Iran-Sanktionen: Wie gut zielt der Westen?

Im Atomstreit wird weiter damit gepokert, dabei zeigt sich, dass die "gezielten Sanktionen" zu Kollateralschäden und zu unerwünschten Wettbewerbsvorteilen für "schwarze Kanäle" in Iran, für China, Russland, Indien und die Türkei geführt haben

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Die Verhandlungen zwischen Iran und den Großmächten in Genf stehen kurz vor einem Durchbruch hieß am vergangenen Wochenende aus Genf. Laut diversen Berichten war es der französische Außenminister, der nach seiner Ankunft einen sich abzeichnenden Deal zum Platzen brachte.

In der Darstellung von US-Außenminister John Kerry waren es Vertreter des Iran, die nicht dazu bereit waren, einer Vereinbarung zuzustimmen, welche die "Standards von jeder Seite" erfüllt hätte. Rohani wird mit der Äußerung zitiert, dass es "rote Linien" gebe, die nicht überschritten werden dürfen.

Kolportiert wird, dass dies in Zusammenhang mit der Frage steht, wieviel Uran Iran anreichern darf und dem Schwerwasserreaktor in Arak. Wird nun mit dem Drohpotential von Sanktionen weiter gepokert?

Dabei herrschte große Einigkeit zwischen allen Seiten im grundsätzlichen Versprechen: Im Gegenzug zu iranischen Zugeständnissen, die eine Militarisierung des Atomprogramms ausschließen sollen, wird in Aussicht gestellt, dass die Aufhebung der Sanktionen gegen Iran eingeleitet wird. Doch das in der jüngeren Geschichte beispiellos eng geknüpfte Sanktionsnetz aufzulösen, wird nicht einfach vonstatten gehen.

So sprach der US-Präsident lediglich von einer "bescheidenen" Lockerung der Sanktionen, während der US-Kongress zu Obamas Missfallen sogar wieder neue Sanktionen gegen Iran anvisiert: Sie könnten den Erfolg der für den 20. November anberaumten Fortsetzung der Verhandlungen in Genf unterminieren.

Für die iranische Seite bleibt eine merkliche Lockerung der Sanktionen der Lackmustest des guten Willens der Gegenseite. Nicht zuletzt trat Irans neuer Präsident Hassan Rohani vor allem mit dem Wahlversprechen an, eine Entspannung in den Außenbeziehungen seines Landes herbeizuführen und die wirtschaftliche Krise zu beenden - für beides spielen die Sanktionen eine zentrale Rolle. Dazu kommt, dass sie den Alltag der Bevölkerung plagen.

Ziel nicht erreicht

Bei Sanktionen wird bezweckt, dem politischen Widersacher zu einem Kurswechsel anzuhalten. Im Falle der Iran-Sanktionen, die in ihrer Schärfe während des verkürzt als "Atomstreit" titulierten Konflikts verhängt wurden, heißt das offiziell ausgerufene Ziel, das iranische Atomprogramm zu verlangsamen oder gar ganz anzuhalten. Diese Vorgabe wurde bis dato mitnichten erreicht. Stattdessen haben wir es in der vergangenen Dekade zuvorderst mit zunehmend lähmenden Sanktionen zu tun gehabt, die schließlich in Form "struktureller Gewalt" auf das Land und die Bevölkerung wirkten.

Wirtschaftssanktionen sind eine der am meisten bevorzugten Instrumente westlicher Außenpolitik. So war denn auch die Auferlegung von Sanktionen die erste westliche Reaktion auf die Krise in Syrien. Im Falle Irans stellen Sanktionen einen zentralen Pfeiler der transatlantischen Iran-Strategie dar, die in diplomatischen Studien als Zwangsdiplomatie bezeichnet wird.

Das Gegenteil des Beabsichtigten

In diesem Zusammenhang wurden Sanktionen als geradezu friedliches Mittel der Außenpolitik dargeboten und somit als inhärenter Bestandteil eines rein diplomatischen Ansatzes, das eine militärische Konfrontation vorbeuge. Aber wie der Fall des Irak demonstriert hat, können Sanktionen auch der letzte Schritt vor einem dann alternativlos angesehenen Waffengangs sein. Mit anderen Worten: Auf "intelligente Bomben" können "intelligenten Sanktionen" folgen.

