlass mehr notwendig sein, um Zugang zu allen Daten von Internetprovidern und ihrem Traffic zu erhalten. Dafür sollen alle Anbieter so aufrüsten, dass sie eine Vorratsdatenspeicherung von zwölf Stunden gewährleisten können, etwa von Telefonnummern, IP-Adressen bis hin zu Email-Adressen von Nutzern sozialer Netzwerke.

Befürworter aus der Politik sagen, das diene der nationalen Sicherheit. Internetexperten reagieren zynisch: Der Appetit komme beim Essen, Anfragen wie bisher zu stellen, sei man wohl müde geworden, nun falle das weg, schreibt der bekannte Blogger Anton Nossik. Und der Internetanalyst Eldar Murtasin kommentiert in seinem Blog: Seit der Einführung von SORM zum Ausspähen des Web werde längst alles beobachtet. Der einzige Unterschied: Hätten bisher die Server des Geheimdienstes selbst für die Datenmassen herhalten müssen, werde das nun auf die Anbieter verschoben.

Nach Meinung des Geheimdienstexperten Andrej Soldatow werde sich die russische Regierung aufgrund dieser Überwachungspolitik auf keine Diskussion zu den einzelnen Aspekten der NSA-Affäre einlassen, die in Europa und vor allem Deutschland derweil hitzig debattiert wird. Zum russischen Umgang mit den Snowden-Enthüllungen sagte Soldatow zu Telepolis:

Es gibt nur eine zentrale Idee: Dass die Argumente, die Snowden liefert, ihnen helfen, das russische Internet stärker unter die Kontrolle der Geheimdienste zu bekommen, und das ist alles.

Festzustellen ist jedenfalls, dass der Kreml neben der SORM-Überwachung aktiv versuchen will, das Nutzerverhalten der Russen so zu beeinflussen, dass sie sich in berechenbaren Bereichen im Web bewegen. So werkelt der staatsnahe Telekommunikationskonzern "Rostelekom" für mittlerweile 20 Millionen Dollar an einer staatlichen Internet-Suchmaschine unter dem Namen "Sputnik", die im kommenden Jahr fertig sein und für Websuchen in Behörden und Staatskonzernen schon standardmäßig eingerichtet werden soll. Offen ist, ob das Projekt insgesamt auf dem Markt besteht - etwa gegen die Konkurrenz aus der eigenen Wirtschaft, dem Google-Pendant Yandex.

Bekannt wurden nun außerdem Pläne, "ein staatliches Internetsegment" zu schaffen, das wie eine Art kontrolliertes Netz im Netz für Behörden vorgesehen ist. Darüber sollen sie spätestens ab dem Jahr 2017 ins Web gehen. Dahinter verbirgt sich der Ansatz, die Kommunikation sensibler Informationen sicherer zu machen. Offen bleibt die Option, dass künftig auch andere Teile des russischen Internets angeschlossen werden könnten. Der Duma-Abgeordnete Wadim Dengin glaubt, das Interesse werde insbesondere aus der Wirtschaft kommen, "wenn jetzt sogar schon die deutsche Kanzerlin abgehört wurde". Welchen Umfang ein solch abgeschirmtes Netz vom Netz einmal bekommen kann, bleibt abzuwarten.

Langfristig, so glaubt Soldatow, gehe es jedoch weniger um Isolation vom weltweiten Internet, sondern das Ziel sei vielmehr, Server der großen Internetfirmen, wie Google, Yahoo und Facebook auf dem eigenen Territorium zu haben - damit SORM auch dort zugreifen kann. Denn das System habe bisher einen Haken: Sein Arm reiche nicht über die Gebiete der ehemaligen Sowjetunion hinaus. Der erste Schritt für die direkte Überwachung des Verkehrs zu westlichen Internetdiensten könnte nun mit der Neuauflage von SORM kommen: Darin verberge sich laut Soldatow im Kleingedruckten auch "ganz direkt" die Forderung an russische Anbieter, dass "die Post von Gmail, Yahoo und ICQ abzufangen" sei. Soldatow: "Das ist der wichtigste Punkt daran."