Gemeinsam die Welt regulieren

Die zweite Freihandelsrunde EU-USA in Brüssel brachte keine greifbaren Ergebnisse. Die Amerikaner wollen den Markt für Dienstleistungen und Big Data ausbauen, die Europäer setzen ganz traditionell auf Autos und Pharma

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Die zweite Runde der umstrittenen Freihandelsgespräche zwischen der EU und den USA (Kampf um das Freihandelsabkommen mit den USA in Brüssel) ist zu Ende. Und was ist das Ergebnis? Nichts, jedenfalls nichts Konkretes. In keinem einzigen Themenfeld konnten Ignacio Garcia Bercero, der EU-Vertreter, und Dan Mullaney, der US-Unterhändler, greifbare Fortschritte vorzeigen. Man habe die letzten Tage genutzt, "unsere jeweiligen Herangehensweisen zu Handels- und Investitionsabkommen gründlicher zu erkunden", druckste Mullaney bei der Abschluss-Pressekonferenz am Freitag in Brüssel herum.

Wer genauer hinhörte, konnte den Eindruck gewinnen, dass Amerikaner und Europäer aneinander vorbeireden. Mullaney, der Amerikaner, betonte die Bedeutung des Dienstleistungssektors, der zwei Drittel der US-Wirtschaft ausmacht. Hier würde er gerne europäische Mauern einreißen - etwa beim elektronischen Handel, bei Telekommunikationsdiensten und bei "Big Data".

Man könne doch mehr Daten austauschen und gemeinsame Datenbanken anlegen, sagte Mullaney allen Ernstes - ganz so, als hätte er noch nie etwas von der NSA-Affäre und den europäischen Datenschutzbedenken gehört.

Auch sein EU-Kollege Garcia Bercero ging mit keinem Wort auf die Spionagevorwürfe ein. Beharrlich ignoriert er, genau wie Kommissionspräsident José Manuel Barroso, die Forderung aus dem Europaparlament, die Freihandelsrunde so lange auszusetzen, bis die NSA-Affäre aufgeklärt und die Wirtschaftsspionage der Amerikaner beendet ist.

Stur klammert er sich an sein offizielles Mandat, die größte Freihandelszone der Welt zu schaffen. Allerdings setzt Bercero dabei andere Prioritäten als Mullaney: Es wäre doch schön, wenn man sich auf gemeinsame technische Normen bei Autos einigen könne. Da ist nämlich die europäische Wirtschaft besser aufgestellt. Auch bei Chemie- und Pharmaprodukten wünscht sich der EU-Unterhändler eine Öffnung des amerikanischen Marktes.

Sind die Umwelt- und Gesundheitsstandards durch einen Unterbietungswettbewerb gefährdet oder nicht?

Es sind also unterschiedliche Prioritäten, die Europäer und Amerikaner bei der zweiten Verhandlungsrunde in Brüssel gesetzt haben. Einig sind sie sich hinterher nur in der Beteuerung, Verbraucher und Unternehmen hätten von der geplanten Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) nichts zu fürchten. Selbstverständlich würden die EU und die USA ihre je eigenen Standards im Umwelt- und Gesundheitsschutz behalten, beteuern sie im Chor. "Es geht nicht darum, unsere Schutzstandards zu senken", so Bercero. "Wir werden unsere hohen Standards behalten", pflichtet Mullaney bei.

Damit regieren die Unterhändler, die auch diesmal wieder hinter verschlossenen Türen geredet haben, auf den Vorwurf von Verbraucherschützern, ein Freihandelsabkommen würde zu einem Unterbietungswettbewerb führen. Sorgen bereitet den NGOs vor allem die geplante wechselseitige Anerkennung von Umwelt- und Gesundheitsstandards.

