Rettet ein Skorpion die Honigbiene?

Das gegenwärtige Bienensterben kann fatale Folgen haben. Vielleicht könnte der Bücherskorpion für Abhilfe sorgen

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"Wenn die Bienen verschwinden, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben; keine Bienen mehr, keine Pflanzen, keine Tiere, keine Menschen mehr." In diesem Zitat, das fälschlicherweise Albert Einstein zugeschrieben wird, steckt doch ein Funken Wahrheit. Die Bienen sind nicht nur wichtig wegen des Honig und Wachs, sondern vor allem wegen ihrer Bestäubungsleistung. Pflanzen, die wir zum Atmen und Essen brauchen, werden natürlich nicht nur von den Bienen bestäubt, sondern auch durch den Wind und andere Insekten. Nichtsdestotrotz sind Bienen, neben den Wild- vor allem die Honigbienen, ein äußerst wichtiges Puzzleteil in unseren komplexen Ökosystemen.

Die jährliche Wirtschaftsleistung der Bienen wird, soweit sich das überhaupt beziffern lässt, weltweit auf 153 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Ohne Honigbienen gäbe es kaum Äpfel, Kirschen, Gurken, Kaffee und Co. Damit zählen Bienen zu den wichtigsten Nutztieren des Menschen.

Schätzungen zufolge sind rund 84 Prozent aller hiesigen Pflanzen auf eine Fremdbestäubung angewiesen (von denen wiederum rund 80 Prozent von Bienen bestäubt werden können). Kaum ein Bauer oder Gärtner kann es sich leisten, auf die Bienen zu verzichten: Auf den gigantischen Feldern, insbesondere bei den problematischen Monokulturen, ist es aber häufig vorbei mit der Insektenvielfalt. Deshalb fahren Berufsimker oft Tausende von Bienenvölkern auf ihren Lastwagen herbei, um die Felder von den Bienen bestäuben zu lassen.

Für die kalifornischen Mandelbäume werden jährlich über 1,4 Millionen Bienenvölker herangekarrt (drei Viertel aller Bienen der USA), um jene Plantagen zu bestäuben, auf denen über 80 Prozent der weltweit gehandelten Mandeln wachsen. Aber: Seit dem 2007 einsetzenden Bienensterben gibt es nicht mehr genügend von ihnen, um die Landwirtschaft zu versorgen.

In China beispielsweise müssen mittlerweile schon Blüten von Hand bestäubt werden, weil Pestizide und genmanipulierte Pflanzen die Honigbienen in einigen Landstreichen komplett dahingerafft haben. Mit Wattestäbchen und viel Geduld müssen nun Menschen das machen, was eigentlich die Bienen erledigen - wie dieser Videobeitrag zeigt:

Beim Bienensterben steht weit mehr auf dem Spiel als unser Frühstücksbrötchen mit Honig. Dem Massensterben der Honigbienen, dem sogenannten "Colony Collapse Disorder" (CCD) sind allein in einigen Regionen der USA bis zu 75 Prozent der Bienenvölker zum Opfer gefallen. Ein Desaster für Berufsimker, Bauern und das ökologische Gleichgewicht. Während in Deutschland rund 15 bis 25 Prozent der Bienen starben, sind es in der Schweiz fast 50 Prozent.

Die Ursachen für das bis heute anhaltende Bienensterben sind umstritten: Einerseits werden fehlende Lebensräume aufgrund der schwindenden Blumenwiesen und der massiven Unkrautvernichtung angeführt, andererseits stehen gentechnisch manipulierte Pflanzen, nervenschädigende Pestizide, Krankheiten wie die Faulbrut und nicht zuletzt die rückläufige Anzahl der Imker im Verdacht: Rund vier Fünftel aller Bienen werden in Deutschland von Hobby-Imkern gehalten, denen mittlerweile der Nachwuchs ausgeht.

Kampf gegen die Varroa-Milbe

Der Hauptfaktor für den CCD ist aber die Varroa-Milbe, ein etwa 1,2 mm langer und 1,6 mm breiter Parasit, der sich in der Brut des Bienenstocks entwickelt und vermehrt. Die Varroa-Milben wurden 1977 in Deutschland eingeschleppt. Seitdem treiben sie ihr Unwesen: Die Milben saugen die Bienenlarven aus, so dass die geschlüpften Bienen etwa 10 Prozent ihres Körpergewichts verlieren, deutlich geschwächt sind und früher sterben; zudem übertragen die Milben pathogene Viren.

