Sezierter kosmischer Monsterblitz aus ferner Vergangenheit

Swift-Aufnahme von GRB 130427A im Gammastrahlenbereich. Bild: NASA/Swift/Stefan Immler

Astronomen observierten weltweit das Nachglühen des hellsten, energiereichsten und am längsten andauernden Gammastrahlenausbruchs aller Zeiten

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Mit den NASA-Weltraumteleskopen Swift und Fermi haben internationale Forscherteams nicht nur einen ungewöhnlichen rekordverdächtigen Gammablitz entdeckt, sondern auch seine Nachwirkungen im Gammabereich genau observiert und studiert. Doch nicht nur die Eigenschaften dieses Gammastrahlenausbruchs, sondern auch die Vielzahl der daraus resultierenden Folgebeobachtungen sind rekordverdächtig. So beobachteten von Ende April bis September 2013 sage und schreibe 58 internationale Observatorien und Teleskope das Nachleuchten von GRB 130427A auf anderen, niedrigeren Wellenlängenbereichen. In der heute erschienenen Fachzeitschrift Science berichten die Wissenschaftler von ihren Ergebnissen.

Die bizarre Natur der GRBs

Gammastrahlenblitze (engl.: Gamma Ray Bursts/GRB) sind die wohl spektakulärsten Lichtspiele und leuchtkräftigsten energiereichsten Phänomene, die das Universum zu bieten hat. Sie kommen scheinbar aus dem Nichts. Und dennoch durchfluten sie das Universum binnen eines Wimpernschlages mit hochenergetischer kurzwelliger Gammastrahlung. Dabei setzen sie in einem Zeitraum von 0,01 bis 1000 Sekunden mehr Energie als unser Heimatstern in seinem ganzen Leben frei. Sogar ein Stern von der hundertfachen Masse unserer Sonne würde neben einem durchschnittlichen Gammablitz gänzlich verblassen. Mehr noch: Die strahlenreichsten unter ihnen strahlen für die Dauer des Ausbruchs sogar heller als alle Sterne im Universum zusammen genommen.

Wo massereiche Sterne sterben, Neutronensterne pulsieren, wo Schwarze Löcher entstehen oder existieren, können diese Exoten theoretisch in Erscheinung treten. Kosmische Eruptionen solchen Ausmaßes tragen sich in der Regel weitab unserer Galaxis in fernen Galaxien zu und sind in der Milchstraße im Vergleich zu Supernovae weitaus seltener anzutreffen. Käme es in unserer Galaxis zu solch einem Ausbruch, womöglich sogar in relativer Nähe zum Solarsystem, wäre für die Erde eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes unausweichlich. "Eine Gammastrahlenexplosion im Umkreis von 6000 Lichtjahren würde katastrophale Folgen für das Leben haben. Wir wissen nicht, wann sich genau ein solcher Ausbruch ereignet hat, aber wir sind ziemlich sicher, dass es ihn gegeben hat", so der US-Physiker Adrian L. Melott der Universität in Kansas (USA).

Bild: NASA

Informationsreiches Nachglühen

Nach wie vor gelten GRBs als eines der größten Rätsel in der Astrophysik. Astronomen erwischen solch raren Himmelserscheinungen nur selten in flagranti, weil die irdische Atmosphäre Gammastrahlen vollends absorbiert. Nur mithilfe von leistungsfähigen, im Röntgen- und Gammastrahlenbereich operierenden Weltraumteleskopen können Wissenschaftler solch gigantisch kosmischen Energieentladungen registrieren. Um die Quelle und physikalische Natur der energiereichsten Ereignisse im Kosmos zu ergründen, konzentrieren sich Astronomen auf das Nachglühen ("Afterglow") der GRBs, das sich nach einem Ausbruch aber nur bei einem Drittel der detektierten Gammablitze einstellt. Die restlichen zwei Drittel, die dunklen GRBs, entziehen sich (größtenteils) der Beobachtung mit klassischen Fernrohren, Röntgen- und Radioteleskopen.

Ein Charakteristikum dieser kosmischen Unikate besteht darin, dass sie ihre gesamte Energie nicht in alle Richtungen gleichzeitig, sondern leuchtturmartig entlang zweier dünner Strahlen (Jets) emittieren. Bild: NASA

Neuesten Beobachtungen zufolge entstehen Gammablitze bei der Geburt von schnell rotierenden Schwarzen Löchern oder Neutronensternen. Sie treten auch in Erscheinung, wenn massereiche Sterne, so genannte Super- und Hypernovae, explodieren. Da ein GRB mitunter einige Tage im Röntgenbereich und sichtbarem Licht nachglüht, detektierten Forscher mit Weltraumobservatorien bislang durchschnittlich zwei- bis drei Ultra-Blitze pro Tag. Einen der bis heute stärksten Gammablitze registrierte das NASA-Weltraumobservatorium Swift am 19. März 2008. Die 7,5 Milliarden Lichtjahre entfernte unbekannte Quelle strahlte 30 Sekunden lang 2,5 Millionen Mal heller als die leuchtstärkste bislang lokalisierte Supernova. Der ferne GRB entpuppte sich seinerzeit als das weitentfernteste Objekt des Universums, das jemals mit bloßem Auge zu sehen war.

