Britische Polizei hält an dubiosen Spitzel-Einsätzen fest

Foto aus "Spied Upon". Bild: Jason Kirkpatrick

"Gegenspionage" funktioniert nicht nur bei Geheimdiensten: Mit versteckter Kamera wurde das Anwerbegespräch gefilmt, in dem ein Polizeiführer einen jungen Studenten zur Zusammenarbeit überreden wollte

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Angesichts zahlreicher, weiterer Enthüllungen zur Geheimdienstpraxis britischer und US-amerikanischer Dienste ist die Polizei fein raus: Man beruft sich auf Recht und Gesetz, umstrittene Einsätze von Überwachungssoftware oder Spitzeln erfolgten nur nach strikter Maßgabe entsprechender Bestimmungen. Die werden weit ausgelegt, kam nun heraus: Ein junger Student aus Cambridge sollte für die Polizei angeworben werden. Beim Anbahnungsgespräch trug er jedoch eine versteckte Kamera.

Undercover-Agent Mark Kennedy. Screenshot aus der Doku "Cutting Edge: Confessions of an Undercover Cop"

Wieder ist die britische Polizei in der Kritik, wieder geht es um die umstrittenen Einsätze von Polizeispitzeln in sozialen Bewegungen. Die Tageszeitung Guardian berichtet über ein Anwerbegespräch an der Traditions-Universität Cambridge, bei dem ein junger Student zur Mitarbeit für die Polizei überredet werden sollte. Im Bericht der Zeitung wird der Student mit dem Pseudonym "John Armstrong" ausgestattet. Nachdem er im Oktober von Beamten per Telefon behelligt wurde, wandte er sich an Journalisten. Die statteten den Aktivisten mit einer versteckten Kamera aus. Der Polizist ist dem Guardian anscheinend bekannt, im Bericht von letzter Woche wird er als "Peter Smith" anonymisiert.

35 Euro für einen spitzelnden Abend

"Armstrong" wurde wohl ausgesucht, weil er in mehreren Umweltgruppen aktiv war und bereits drei Mal auf Demonstrationen festgenommen wurde. Bislang war er jedoch für keinen Gesetzesverstoß verurteilt worden. Ziel der Anwerbung waren unter anderem Studentenproteste.

Nach Aussage des gefilmten Polizisten sei es schwierig, eigene Spitzel in den Reihen der Aktivisten zu platzieren. Der Student solle deshalb Namen jener Kommilitonen oder Akademiker preisgeben, die an Protesten teilnehmen. Von Interesse seien auch die Kennzeichen ihrer genutzten Fahrzeuge. Am besten sei es, wenn der "Armstrong" auch auf Facebook entsprechende Informationen sammeln würde.

Als weitere Tätigkeitsfelder sollte der Angesprochene Demonstrationen gegen die Kürzungspolitik der Regierung unterwandern. Auch antifaschistische oder umweltbezogene Proteste wollte die Polizei auf diese Weise ausforschen. Zunächst sollte "Armstrong" auf lokale Initiativen angesetzt werden, später sollte er auf nationaler Ebene tätig werden. Als Gegenleistung wurde ihm Geld versprochen. Demnach bekäme er für einen Abend, an dem er einem Treffen beiwohne und darüber berichte, rund 35 Euro.

Vertreter von Studentenorganisationen zeigten sich nach den Berichten entsetzt, auch Parlamentarier kritisierten die Maßnahme. Die Polizei beruft sich indes auf ihren Auftrag, jeder "kriminellen Aktivität" vorzubeugen. Ähnliche Auseinandersetzungen hatte es vor drei Jahren in Baden-Württemberg gegeben, als dort der Polizist Simon Bromma aufflog. Unter dem Pseudonym "Simon Brenner" hatte der LKA-Spitzel studentische Bewegungen gegen Studiengebühren unterwandert.

Die neuen Enthüllungen folgen einer Serie von Skandalen, die seit dem Auffliegen des früheren Polizeispitzels Mark Kennedy die britische Politik beschäftigen (Grenzüberschreitende Spitzel). Kennedy hatte nicht nur Aktivisten in ganz Europa bespitzelt: Heraus kam, dass insbesondere die deutsch-britische Zusammenarbeit im Austausch verdeckter Ermittler bei Gipfelprotesten weit gediehen ist.

