Sind Erdölopfer Mitglieder einer kriminellen Vereinigung?

Seit zwei Jahrzehnten führen Betroffene von Umweltverschmutzung im Amazonas Entschädigungsklagen gegen Erdölunternehmen. Nun kommt es zum Showdown

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Kräftemessen im Regenwald: Kläger aus Ecuador und der US-Erdölkonzern Chevron tragen vor Gerichten in beiden Länder und internationalen Tribunalen einen Streit um die Verantwortung für massive Umweltverschmutzungen als Folge von Erdölförderung aus. Inzwischen wurde auch der ecuadorianische Staat in den Disput hineingezogen. Die Regierung von Präsident Rafael Correa wehrt sich mit einer internationalen Kampagne gegen das juristische Vorgehen des Erdölmultis. Es geht um Millionen Liter Rohöl im ecuadorianischen Teil des Amazonas, irreparable Folgen für die Ökosysteme, gesundheitliche Folgen und zerstörte Existenzen. Vor allem aber dreht sich der Streit um die Frage, inwieweit ein transnationaler Konzern für die Folgen seines Engagements verantwortlich ist.

Der ecuadorianische Präsident Correa hat eine Kampagne "La mano sucia de Chevron" gestartet

Auf dem Spiel steht ein enormer Streitwert: Chevron soll 19 Milliarden US-Dollar bezahlen, weil das Vorgängerunternehmen Texaco nach Darstellung der Kläger massive Schäden für Mensch und Umwelt hinterlassen hat.

Texaco hatte in Ecuador zwischen 1964 und 1992 Erdöl gefördert und wurde 2001 von Chevron übernommen. Zu diesem Zeitpunkt liefen bereits Klagen von Anwohnern der ehemaligen Fördergebiete. Insgesamt habe Texaco 71 Millionen Liter Erdölrückstände und 64 Millionen Liter Rohöl hinterlassen. Dieses giftige Erbe belaste rund zwei Millionen Hektar, vor allem im ecuadorianischen Teil des Amazonas.

Die Kläger, allen voran indigene Organisationen, berufen sich auf einen Artikel des Fördervertrags, nach dem toxische Rückstände in tiefe Erdschichten gepumpt hätten werden müssen. Tatsächlich habe Texaco Rohöl und andere Rückstände nur mit einer dünnen Erdschicht bedeckt.

Chevron hingegen macht die staatliche ecuadorianische Erdölgesellschaft Petroecuador verantwortlich und versucht, die enorme Entschädigungssumme auf den südamerikanischen Staat abzuwälzen. Dagegen wehrt sich nun die Regierung Correa. In Quito ist man sich sicher, Ziel einer Schmutzkampagne zu sein. Mitte September brachte die Regierung Correas eine PR-Initiative auf den Weg, die nun von den Botschaften des Landes in aller Welt unterstützt wird.

Bild aus dem Video David contra Goliat der ecuadorianischen Regierung

Streit begann mit Klagen betroffener Bürger

Dabei war der ecuadorianische Staat in den Rechtsstreit um die Umweltverschmutzungen von Texaco zunächst gar nicht involviert. 1993 hatte María Aguinda, eine indigene Frau aus dem ecuadorianischen Osten, Chevron auf Schadensersatz verklagt. Die Frau wurde in dem Verfahren von indigenen Organisationen und Umweltschutzgruppen unterstützt.

Weil Chevron als Rechtsnachfolger von Texaco in Ecuador keine Güter mehr besaß, musste die Klage in den USA eingereicht werden werden. Damals unternahm der Konzern große Anstrengungen, um das Verfahren in den USA abweisen zu lassen und es wieder nach Ecuador zu verlagern. Zu den Hintergründen erklärten sich die Firmenvertreter nicht. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass sich die Justitiare von Chevron vor ecuadorianischen Gerichten mehr Chancen ausrechneten. Als das Unternehmen vor einem New Yorker Gericht im Jahr 2002 die Verlegung nach Ecuador erreichte, verpflichtete es sich daher, jedwedes Urteil zu befolgen.

Die weitere Entwicklung hatte Chevron jedoch nicht erwartet. Nach dem Scheitern der Klage in den USA Mitte der 1990er Jahre strengten indigene Aktivisten und Landbewohner derselben Gegend, aus der die erste Klage erhoben worden war, im Jahr 2003 ein neues Verfahren gegen den US-Konzern vor dem Gericht in der ecuadorianischen Provinz Sucumbíos an. Dieses Verfahren endete 2011 mit der Niederlage Chevrons. Der Konzern wurde zu einer Entschädigungszahlung von insgesamt 9,6 Milliarden US-Dollar verurteilt. Die Richter verpflichteten Chevron zudem dazu, sich für die ihrer Meinung nach vermeidbaren Schäden binnen zwei Wochen öffentlich zu entschuldigen. Andersfalls würde sich die Entschädigungssumme verdoppeln.