Doch auch abseits dieses "Worst-Case"-Szenarios haben sich Sanktionen nicht als adäquates Mittel zur Konfliktlösung erwiesen, sondern haben eher dazu beigetragen, die Fronten zwischen den iranischen und westlichen Konfliktparteien zu verhärten. Denn diese betrachten Sanktionen aus zwei völlig unterschiedlichen Prismen.

Der Westen versteht Sanktionen entlang einer Kosten-Nutzen-Rechnung: Je schärfer die Sanktionen, desto höher die Wahrscheinlichkeit für Zugeständnisse seitens des betroffenen Staates. Im Gegensatz dazu sieht Iran in den Sanktionen ein illegitimes Mittel der Machtausübung, demgegenüber man Widerstand leisten müsse. Diese beiden gegensätzlichen Auffassungen erklären, weswegen im Zuge des Konflikts eine Verschärfung der Sanktionen durch einen Ausbau des iranischen Atomprogramm begleitet wurde.

19.000 Zentrifugen

So verfügte Iran im Jahr 2006 - also noch vor den "lähmenden Sanktionen" der USA und auch der EU - über eintausend Zentrifugen, während seither sich deren Anzahl auf circa 19.000 erhöht hat. In den westlichen Hauptstädten wurde diese "nukleare Dynamik" infolge von Sanktionen geflissentlich ignoriert.

Darüber hinaus sollte nicht unerwähnt bleiben, dass westliche Politiker wesentlich mehr Zeit und Energie damit zugebracht haben, welche neuen und effizienteren Sanktionen gegenüber Iran verhängt werden könnten, als über alternative, diplomatische Lösungen nachzudenken, die einer ein Jahrzehnt alten, erfolglosen Strategie nachfolgen müssten.

Der Machtverlust der Zivilgesellschaft

Der gängige Diskurs über Sanktionen stellt ihre sozio-ökonomischen Auswirkungen auf die Zielgesellschaft in einem falschen Licht dar. Entgegen der dabei angeführten Behauptungen, schwächen Sanktionen die Unter- und Mittelschichten, insbesondere jene schwächsten Glieder einer Gesellschaft - nämlich Arbeiter, Frauen und Jugendliche. In Folge von Sanktionen also weitet sich die machtpolitische Kluft zwischen Staat und Zivilgesellschaft aus.

All dies trägt dazu bei, dass entgegen anderslautender westlicher Verlautbarungen, die Aussichten für eine Volkserhebung durch Sanktionen nicht etwa befördert, sondern eher geschmälert werden. Anders ausgedrückt: Ein Mensch, der um sein wirtschaftliches Überleben kämpft, verfügt kaum über die Muße als Citoyen in den demokratischen Kampf zu ziehen. Dies erklärt auch die mittlerweile nicht zu überhörende Verurteilung der Sanktionen durch Vertreter der iranischen Zivilgesellschaft, deren Stimmen im Westen jedoch geflissentlich ignoriert werden.

Terraingewinn für die Seite, die verlieren sollte

In politisch-ökonomischer Sicht haben Sanktionen die zivile Wirtschaft Irans gelähmt, während staatliche oder staatsnahe Wirtschaftsakteure, v.a. jene die mit den Revolutionsgarden verbandelt sind, profitieren konnten, indem sie beispielsweise eine Reihe von bedeutenden Einfuhren über "schwarze Kanäle" monopolisierten. Der ihnen gewährte Zugang zu Staatsressourcen haben diesen Akteuren einen relativen Terraingewinn beschert, während andere Firmen, die nicht über solche Privilegien verfügen, durch die steigende Betriebskosten in den Ruin getrieben wurden.

So haben Sanktionen das iranisch-chinesischen Handelsvolumen explosionsartig nach oben getrieben (in diesem Jahrzehnt rund um die jährliche Marke von 40 Mrd. US-Dollar laut dem regime-nahen Iran-China Chamber of Commerce and Industries), sehr zum Nachteil von Produzenten und Arbeitsplätzen in Iran. Genaugenommen zementierten die Sanktionen des Westens die polit-ökonomische Machtverhältnisse in Iran.