Peter Hartz: "Wir haben nie den Langzeitarbeitslosen schaffen wollen"

Und auch die Leiharbeit nicht fördern?

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Hätte er Leutheusser-Schnarrenberger geheißen, wäre ihm die "Ironie der Geschichte" erspart geblieben, dass sein Name als Schlagwort für das Arbeitslosengeld II herhalten müsse, klagt Peter Hartz, dessen Nachname bekanntlich auch zum Verbum "hartzen" umgeformt wird. Der ehemalige Berater des Agenda-2010-Kanzlers verteidigt die umstrittenen Reformen mit dem Hinweis, dass der Ansatz damals davon ausgegangen sei, dass es "zumutbar für die Leute" sei, "vorübergehend mit dem Geld auszukommen, wenn sie eine Perspektive haben". Man habe "nie den Langzeitarbeitslosen schaffen wollen".

Wenn das Arbeitslosengeld II für ein ganzes Leben ausreichen soll, sei das doch keine Perspektive, so Hartz, dessen Name der Kürze wegen "gut in die Überschrift" für die Kommission und die Reformengesetze (Hartz I bis IV) gepasst habe. Nun findet er seinen Namen "missbraucht". Indessen hat sich das Institut für Bildungs- und Sozialpolitik (ibus) der Hochschule Koblenz (siehe Deutschland: 435.000 Arbeitsmarktferne mit extrem geringen Chancen) die diesjährigen Sommer- und Herbst-Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit nochmals genauer angeschaut, um zu eruieren, wo die Arbeitslosen landen, die aus der Statistik der Arbeitslosen herausfallen. Ein Perspektiventest, wenn man so will. Herauskam, was längst bekannt ist, aber eben mit Zahlen untermauert.

Unter den vormals Arbeitslosen, die tatsächlich in Arbeit kommen, landen überdurchschnittlich viele in der Leiharbeit. Nur etwa jeder dritte Arbeitslose, der im September 2013 seine Arbeitslosigkeit beendete, fand auch tatsächlich einen Arbeitsplatz. Alle anderen zählten nicht mehr zu den Arbeitslosen, weil sie beispielsweise eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme begannen oder dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung standen.

Nur rund 29 Prozent, in absoluten Zahlen 210.000 von insgesamt 730.000, der Abgänge aus der Arbeitslosigkeit im September 2013 wurden als Personen verzeichnet, die eine Arbeitsstelle aufgenommen haben oder eine selbstständige Tätigkeit.

Die verbleibenden 71 Prozent, mehr als zwei Drittel, sind zu rund 34 Prozent sind als "nichterwerbstätig" notiert, weil sie arbeitsunfähig sind oder mit Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen beschäftigt. Etwa 20 Prozent gehen einer geförderten Beschäftigung am zweiten Arbeitsmarkt nach, nehmen an Weiterbildungsmaßnahmen teil, machen Praktika oder ein Freiwilliges Soziales Jahr. 8,5 Prozent sind in einer schulischen oder beruflichen Ausbildung eingeschrieben. Weitere 8,5 Prozent werden als "sonstige Abgänge" verbucht. Fazit:

Nach der Abmeldung in Nichterwerbstätigkeit ist eine erfolgreiche Jobsuche damit lediglich der zweithäufigste Abgangsgrund aus Arbeitslosigkeit.

Bei den schon länger als arbeitssuchend Gemeldeten, bei den Hartz-IV- bzw. ALG-II-Empfängern, fällt die Erfolgsquote bei der Jobsuche niedriger aus. Im September 2013 waren es 16,8 Prozent, die als Abgänger aus der Arbeitslosigkeit verzeichnet wurden, weil sie eine Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt fanden oder eine selbstständige Tätigkeit aufnahmen (demgegenüber fanden beinahe 44 Prozent aller Abgänger aus der Arbeitslosigkeit, die zuvor ALG-I-Empfänger waren, eine Arbeit oder machte sich selbstständig).

"Umgekehrt produziert die Leiharbeitsbranche auch besonders viele Arbeitslose"

Geht es nach der Studie, so hat die Perspektive all der Arbeitslosen, die einen Job finden, vor allem einen Namen: "Leiharbeit". Die ALG-I-Bezieher, die eine Arbeit finden, kämen überdurchschnittlich häufig in der Leiharbeitsbranche unter, heißt es. Jeder fünfte Wechsel (21 Prozent) aus Arbeitslosigkeit entfalle auf diese Branche. Es folgen wirtschaftlichen Dienstleistungen (13,6 Prozent), z.B. Reinigungsunternehmen oder Call Center, und der Handel (12,9 Prozent).

Bei den Hartz-IV-Beziehern war es im Juli 2013 mehr als jeder vierte Wechsel (27 Prozent), der in Richtung Leiharbeitsbranche geschieht. Mit einem Abstand von über elf Prozentpunkten folgen die wirtschaftlichen Dienstleistungen (15,7 Prozent) und der Handel (11,2 Prozent).

Dabei zeigt sich auch der andere Effekt: Dass aus der Leiharbeit besonders viele Arbeitslose kommen, so die Studie.

Umgekehrt "produziert" die Leiharbeitsbranche auch besonders viele Arbeitslose. Mit 13,4 Prozent liegt sie an dritter Stelle aller Zugänge aus Arbeit in Arbeitslosigkeit im Juli 2013.(...). Ungefähr jeder vierte Neu-Arbeitslose, der im Juli 2013 direkt "Hartz IV"-Leistungen beantragen musste, war zuvor in der Leiharbeit beschäftigt.

Für die Hartz-IV-Empfänger bedeutet das in nicht wenigen Fällen, dass sie in der Drehtür zwischen Leiharbeitsunternehmen und ALG-II hängen bleiben:

Die ehemaligen Leiharbeiter und nun (wieder) Arbeitslosen erfüllen besonders häufig nicht die Anspruchsvoraussetzungen auf Arbeitslosengeld und fallen sofort (zurück) in das "Hartz IV"-System. Umgekehrt schaffen es vergleichsweise wenige ehemalige Leiharbeiter in den Arbeitslosengeldbezug. Unter den Neu-Arbeitslosen, die Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben haben, liegt der Anteil der vormals in der Leiharbeit Beschäftigten hingegen bei lediglich 10,7 Prozent.