Weil Chevron der Auflage nicht nachkam, geht es nun um 18 Milliarden US-Dollar (Ecuadorianisches Gericht verurteilt Chevron zu 18 Milliarden Dollar Schadensersatz). Das Urteil wurde in einem Berufungsverfahren bestätigt. Derzeit ist eine Kassationsbeschwerde vor dem Nationalen Gerichtshof Ecuadors anhängig, das Verfahren in dem südamerikanischen Land ist daher noch nicht beendet.

Gegenoffensive von Chevron

Chevron reagierte auf die neue Klage mit einer Reihe von Gegenprozessen. Im Jahr 2004 versuchten die Unternehmensanwälte zunächst, den staatlichen ecuadorianischen Erdölkonzern Petroecuador für die Schäden haftbar zu machen. Der Argumentation, das Petroecuador dazu wegen eines Kooperationsabkommen verpflichtet sei, folgten die Richter in New York jedoch nicht: Das Verfahren wurde eingestellt.

2006 rief Chevron den Ständigen Schiedshof in niederländischen den Haag an. Ecuador habe gegen ein Investitionsschutzabkommen mit den USA verstoßen, weil der südamerikanische Staat Texaco in insgesamt sieben Streitfällen keine hinreichende Hilfe zur Verfügung gestellt habe. Gegen die verhängte Geldstrafe in Höhe von 96 Millionen US-Dollar legte Ecuador Widerspruch ein. Das Investitionsschutzabkommen sei erst 1997 in Kraft getreten, also fünf Jahre, nachdem Texaco das Land verlassen hat, hieß es dazu aus Quito. Eine Rückwirkungsklausel sei im bilateralen Vertrag nicht vorgesehen. 2009 konterte Chevron mit einem weiteren Prozess vor dem Ständigen Schiedshof in Den Haag. Bei dem Fall geht es um die Frage, ob Texaco von seiner Haftung mit einem Abschlussvertrag 1998 befreit worden ist. Dieser These der Chevron-Anwälte folgte das Schiedsgericht nicht. Das Verfahren ist wegen weiterer offener Frage aber noch nicht beendet.

Den spektakulärsten Prozess aber strengt Chevron derzeit in New York an. Die ecuadorianischen Kläger werden dabei der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bezichtigt. Die Vertreter des Erdölkonzerns berufen sich dabei auf das sogenannte RICO-Gesetz, das in den 1970er Jahren mit Urteilen gegen die Mafia bekannt worden war. Chevron versucht so, eine Anerkennung des Entschädigungsurteils von 2011 vor US-Gerichten zu verhindern. In der Anklageschrift heißt es, der US-Anwalt Steven Donziger und seine ecuadorianischen Klienten hätten versucht, in den Fall involvierte ecuadorianische Juristen zu bestechen und Beweise zu fälschen. Der Prozess wurde Mitte Oktober unter Protesten von Geschädigten und Umweltaktivisten eröffnet.

Es geht auch um die Souveränität der Förderstaaten

Der Versuch Chevrons, die Entschädigungssumme auf Petroecuador und damit auf den ecuadorianischen Staat abzuwälzen, hat aus dem nun zwei Jahrzehnte währenden Streit endgültig ein Politikum gemacht, eine Schlacht zwischen zwei mächtigen Gegnern. Chevron verlinkt auf seiner Startseite zu einem Dossier über den Streit, in dem die Kläger, aber auch die ecuadorianische Regierung der Lüge und Manipulation bezichtigt werden, Dokumente und professionell produzierte Kampagnenvideos inklusive.

David contra Goliat

Ecuadors Präsident Rafael Correa konterte vor wenigen Wochen mit einer internationalen Kampagne mit dem Titel "Die schmutzigen Hände von Chevron in Ecuador" (La mano sucia de Chevron). Medienwirksam tauchte er seine Hand in den ölgetränkten Boden im ehemaligen Fördergebiet und hielt sie vor die laufenden Kameras. Spätestens seit diesem Auftritt ist klar: Der Kampf um die Meinungshoheit wird nicht mehr nur mit Gerichtsakten geführt, sondern zunehmend auch mit Bildern.

Zugleich belegt der Disput zwischen Chevron auf der einen Seite und den Privatklägern sowie dem ecuadorianischen Staat auf der anderen Seite das zunehmende Selbstbewusstsein in den Staaten des Südens. Ein Grund für die Parteinahme des Staates sind die einseitigen Urteile von Schiedsgerichten. Nach einem Bericht der regierungsnahen bolivianischen Nachrichtenagentur Bolpress waren 1994 weltweit fünf Schiedsverfahren zwischen Staaten und Konzernen anhängig. Sie lagen nicht ausschließlich bei der Schiedsstelle der Weltbank, sondern fanden - wie im Fall von Chevron und Ecuador - zum Teil auf der Basis bilateraler Investitionsschutzabkommen statt. Zehn Jahre später, 2004, liefen international bereits 160 solcher Verfahren, 106 alleine beim Schlichtungszentrum der Weltbank. Betroffen waren fast ausschließlich Entwicklungsstaaten.

Im Streit zwischen Chevron und Ecuador geht es - unabhängig von den Argumenten der beteiligten Parteien in den verschiedenen anhängigen Verfahren - also vor allem um die Frage der Souveränität zwischen transnational agierenden Konzernen und Staaten.