Die Bekämpfung der Milben gehört mittlerweile zu den wichtigsten Aufgaben der Berufs- und Hobby-Imker. Als Mittel eignen sich organische Oxal- und Ameisensäure, wobei einerseits die Erfolgsquote variiert und andererseits die Bienen selbst geschädigt werden können. Eine weitere Methode besteht darin, in die unterste Brutzarge leere Rähmchen einzuhängen, um die Milben gezielt zu den dortigen Larven zu locken und dann das Rähmchen zu entfernen.

Alternativen werden händeringend gesucht. Derzeit werden solche Bienen gezielt aus dem Bienenstock geholt und weitergezüchtet, die ein Putzverhalten gegen die Milben aufweisen. Doch die Forschung steckt hier ebenso in den Kinderschuhen wie bei dem Versuch, gezielt das Erbgut der Milben zu manipulieren und die Parasiten somit unschädlich zu machen.

Ein Pseudoskorpion als Rettung?

Für Furore unter den Imkern sorgt nun auch der Bücherskorpion (Chelifer cancroides), vor allem nach einem im Oktober 2013 publizierten Artikel im Deutschen Bienen-Journal. Der für den Menschen vollkommen ungefährliche Bücherskorpion ist in Mitteleuropa heimisch - vor allem in staubigen Ecken unserer Wohnungen und Dachböden -und mit durchschnittlich 3,6 mm etwa dreimal so groß wie die Varroa-Milbe. Die bevorzuge Mahlzeit des Skorpions sind Bücher- und Staubläuse, Bettwanzen und: Milben. Die spießt er mit seinen Scheren auf und lähmt sie mit einem Biss seines Giftzahns. Anschließend saugt der Bücherskorpion die Milbe aus.

Torben Schiffer, der über das Zusammenspiel von Bücherskorpion, Varroa-Milbe und Honigbiene forscht, hat über den Kampf Skorpion vs. Milbe ein aufschlussreiches Video hochgeladen:

Bücherskorpion auf der Jagd

Der Bücherskorpion weckt natürlich große Hoffnung bei Imkern: Die Varroa-Milben würden verschwinden - und das ohne den Einsatz von Chemie. Gleichzeitig weckt das Ganze aber auch Argwohn: Wenn doch der Bücherskorpion so gerne Varroa-Milben aussaugt, weshalb ist er dann nicht schön längst in den Bienenstöcken anzutreffen? Vermutlich liegt das an den modernen "Beuten" (der Kasten, in dem ein Bienenvolk lebt), die für den Bücherskorpion kein natürliches Habitat mit Rückzugsmöglichkeiten darstellen: glatte Holz- oder Styroporwände ringsum bieten schlichtweg keine Höhlen oder Spalten.

Torben Schiffer weist darauf hin, dass bereits 1951 der Zoologe Max Beier und 1966 der Zoologe Peter Weygoldt in offensichtlich unbeachteten Publikationen über Symbiose von Skorpion und Biene berichtet haben. Schiffer ergänzt:

Pseudoskorpione leben und lebten bereits seit Urzeiten in Symbiose mit den Bienen. In vielen Ländern sind diese noch heute in einer Symbiose vereint. Vor 1977 und vor der Anwendung von Akariziden [Pestizide zur Bekämpfung von Milben], befanden sie sich auch in den Bienenstöcken in unseren Breiten. Das Einsetzen der Pseudoskorpione bringt also ein Stück Natur zurück in die Stöcke.

Um eine Milbe zu erlegen, benötigt der Skorpion zwischen 30 und 60 Minuten. Pro Bienenbeute - ein Volk umfasst zwischen 30.000 und 80.000 Bienen - wären mindestens 100 Bücherskorpione nötig. Um ihnen ein Habitat zu bieten, könnten beispielsweise Anbauten an den Beuten hilfreich sein, die Ritzen und Verstecke bieten und mit Torf oder anderen Materialien gefüllt sind.

Wie gut das außerhalb eines Reagenzglases und somit innerhalb eines Bienenstocks funktioniert, muss weiter erforscht werden: Hat der Skorpion überhaupt Interesse daran, überall in der Beute herumzuklettern und ständig Milben zu jagen? Bringt der Skorpion vielleicht andere Viren oder Krankheiten in den Bienenstock? Stört der Skorpion die Kommunikation der Bienen, die unter anderem über Pheromone, also chemische Botenstoffe erfolgt? Oder greift er die Bienen sogar an?

Fragen über Fragen, deren Beantwortung sich bestimmt lohnen wird. Denn mit dem verstummenden Summen würden über kurz oder lang auch zahlreiche Pflanzen und schließlich unsere Landwirtschaft erheblichen Schaden nehmen.

Patrick Spät lebt als freier Journalist und Autor in Berlin.