Kleines Debakel mit Gete

Pasternaks russische "Faust". Übersetzung im Kreis der internationalen Goethe-Rezeption. Bild: Tom Appleton

Tom Appleton sucht Maori-Nachfahren eines deutschen Nationalheiligen und singt ein Zigeunerlied

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ich schreibe diesen Artikel, obwohl man es mir ausdrücklich verboten hat. Ich darf auch keine meiner Fotos verwenden, obwohl ich etliche Hundert Bilder gemacht habe. Also muss ich wenigstens erklären, was es mit Gete auf sich hat.

"Gete" hat mit Boris Pasternak zu tun. Pasternak war ein russischer Schriftsteller. Er bekam den Nobelpreis, für Literatur. 1958, für seinen Roman Doktor Schiwago, der heute üblicherweise nur noch als Film mit Omar Sharif und Julie Christie in Erinnerung geblieben ist, oder gar nur noch als die Film-Melodie, Lara’s Theme. Immerhin gewann er damals, 1965, fünf Oscars. Da war Pasternak schon einige Jahre lang tot, und den Nobel-Preis hatte er auch zurückweisen dürfen.

Pasternak war Jude, und selbst nach seiner Rehabilitation 1987 erschien sein Konterfei auf einer offiziellen Sowjet-Briefmarke von 1990 mit einer (gewiss unabsichtlich-unbewussten) mephistophelischen Verzerrung. Die Nase eines Mannes, sagt man im Deutschen, verweise auf seinen Johannes. Mit Johannes ist der Penis gemeint. Bei der Pasternak-Marke hat man scheinbar statt der Nase gleich den Schwanz her genommen. Auch die Hörner auf der Stirn fehlen nicht, zumindest sind sie ansatzweise zu sehen. Vielleicht wollte man auch nur suggerieren, dass dieses Teufelchen ein ganzes Leben lang damit verbracht hat, den Faust zu übersetzen. Was eine literarische Großtat war, unbestritten.

Über der russischen Ausgabe des Buches aus dem Jahr 1955 steht der Titel, "Faust" und darüber der Name des Autors: "Gete". In der Sowjetunion war man sich offenbar mit Pasternak darin einig, dass es nur einen Goethe gäbe, und dass man es nicht nötig hätte, ihn durch einen Vornamen näher zu bestimmen. Es gab keinen Kurt oder Joachim oder Fritz Goethe, es gab nur den einen "Gete".

Zwar wurde Pasternaks Übersetzung kritisiert, aber das lag daran, wie Pasternak selber erklärte, dass er eben das übersetzt hätte, was Goethe schrieb, statt das, was die offizielle Kulturbürokratie gern gehabt hätte, dass Goethe es geschrieben hätte. Das Cover dieses Buches findet man bei Google nicht, ich kann also nicht einfach einen Link hersetzen und muss stattdessen einen Trick anwenden. Das heißt, ich muss auf einem Foto alle Faust-Bücher in meinem Besitz zusammen, im Kollektiv, photographieren, und dabei den Pasternak ganz vorne hinstellen. Und so, im Gruppenbild, erscheint das Buch in einem Kontext außerhalb des Verbots, und meine Leser können erkennen, was man sich unter diesem "Gete" vorzustellen hätte.

Wie konnte es nun, im Jahr 2013, zu einem Verbot kommen, den Gete bei Strafe zu erwähnen? Nun, ich hatte es einfach toll gefunden, dieses Buch mit den schönen Illustrationen und dem Stempel "Sowjetische Kulturstelle Neuseeland" drin mit auf ein Maori-Marae mitzunehmen. Ich erinnere daran, dass (einem weit verbreiteten Gerücht zufolge) Vladimir Putin in jüngeren Jahren als Kultur-Attaché (sprich KGB-Agent) bei der Botschaft der UdSSR in Wellington tätig gewesen sein soll, und wer weiß, vielleicht war er es, der dieses Buch damals, lange vor Gorbatschow, im Übereifer aus den Beständen der Bibliothek ausgesondert hat? Jedenfalls flottierte es nun einige Jahrzehnte lang durch verschiedene Hände, bis es endlich bei mir gelandet ist.

Unten der Stempel der Russischen Kulturstelle in Neuseeland, die das Buch aus ihren Beständen entfernte. Bild: Tom Appleton

Ich hatte das Buch einfach nur als Prop mitgenommen, als Theater-Requisite. Ich wollte vor der TV-Kamera sagen: Schaut mal her, Leute, der Große Pasternak (jetzt bitte die Lara’s Theme-Einspielung) hat ein ganzes Leben lang an die Übersetzung dieses Werkes hingewendet. Er betrachtete Gete als einzigartig. Und tatsächlich. Auf der ganzen Welt gibt es keine Nachfahren von Goethe mehr. Goethe war eine kosmische Singularität. Aber hier in Neuseeland, auf diesem Marae, gibt es Hunderte von Goethes. Es ist unglaublich, Leute. Ihr seid alle Teil einer kosmischen Supernova.

So etwas Ähnliches habe ich auch tatsächlich gesagt - und das Buch war dabei in meiner Hand. Aber alles, was auf diesem Marae passiert ist und gesagt wurde, ist das geistige Eigentum des neuseeländischen Fernsehens - und deswegen muss ich hier etwas anderes hinschreiben und muss mich sogar um das Cover von Pasternaks "Faust" herumschwindeln.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.