Pulver verschossen: Die von der EZB geöffneten Geldschleusen werden immer gefährlicher

Neues Gebäude der EZB in Frankfurt. Bild: EZB

Der Leitzins wurde wenig überraschend auf 0,25% gesenkt, womit sogar die Europäische Zentralbank deutlich macht, was sie vom angeblichen Ende der Krise hält: Nichts!

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Von der FAZ bis zum Spiegel sprechen fast alle davon, dass die EZB "überraschend" den Leitzins auf ein neues Rekordtief von 0,25% gesenkt hat. Und EZB-Präsident Mario Draghi sieht sogar noch Spielraum nach unten und macht klar, dass die Geldschleusen noch lange geöffnet bleiben sollen. Überraschend ist daran nichts, denn für diese umstrittene Politik stand Draghi stets. Letztlich räumt die Frankfurter Zentralbank ein, wie schwach die angebliche wirtschaftliche Erholung real ist. Damit die Eurozone nicht erneut in die Rezession zurückfällt, sollen Exporte durch Euro-Schwächung gestärkt werden, womit der Währungskrieg angeheizt wird. Weil auch ein angeblich "erfolgreicher" Ausstieg von Krisenstaaten wie Irland aus dem Rettungsprogramm zelebriert werden muss, war dieser Schritt absehbar.

Nun ist es soweit. Wie in den USA können sich auch die Banken in Europa nun praktisch zum Nulltarif Geld bei der EZB leihen. Denn die Europäische Zentralbank hat am Donnerstag den Leitzins auf ein neues historisches Rekordtief von 0,25% gesenkt. Und das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht. Draghi meint, man habe noch nicht alles Pulver verschossen. "Wir haben die Untergrenze noch nicht erreicht und könnten den Zins grundsätzlich weiter senken", meinte er. Er sei bereit, alle "zur Verfügung stehenden Instrumente einzusetzen", drohte er mit noch schwereren Geschützen.

Draghi wiederholte damit praktisch die Ankündigung, auch wieder Staatsanleihen im großen Stil zu kaufen und die Notenpresse "unbegrenzt" in Gang zu setzen. Das Ziel der umstrittenen Ankündigung vor einem Jahr war, die Zinsen für große Krisenländer wie Spanien und Italien wieder zu senken (Notenbank will unbegrenzt Staatsanleihen kaufen). Da das zunächst gelungen ist, fragt man sich, warum er diese Ankündigung wiederholt und sie zudem von einer Leitzinssenkung begleitet wird. Damit wird real fast das letzte Pulver gegen eine mögliche Deflation verschossen.

Dass sich vor allem eine eine Deflationsbekämpfung hinter dem Schritt verbirgt, kann nahezu ausgeschlossen werden, auch wenn es deflationäre Tendenzen gibt. Seit mit Draghi ein ehemaliger Banker von Goldman und Sachs die EZB führt, der in seiner Zeit bei der US-Investmentbank ausgerechnet Griechenland dabei geholfen haben soll, einen Teil seiner Staatsschulden zu verschleiern (Zirkus um Ernennung von Mario Draghi zum EZB-Chef), ist die Politisierung der Zentralbank vorangeschritten. Die EZB macht eher Konjunkturpolitik und überschreitet auch Grenzen zur verbotenen Staatsfinanzierung.

Die EZB kümmert sich real wenig um ihre eigentliche Aufgabe, für Geldwertstabilität zu sorgen, auch wenn Draghi vor allem damit argumentiert hat. Er erwartet bei der Preisentwicklung "eine längere Periode niedriger Inflation". Er hoffe auf eine langsame Aufwärtsbewegung in Richtung von 2%, die als Zielmarke für die EZB gilt. Es sei "weiterhin fest verankert", die Inflation "unter, aber nahe 2 Prozent zu halten". Dass muss man nicht glauben. Denn als er EZB-Präsident wurde, sorgte er tatsächlich für einen Paukenschlag. Obwohl die Inflation im Bereich von 3% deutlich zu hoch lag, senkte er den Leitzins überraschend, den sein Vorgänger Jean-Claude Trichet wegen des steigenden Inflationsdrucks wieder angehoben hatte.

Einstieg in den Währungskrieg

Draghi will mit der Zinssenkung gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ein zentrales Ziel ist die Schwächung des Euro, der sofort nach der Entscheidung abstürzte. Damit soll vor allem die Exportwirtschaft gestärkt werden. Nach Draghis Meinung sollen offenbar alle EU-Länder dem deutschen Modell nacheifern, auch wenn das unmöglich ist. Er tut so, als seien deutsche Rekorde bei Exportüberschüssen kein Problem, wegen derer sogar die EU-Kommission ein Verfahren gegen Deutschland eröffnen will. Experten wie Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman kritisieren sie heftig und machen gerade die Berliner Politik für Deflationstendenzen verantwortlich ("Deutschland ruiniert seine Nachbarn").