Nach Geburt eines Kindes zwei Jahrzehnte abgetaucht

In Großbritannien klagen mittlerweile mehrere Frauen und Männer gegen die Polizei. Gegenstand ist nicht nur die jahrelange Unterwanderung ihrer Freundeskreise und Familien: Seit 1968 sind nach Recherchen des Guardian ein Dutzend Fälle bekannt geworden, wonach Polizisten teils langjährige sexuelle Beziehungen mit Zielpersonen oder ihren Freunden und Freundinnen unterhielten. In mindestens einem Fall wurde dabei auch ein Kind gezeugt. Nach Ende ihrer jeweiligen Einsätze verschwanden die Spitzel von der Bildfläche (Emotionaler und sexueller Missbrauch durch Polizisten wird öffentlich).

Für das mittlerweile volljährige Kind wurde niemals Unterhalt bezahlt: Weder der abgetauchte Vater noch die Polizei hatte die Verantwortung übernommen. Die Mutter erfuhr von der wahren Existenz des Vaters erst kürzlich aus der Zeitung und schloss sich daraufhin dem Verfahren gegen die dubiosen polizeilichen Einsätze an. Auch aus Cambridge sind einige Aktivisten bei der gemeinsamen Klage gegen die Spitzel bzw. deren Vorgesetzten dabei.

Nun hat das zuständige Gericht entschieden, die Klage weitestgehend im Geheimen zu verhandeln - wohl weil zu viele heikle Details an die Öffentlichkeit gelangen würden. In der bisherigen Anhörung kam etwa heraus, dass die sexuellen Gebaren der Polizisten weiter anhalten: Jedenfalls wollte sich der vernommene Polizeichef auf die Frage nach dem Ende dieser Praxis nicht eindeutig auf ein "Nein" festlegen. Bekannt wurde auch, dass die Polizeiführer stets im Bilde waren, wenn ihre Spitzel andernorts übernachteten.

Auch Mark Kennedy hatte bei seinen mindestens sieben Jahre dauernden Einsätzen mehrfach Sex im Umfeld seiner Zielpersonen. Immer noch weigern sich allerdings die Bundesregierung und die zuständigen Innenbehörden der Länder, den Auftraggeber von Kennedys Spitzeleien in Berlin zu nennen. So können etwaige Betroffene nicht über das Verfahren gegen ihn wegen des Bruchs der Privatsphäre und der Missachtung von Interessen Schutzbefohlener informiert werden.

Kennedy sucht Hilfe bei Stratfor

Kennedy gab nach seinem Auffliegen mehreren Medien Interviews und verarbeitete seine Sicht auf die Spitzeleien in einem Dokumentarfilm. Er behauptet, starke Sympathien für die Ausgeforschten entwickelt zu haben und bezeichnete die Aktivisten gar als seine einzigen "wahren Freunde". Solcherlei Schizophrenie möchte die britische Polizei wohl zukünftig vorbeugen: Der in Cambridge angesprochene Student wurde gewarnt, er möge "nicht zu sehr" über die Weitergabe von Informationen über seine Kumpanen nachdenken, denn dies könnte bei ihm zu "Verknotungen" führen.

Undercover-Agent Mark Kennedy. Screenshot aus der Doku "Cutting Edge: Confessions of an Undercover Cop"

Nachdem er bei der Polizei aufhören musste, heuerte Kennedy bei dem privaten Sicherheitsdienstleister Densus Group in den USA an. Die Firma ist unter anderem spezialisiert auf "heimischen Extremismus", auch Kennedy bewirbt sich bei Linkedin mit diesem Profil. Letzte Woche kamen weitere Details heraus, nachdem Wikileaks neue "Global Intelligence"-Daten veröffentlichte: Demnach hatte Kennedy nach seinem Ausscheiden aus dem Polizeidienst bei der US-Beraterfirma Stratfor Hilfe gesucht, um im privaten Sektor Fuß zu fassen. Er erkundigt sich nach einem entsprechenden Workshop der Firma und gibt sogar seine Telefonnummern an.

Jetzt werden die Aktivitäten des wohl bekanntesten britischen Polizeispitzels auch in einem unabhängigen Film recherchiert und aufbereitet: Unter dem Titel "Spied Upon" arbeitet der Filmemacher Jason Kirkpatrick an einer Dokumentation über Mark Kennedy, die seine Einsätze in Großbritannien, Island, Deutschland oder Frankreich nachzeichnet. Nach erfolgreichen Gesprächen beim Kopenhagener Filmfestival wird "Spied Upon" wohl als Fernsehdokumentation geschnitten und ausgestrahlt. Eine entsprechende Crowd Funding-Kampagne läuft noch bis Mittwoch.

Kirkpatrick lässt viele Betroffene zu Wort kommen und konnte sogar an Videomaterial gelangen, das Kennedy bei der Infiltration des G8-Gipfels im schottischen Gleneagles zeigt.