"Zölibatssyndrom" in Japan

Bei Unter-40-Jährigen sinkt nicht nur das Interesse an Beziehungen, sondern auch an Casual Sex

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Japan hat eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt: 2012 wurden dort erstmals mehr Windeln für inkontinente Senioren als für Babies verkauft. Ein Viertel der Frauen, die jetzt ins heiratsfähige Alter kommen, wird den aktuellen Prognosen nach nie eine Ehe schließen und fast 40 Prozent werden kinderlos bleiben.

Japanische Politiker führen diesen Trend auf mittlerweile zwei Jahrzehnte wirtschaftliche Stagnation und auf Lebensbedingungen zurück, in denen eine Person mit einem einzigen Einkommen häufig keine Familie ernähren kann. Sie setzen deshalb auf Kindertagesstätten und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Ob das alleine die Entwicklung umkehren kann, ist allerdings fraglich: Bei Japanern unter 40 ist nämlich nicht nur das Interesse an Ehe und Familie zurückgegangen, sondern auch das an Beziehungen und an Sex. Eine in diesem Jahr veröffentlichte Umfrage ergab, dass 45 Prozent der jungen Frauen zwischen 16 und 24 Jahren und über 25 Prozent der jungen Männer im selben Alter an sexuellen Kontakten nicht interessiert sind. Betrachtet man diese Zahlen zusammen mit denen aus Umfragen aus den vergangenen Jahren (vgl. Sex? Nein danke!), lässt sich daraus ein Trend ablesen, der sich auch in Südkorea abzeichnet (vgl. Ein Fünftel der jetzt 20-jährigen Südkoreaner soll für den Rest des Lebens Single bleiben).

Einer zwei Jahre zuvor durchgeführten Untersuchung zufolge pflegen in Japan 61 Prozent der unverheirateten Männer und 49 Prozent der alleinstehenden Frauen zwischen 18 und 34 kein geschlechtliches Verhältnis. Fünf Jahre davor lagen diese Anteile noch um etwa 10 Prozent niedriger. Und eine dritten Studie nach hat ein Drittel der erwachsenen Japanerinnen und Japaner unter 30 noch überhaupt keine sexuellen Erfahrungen gemacht.

Für das, was diese Studien ermittelten, gibt es bereits einen Namen: Sekkusu Shinai Shokogun - das "Zölibatssyndrom". Für heterosexuelle Männer existiert zusätzlich der Begriff Soshoku Danshi - "Pflanzenfresser". Personen mit Zölibatssyndrom haben zwar einen Sexualtrieb, halten aber den zu seiner Befriedigung im Körperkontakt mit anderen Menschen nötigen zeitlichen, wirtschaftlichen und emotionalen Aufwand häufig für unangemessen hoch - für Mendokusai.

Mendokusai

Das hat auch damit zu tun, dass es in einer hoch entwickelten Gesellschaft durchaus Alternativangebote gibt: Wofür der japanische Durchschnittsmann z.B. vor 50 Jahren noch Frauen brauchte, die mittels einer komplexen Kommunikation "erworben" werden mussten, dafür gibt es heute Supermärkte, Takeaways mit individuell verpackten Reisbällchen, Waschsalons, Wegwerfunterwäsche und Medien bis hin zur virtuellen Anime-Sklavin. Dafür sind Frauen zu einem weit größeren Teil als "normale" Produzenten und Konsumenten in die Warenökonomie integriert - und auch für sie gibt es entsprechende Angebote.

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