"Wir sollten dort, wo wir Wettbewerbsfähigkeit vorfinden, sie nicht kritisieren", sagte Draghi auf dem Wirtschaftsforum der Zeit am Donnerstagabend. Andere Länder sollten vielmehr so wettbewerbsfähig werden wie Deutschland. Es ist durchsichtig, dass er damit vor allem die scharfen Kritiker seiner Politik in Deutschland besänftigen wollte. Denn auch er räumte ein, dass der Zins für Deutschland nicht optimal sei. Denn dort wird kritisiert, dass Sparen noch stärker zum Minusgeschäft wird, weil die Inflation mickrige Zinsen auffrisst.

Der Versicherungsverband GDV spricht von einem "weiteren Schritt in die falsche Richtung" und von einem "fatalen Signal" für all jene deutschen Sparer, die eine Vorsorge fürs Alter treffen. Es fällt Versicherern nun noch schwerer, die Erträge zu erwirtschaften um ihre Rendite-Versprechen für Lebensversicherungen zu halten. Zudem ist klar, dass Spekulation und Blasenbildungen weiter verschärft werden, wovor der Bundesverband deutscher Banken (BdB) warnt.

Letztlich steigt nun die EZB noch stärker in einen Währungskrieg ein, den andere Notenbanken zur Schwächung der eigenen Währung längst betreiben, allen voran das von langer Deflation geplagte Japan. Tatsächlich fiel der Euro gegenüber dem US-Dollar nach der Leitzinssenkung auf ein Sieben-Wochen-Tief und sank zeitweise auf unter 1,33 US-Dollar. Damit ist klar, dass die EZB nicht nur mit so billigem Geld wie nie zuvor versucht, die Wirtschaft anzukurbeln. Das deutsche EZB-Direktoriumsmitglieds Jörg Asmussen sprach davon, dass wirtschaftliche Erholung in der Eurozone "schwach, fragil und ungleichmäßig" sei. Neue Zahlen deuteten auf einen schwachen Start ins Schlussquartal an, fügte er an. Und damit ist endgültig klar, dass die Erholung wie erwartet nicht nachhaltig ist, obwohl die Eurozone die Rezession im zweiten Quartal wieder verlassen hat. Seither wird allseits in der Politik das Ende der Krise beschworen.

Ob über die Leitzinssenkung die Kreditvergabe verstärkt wird, bezweifelt auch die FAZ. Denn bisherige Zinssenkungen haben in den Krisenländern nicht dazu geführt, dass das billige Geld in der Realwirtschaft ankommt. "Die Kreditvergabe ist schwach, weil es vielen Banken in Südeuropa an Kapital fehlt. Und sie ist schwach, weil hochverschuldete Haushalte etwa in Spanien sparen müssen und keine neuen Kredite aufnehmen können." Die FAZ weist aber darauf hin, woher der Wind deutlicher weht. "Banken können sich praktisch zum Nulltarif Geld leihen und Staatsanleihen kaufen. So trägt Draghis Politik zu einer günstigeren Staatsfinanzierung der Krisenländer bei."

Unterstützung der "Erfolgshow"

Ein zentrales Ziel der EZB-Politik ist, die große "Erfolgsshow" zu unterstützen, die gerade auf dem Brüsseler Parkett gespielt wird. Schließlich soll Irland am 15. Dezember den Rettungsschirm verlassen und Portugal 2014 folgen. Auch die EZB ist bemüht, koste es was es wolle, daraus einen Erfolg der Troika zu machen, der sie angehört. Obwohl diese Art der Rettung nur dazu geführt hat, dass die Staatsschulden beider Länder längst in sehr gefährliche Regionen vorgestoßen sind. Sie bekommen zudem das Haushaltsdefizit nicht in den Griff, das auch im nächsten Jahr noch weit entfernt von der Stabilitätsmarke von 3% liegen wird. Trotzdem soll das ein "Erfolg" sein (Die große Irland-Erfolgsshow).

Neben der illegalen Staatsfinanzierung durch die EZB hat das billige Geld als Nebeneffekt nicht nur, dass die Zinsen für Krisenländer sinken, sondern es werden damit auch massiv Banken subventioniert. Da sie das Geld quasi umsonst erhalten und dafür nach einer lukrativen Anleihemöglichkeit suchen, kaufen sie Staatsanleihen von Krisenländern. Dafür erhalten sie von Italien und Spanien für zehnjährige Laufzeiten noch immer Zinsen in einer Höhe von mehr als 4% und von Portugal sogar gut 6%, wofür die Steuerzahler und die Bevölkerung mit immer neuen Einschnitten zur Kasse gebeten werden.