Der Kampf um Befreiung oder Verknappung von Informationen und Immaterialgütern

Viele Schauplätze, Positionen und Akteure: Buyout, Intellectual Property Regimes, Monopole, New Public Management, eine gefährlich-kreative Maus, Open Data & Open Science

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Mark Getty, Mitbegründer und Vorsitzender der Bild-Agentur Getty Images und Sohn des Öl-Milliardärs Paul Getty, kennt den Wert von Informationen. Ihm wird unter anderem ein Bonmot zugeschrieben, wonach geistiges Eigentum das Öl des 21. Jahrhunderts sei. Und tatsächlich sprudeln aus schnellen Datenverbindungen, kostenfrei nutzbarem Speicherplatz im World Wide Web, Medienplattformen und Diensten, die den vielbeschriebenen Wandel vom Consumer zum Prosumer, zum produzierenden Konsument, ermöglichten, Daten und Informationen wie Öl aus einer gerade erschlossenen Quelle.

Bild: Elvert Barnes/CC-BY-2.0

Eine solche Interpretation der Öl-Metapher könnte wohl Befürwortern des offenen Zugangs zu Informationen in den Sinn kommen, Mark Getty hingegen dürfte eher eine konträre Auslegung bevorzugen, besteht das Geschäftsmodell von Getty Images doch im Verknappen von Information: Fotografen treten im sogenannten total buyout gegen eine Einmalzahlung alle Rechte an ihren Bildern an Getty Images ab. Fortan hat nur noch der Konzern die Möglichkeit, die Nutzung der Fotografien zu erlauben - selbstredend gegen Lizenzzahlungen. Konsequenterweise findet sich im WWW auch keine Abbildung Mark Gettys, die unter einer offenen Lizenz verfügbar wäre.

Kurzum: Denken Befürworter des offenen Informationszugangs bei besagter Öl-Metapher an nicht zu bändigende, befreite und frei fluktuierende Informationen, hat Mark Getty dabei wohl eher die Tankstellenzapfsäule im Hinterkopf, an der man für die Nutzung eines Gut zahlen muss. Allerdings ist Öl selbstredend ein völliges anderes Gut als eine Information, zu dem eine digitale: Während Öl als materielles Gut nur exklusiv genutzt werden kann, können Informationen nicht-rivalisierend genutzt werden. Und wo Öl bei der Benutzung vernichtet wird, vermehrt sich Information bei der Nutzung und ermöglicht die Schaffung neuer Information. Verknappung hingegen mindert den Wert von Informationen.

DJ Danger Mouse contra EMI: Verbreitung immaterieller Güter

Geistige Schöpfungen (oder Immaterialgüter) können durch Digitalisierung annähernd zu Nullkosten verbreitet und kopiert werden. Ihre Kosten verursachenden materiellen Träger verlieren an Bedeutung oder werden Objekte der Liebhaberei, wie z.B. im Falle der Bibliophilie.

Digital vorliegende Informationen können zudem wesentlicher schneller und effizienter als analoge Informationen analysiert und mit anderen Schöpfungen kombiniert werden - das trifft sowohl auf den Bereich der Wissenschaft zu , etwa durch Information Mining, aber auch auf die Kunst: 2004 erstellte DJ Danger Mouse ein Mash-Up, er mischte das White Album der Beatles mit dem Black Album von Jay-Z und nannte das Ergebnis naheliegender Weise Grey Album. Während Jay-Z die Erstellung von Mash-Ups und Abwandlungen seines Black Album ausdrücklich erlaubte, ging das Musiklabel EMI als Rechteinhaber am Beatles-Album gegen DJ Danger Mouse vor und untersagte den Verkauf des Grey Album. Das bis zur Wirksamkeit der Unterlassungsklage EMIs nur 3.000 mal verkaufte Werk gelangte durch die Intervention des Labels erst wirklich in den Fokus der Öffentlichkeit und erntete positivste Kritiken, etwa im Rolling Stone oder Entertainment Weekly. In einer konzertierten Aktion stellten am 24.02.2004, dem sogenannten Grey Tuesday, zirka 170 Internetseiten das Grey Album zum Download bereit. EMIs Unterlassungsklage scheiterte und schädigte zugleich: Zum einen gelang es EMI nicht, die Verbreitung zu unterbinden, vielmehr profitierte DJ Danger Mouse gar von EMIs unfreiwilliger PR-Arbeit für das Grey Album, zum anderen wurde die Schaffung eines künstlerisch-kulturell (und zusätzlich offensichtlich kommerziell) wertvollen Werkes torpediert. Auch heute findet man das Album mit Leichtigkeit im WWW, etwa im Internet-Archive.