EU-Handelskommissar Karel De Gucht sei nicht zu trauen, wenn er verspreche, die europäischen Standards würden gewahrt, hatte Monique Goyens, Generalsekretärin des EU-Verbraucherverbands BEUC, am Montag in Brüssel gewarnt. Denn das geplante Abkommen werde dazu führen, dass der europäische Markt mit US-Produkten - z.B. Genfood - überschwemmt werden, die die EU-Regeln nicht einhalten.

Da diese Produkte nicht gekennzeichnet werden sollen, drohe ein Verdrängungswettbewerb zu Lasten hochwertiger europäischer Lebensmittel. "De Gucht redet wie ein Politiker", sagte Goyens. Der Belgier, gegen den derzeit ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung läuft, verschweige jedoch, dass das Abkommen die großen US-Konzerne bevorzugen würde. Schon jetzt würden auch EU-Firmen nach niedrigeren Standards rufen.

Für Unruhe sorgt auch der EU-Plan, Regeln zum Investorenschutz in das TTIP-Abkommen aufzunehmen. Damit bekämen US-Konzerne die Möglichkeit, gegen Gesetze in EU-Staaten zu klagen, fürchten viele NGOs. Auch dies werde zu einer Senkung der Umwelt- und Sozialstandards führen. Doch die Bedenken gegen das so genannte "Investor State Dispute Settlement" (ISDS) sind bei den Unterhändlern noch nicht angekommen. ISDS sei selbstverständlich weiter ein Thema, so der US-Vertreter. Man bemühe sich noch um ein gemeinsames Verständnis, fügte sein EU-Counterpart kleinlaut hinzu. Ein entschiedenes Nein klingt anders.

Schon am 16. Dezember wollen sich beide Seiten in Washington wieder treffen, um ihr umstrittenes Abkommen voranzutreiben. Bereits Anfang 2014 sollen sich dann, wenn alles gut läuft, nicht mehr nur Unterhändler und Experten, sondern auch die Chefs mit TTIP befassen. Dann will auch EU-Handelskommissar De Gucht persönlich die Regie übernehmen - vorausgesetzt, dass er seinen Steuerskandal unbeschadet überstanden hat.

Eine Art Wirtschafts-Nato im Visier

Wohin die Reise gehen soll, hat De Gucht in mehreren Reden deutlich gemacht, zuletzt am Freitag in der Schweiz. Der EU-Kommissar will sich nicht mit einem transatlantischen Abkommen begnügen, sondern auch Partnerländer - wie eben die Schweiz oder die Türkei - daran beteiligen. So soll ein Netzwerk der Freihändler entstehen, eine Art "Wirtschafts-Nato" des freien Westens, das sich so gegen China und andere Konkurrenten "verteidigen" - man kann auch sagen: abschotten - will.

Zudem will es De Gucht nicht bei einem einmaligen Abkommen belassen, sondern gleich noch neue Institutionen schaffen. Schon im Oktober brachte er die Gründung eines "Regulierungsrates" (Regulatory Cooperation Council) ins Gespräch, der über die Einhaltung der Vereinbarungen wachen und neue Regeln erlassen soll. Im Idealfall sollten die EU und die USA sogar gemeinsame Regeln erlassen, die dann "gute Chancen hätten, internationale Standards zu werden", sagte er bei einer Rede in Prag.

Doch das passt den Amerikanern, die bisher die Weltmeister der Normierung und Standardsetzung sind, nicht so recht in den Kram. Am Ende der Verhandlungen sollte zwar in neuer "institutioneller Mechanismus" stehen, sagte US-Unterhändler Mullaney in Brüssel. Doch noch sei offen, wie er funktionieren und heißen soll. Offenbar möchten sich die Amerikaner nicht allzu fest an die Europäer binden. Schließlich haben sie noch andere Partner in der Welt, und die dynamischste Region ist die EU ohnehin schon lange nicht mehr.

Wer will schon einen Welt-Regulierungsrat mit einer Wirtschaftszone gründen, die es zuletzt (im dritten Quartal 2013) gerade mal auf 0,1 Prozent Wachstum brachte?