Eine fernsteuerbare Schabe führt zu einer moralischen Kontroverse

Bild: Backyard Brains

Eine US-Firma will Kinder an die Neurowissenschaft heranführen, indem sie Schaben Elektroden einoperieren, Kritiker monieren, dass lebende Organismen damit zu Spielzeugen werden und ihnen Leid zugefügt wird

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Es war wohl auch eine Idee für den Weihnachtsrummel, dass die amerikanische Firma Backyard Brains dazu brachte, im November die neueste Entwicklung anzupreisen: die RoboRoach, die bald auf den Markt kommen soll und die man für 99 US-Dollar vorbestellen kann, um die Marktreife zu beschleunigen. Die Firma, die Kindern mit "Open-Source-Experimenten" Neurowissenschaften nahebringen will, wirbt vor allem bei Jugendlichen und Studenten für den neurotechnisch verdrahteten lebendigen Cyborg, der mit einer Handy-App gesteuert wird: "Wolltest du jemals in deiner Schule oder deinem Institut mit deiner eigenen, ferngesteuerten Küchenschabe herumgehen?"

Schaben wird dabei ein 4,4 Gramm schwerer "Bluetooth-Rucksack" mit einer Batterie durch eine "kurze Operation", die aber 45 Minuten und ein paar Versuche benötigen soll, aufgepropft, die die Käufer selbst, angeleitet durch Videos und Online-Operationsanweisungen, durchführen sollen. Dabei müssen zwei der Elektroden, die als Stimulatoren dienen, in den Thorax unterhalb des Kopfes eingeführt werden, und die mittlere Elektrode dort, wo sich die linke Antenne befindet. Die Antennen sind die wichtigsten Sinnesorgane der Schaben. Die eingebrachten Elektroden werden mit einem Sekundenkleber befestigt. Zur Anästhesie dient Eiswasser oder man steckt die Schabe zuvor in den Kühlschrank.

Sind die Elektroden implantiert und der "Rucksack" an diesen angebracht, soll man die Schabe durch Mikrostimulation einige Minuten lang fernsteuern können, bis sich diese anpasst. Dann müsse man die Schabe nur 20 Minuten wieder in ihren Käfig zurücksetzen, bis sie das gelernte Verhalten wieder vergessen hat, um das lustige Spiel fortzusetzen, durch das man zu einem neurowissenschaftlichen Experten werden soll. Steuern ist freilich ein wenig übertrieben. Die Schabe kann nur, wenn sie läuft, für einige Minuten nach links oder rechts gelenkt werden.

Bild: Backyard Brains

Allerdings ist das neurowissenschaftliche Spielzeug nach 2-7 Tagen nicht mehr gebrauchsfähig, weil dann die Stimulation nicht mehr funktioniert. Deswegen gibt es beim Starterkit auch gleich 3 Elektroden-Sets, den Rucksack kann man der nächsten Schabe anheften. Und weil man ja Achtung vor dem Leben hat, soll man die ausgedienten Schaben wieder in die "Zuchtkolonie" zurücksetzen, "um den Rest ihrer Tage damit zu verbringen, dir mehr Schaben zu erzeugen und deinen Salat zu essen".

Natürlich hat die Firma "ethische Richtlinien" für ihre Produkte, also für die Verwendung von Wirbellosen für die "Bildung". Die Experimente seien zwar nicht "philosophisch perfekt und unumstritten", aber der Nutzen würde die Kosten aufwiegen. Unter Kosten wird verstanden, dass dann, wenn die Firma das nicht macht, die Menschen keinen Zugang zu den Neurowissenschaften finden. Das ist billig gestrickt. Man habe das Tierreich durchsucht, um leichte und wenig invasive Möglichkeiten zu finden, die Anwendung bei den Schaben sei die bislang beste.

Bild: Backyard Brains

Die Firma führt Experimente an Schulen durch, wo sie vorgeführt und nachgemacht werden. Dabei könne es schon mal zu einem "leichten Unbehaglichkeitsgefühl" kommen, wenn man ein Bein einer Schabe abschneidet oder das Nervensystem eines Regenwurms offenlegt. Aber das mache man, wenn die Tiere betäubt sind und nach "wissenschaftlich akzeptierten und humanen Prozeduren". Insekten und Würmer seien nicht empfindungsfähig, man würde die Experimente auch nicht zum Spaß machen, sondern nur zur Bildung, weswegen auch die Verwendung von Wirbellosen erlaubt sei. Robo-Roach ist auch kein Spielzeug, versichert die Firma, sondern "ein mächtiges und billiges Mittel, um neuronale Schaltkreise zu studieren". Seit drei Jahren habe man "analoge Versionen" von RoboRoach schon an Schüler verkauft, die normalerweise Ärzte oder Neurowissenschaftler werden wollen. Man will den "künftigen Wissenschaftlern" mit den Experimenten einen Vorteil verschaffen, weil sie schon Jahre früher praktisch neurowissenschaftlich arbeiten können.

Bild: Backyard Brains

Vorgeworfen wird der Firma, mit RoboRoach nicht nur eine Pseudowissenschaft anzubieten und Tiere zum Spielzeug zu machen und ihnen Schmerzen und Stress zuzufügen, sondern auch, Kinder gegenüber Tieren gefühllos zu machen. So meint Michael Allen, Philosophieprofessor an der Queen's University, gegen über BBC, dass damit "Amateure angeturnt werden, invasive Operationen an lebenden Organismen durchzuführen" und zu denken, dass "komplexe lebende Organismen als pure Maschinen oder Mittel" betrachtet werden. Allerdings ist in der Tat fraglich, inwiefern Schaben wirklich Schmerzen leiden, zudem gehen die Menschen gewöhnlich mit diesen und anderem "Ungeziefer" nicht gerade freundlich um. Mit "höheren" Tieren, inklusive Menschenaffen, Walen oder Delfinen, auch nicht, wenn es sich nicht um Haustiere wie Hunde oder Katzen handelt.

1997 hatten japanische Wissenschaftler schon einmal Cyborg-Schaben vorgestellt (Cyborg-Insekten). Was damals noch futuristisch erschien, ich hatte kommentiert: "Ein Bild aus der biologischen Welt der Zukunft", ist nun einem Spielzeug geworden.