EMIs Reaktion auf die Veröffentlichung des Grey Albums ist typisch für Informationsverwerter, die als Intermediäre zwischen Kreativ-Tätigem und Rezipient stehen: Man versucht das finanzielle Verwertungsmodell materieller, analoger, knapper (demnach nicht beliebig verfügbarer) Güter aufrechtzuerhalten und auf digitale Güter zu übertragen. Die Folgen sind - für Wissenschaft und Kultur - mehr als nachteilig:

  • Digitale Werke dieser Art können nur suboptimal hinsichtlich Verbreitung und Innovation (z.B. durch Kombination oder Analyse) genutzt werden.
  • Die Usability digitaler Produkte wird durch Digital Rights Management DRM eingeschränkt.
  • Digitale Werke werden mittels aufwändiger Techniken in ihrer Benutzbarkeit ihren analogen Pendants angepasst, um die Knappheit analoger Güter künstlich in digitalen Umgebungen nachzubilden. Dabei treten teils frappierende Verschlechterungen ein: Wo ein analoges Medium (z.B. ein in Papierform vorliegender Artikel) in jedem Fall technisch kopiert werden kak, kann das Kopieren (eigentlich mit Leichtigkeit zu vervielfältigender) digitaler Medien durch DRM-Techniken verhindert werden.

DRM und Lizenzen, vom Hamburger zum Rind: Verknappte Information in der Wissenschaft

In der Wissenschaftskommunikation findet sich dieses Verknappungsmodell im sogenannten Closed Access, in dem Leser (direkt oder durch Subskriptionen ihrer Bibliothek) für die Nutzung von Informationen zahlen müssen. Besonders perfide manifestiert sich das Prinzip im, von einigen Wissenschaftsverlagen wie Cambridge University Press angepriesenen Article Rental Scheme, das nur das reine Lesen des Artikels erlaubt: Download, Ausdruck oder Kopieren von Inhalten sind nicht möglich, die Zugriffsdauer ist auf 24 Stunden beschränkt.

Andere Spielarten der künstlichen Verhinderung von offenem Informationsaustausch sind die teils in Verlagsangeboten zu findenden Pixel-PDF-Dateien, die keine Extraktion der textuellen Information oder auch nur eine Volltextsuche erlauben, oder DRM-versiegelte PDF-Dateien. PDF-Dateien haben zwar die Anmutung eines gedruckten Textes, können aber mit Leichtigkeit in ihrer Nutzbarkeit für wissenschaftliche Zwecke oder maschinelle Verarbeitung unbrauchbar gemacht werden. Die Open Science Community beschreibt dieses Ärgernis pointiert mit der Analogie, Daten aus einer PDF-Datei zu extrahieren gleiche dem Versuch, aus einem Hamburger wieder ein Rind zu machen.

Die technischen Maßnahmen zur Informationsverknappung werden durch lizenzrechtliche Nutzungseinschränkungen flankiert, die ebenfalls ein Information Mining verhindern. In einer Consultation des Intellectual Property Office (IPO) in Großbritannien sprachen sich zahlreiche Informationsanbieter und Verlage gegen eine Blankoerlaubnis zum Information Mining copyright-belasteter Inhalte zu wissenschaftlichen Zwecken aus - auch wenn die Institution eines Forschers sich die Zugriffserlaubnis auf die Inhalte via Subskription erkauft hat und obwohl die Forschungsergebnisse mit öffentlichen Geldern produziert wurden.

Einige der Akteure schlugen vor, den Zugang über Lizenzierungen zu regeln, die allerdings vermutlich - dem traditionellen Geschäftsmodell folgend - kostenpflichtig sein dürften. Dem Chemiker Peter Murray-Rust etwa gestattete ein Verlag nach zwei Jahren zäher Verhandlung das Mining von Publikationen, jedoch nur, wenn die Rechte an den Resultaten an den Verlag fielen und nicht öffentlich zugänglich gemacht würden.

Volkswirtschaftlich betrachtet haben Data- und Text-Mining jedoch ungeheures Potential: Ihre Anwendung in der Wissenschaft könnte laut McKinsey Global der europäischen Wirtschaft Mehrwerte von 250 Milliarden € pro Jahr bescheren. Dies setzt aber die erwähnte offene Verfügbarkeit der Informationen voraus, denn der Ausschluss kommerzieller Daten-Nutzung verhindert die Schaffung von Diensten mit hoher Wertschöpfung und benötigten Produkten.

Murray-Rust etwa entwickelte Techniken zum Data-Mining kristallographischer Daten, deren Ergebnisse sehr fruchtbar für die Schaffung neuer medizinischer Wirkstoffe sein können. Allerdings muss eine kommerzielle Verwertung der ausgewerteten Daten erlaubt sein, andernfalls werden Pharmafirmen vor der Verwendung Abstand nehmen. Nicht zuletzt ermöglicht Text- und Data-Mining auch effizienteres Informationsretrieval, etwa wenn Forschern Empfehlungsdienste nach einer Analyse relevante Daten oder Texte vorschlagen und aufwändige Recherchen abkürzen.

Monopole & politische Agenden bleiben nicht ohne Widerspruch

Die skizzierte Befreiung kreativer Inhalte durch Digitalisierung läuft offensichtlich den auf Verknappung basierenden Geschäftsmodellen der analogen Welt zuwider. Folglich versuchen Akteure wie Verwerter und Intermediäre, die von dieser Verknappung profitieren, kreative Inhalte weiterhin zu monopolisieren. Diese Vorgehen hat Tradition: Die University Presses Oxford und Cambridge konnten Ihre wirtschaftliche und verlegerische Vormachtstellung nur durch Druckmonopole für Bibeln im 17./18. Jahrhundert erreichen.

Zur Sicherung dieser Verwertungsmonopole und der konservativen Intellectual Property Regimes werden neben den erwähnten technischen auch umfassende und sehr weitreichende rechtliche Anstrengungen unternommen. Dazu zählen das gescheiterte Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA), die ebenfalls niedergeschlagenen US-Gesetzesvorhaben PIPA PROTECT IP Act (Preventing Real Online Threats to Economic Creativity and Theft of Intellectual Property Act) und SOPA (Stop Online Piracy Act) sowie der Research Works Act (RWA), der es US-Forschungsförderungsorganisationen untersagen sollte, Förderempfänger dazu zu verpflichten, projektbezogene Publikationen Open Access zu stellen. SOPA und PIPA hätten es US-amerikanischen Rechteinhabern erlaubt, eine nicht-genehmigte Verbreitung copyrightbelasteter Inhalte zu verhindern und dazu unverhältnismäßige Sanktionsoptionen eröffnet.

Kritiker warfen den Vorhaben unter anderem vor, die Durchsetzung von Zensurmaßnahmen zu ermöglichen, die Meinungsfreiheit zu unterminieren sowie Whistleblowing zu be- oder verhindern. Auch ACTA sollte die Ahndung von Copyright-Verletzungen ermöglichen; Juristen, Bürgerrechtler und NGOS monierten Beeinträchtigungen der Menschenrechte, der Achtung des Privatlebens, der Informations- und Meinungsfreiheit sowie des Recht auf Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten im Falle einer Umsetzung ACTAs. ACTA, SOPA und PIPA zielten letztlich darauf, die Zugangsoptionen zu geistigem Eigentum im Sinne der Verwerter von Informationen zu reglementieren und Sanktionsmöglichkeiten zu schaffen.

Gegen alle der genannten Vorhaben regte sich heftiger Widerstand, teils online wie in den Protest-Aktionen gegen SOPA und PIPA, während derer Wikipedia teils offline ging und Wikipedia-Macher Jimmy Wales die globale Schülerschaft via Twitter mit den Worten warnte: "Student warning! Do your homework early. Wikipedia protesting bad law on Wednesday! #sopa. Ein Zensur-Balken zierte unter anderem das Google-Logo zierte, als in zahlreichen europäischen Städten gegen ACTA demonstriert wurde. Der RWA hingegen stolperte über eine Open Data-Plattform: Maplight machte publik, dass die beiden Initiatoren des RWA 2011 Zuwendungen des Verlages Elsevier erhielten: Darrell Issa in Höhe von 2.000 US-$, Carolyn B. Maloney in Höhe von 8.500 US-$.