Für die Annalen der Astronomie

Nunmehr haben die im All treibenden orbitalen Sternwarten Swift und Fermi und 57 weitere bodengestützte Observatorien und Teleskope den alten Rekord getoppt und erneut einen ungewöhnlichen Kandidaten näher unter die Lupe genommen, der sich von der Masse der bis auf den heutigen Tag registrierten Gammastrahlenereignisse deutlich abhebt. Wie ein internationales Wissenschaftlerteam in der heute erschienenen Ausgabe des Science ausführlich berichtet, registrierten am 27. April dieses Jahres zwei Forschungssatelliten und ein bodengestütztes Teleskop im Sternbild des Löwen den bislang gewaltigsten Gammastrahlenausbruch, der seit der Messung und Katalogisierung dieses Phänomen jemals verzeichnet wurde. "Wir Wissenschaftler warteten schon lange auf einen derartig eindeutigen Rekordbrecher", freut sich der Innsbrucker Astroteilchenphysiker Olaf Reimer, der den Gammablitz ebenfalls ins Visier genommen hat.

GRB 130427A, so die offizielle Katalognummer des unlängst detektierten Gammastrahlungsausbruches, ist der bis heute nicht nur hellste und energiereichste seiner Art, sondern auch derjenige, dessen Nachleuchten im Gammastrahlenbereich am längsten währte. Und kein Gammablitz wurde bis heute mit derart vielen Teleskopen und Satelliten nachbeobachtet.

Künstlerportrait des NASA-Weltraumteleskops Fermi. Seine "Kollege" Swift entdeckt pro Jahr 100 GRBs. Bild: NASA

Die Entdeckung und nähere Charakterisierung von GRB 130427A ist das Resultat einer globalen Anstrengung. Zuerst reagierten die Instrumente des NASA-Gammastrahlen-Weltraumteleskop Fermi auf den Blitz, acht Sekunden später registrierte ein erdgebundenes Fernrohr den GRB, bevor dann das NASA-Observatorium Swift zwei Minuten später den Ort des Geschehens und die Quelle des Phänomens näher präzisieren konnte. Nach Angaben der Forscher erstreckte sich die Hauptemission des GRB über einen Zeitraum von fünf Minuten, das hellste und stärkste Leuchten indes, der so genannte GRB-Peak, dauerte zehn Sekunden an. Und wie Messungen ergaben, erreichte der Puls energiereicher Strahlung bei einem Gammaquant eine Stärke von sage und schreibe 94 Milliarden Elektronenvolt. Damit schrieb er Astronomiegeschichte.

"Wir sahen plötzlich einen Gammastrahlenausbruch, der extrem hell war - einen Monster-Gammastrahlenblitz. Es ist der energiereichste und gewaltigste Gammastrahlenausbruch, den wir bislang mit dem Swift-Satelliten beobachtet haben", erklärt Daniele Malesani vom Dark Cosmology Center am Niels Bohr Institut der Universität in Kopenhagen, einer der Co-Autoren des heute erschienenen Science-Beitrages.

Malesani ist Mitglied einer dänischen Forschungsgruppe, die seit Anfang dieses Jahres mit dem Swift-Team in den USA kooperieren und vom 27. April bis 21. Juli und vom 23. bis 26. Oktober dieses Jahres das Nachglühen von GRB 130427A minuziös verfolgten. Er ist nur einer von vielen Forschern, die mit verschiedenen Teams und Teleskopen den neuen Rekordhalten ins Visier genommen haben:

Wir observierten das genannte Nachglühen, das für gewöhnlich einige Tage oder mehrere Woche anhält - mit Swift und bodengestützten Teleskopen. In unserem Fall war der GRB so stark, dass wir sein Nachglühen mehrere Monate lang beobachten konnten. Mit der Analyse des Lichts des Nachglühens, können wir seine spektrale Zusammensetzung studieren, die uns etwas über die Eigenschaften des Ursprungssterns verrät.

GRBs bleiben weiterhin mysteriös

Um den Gammablitz überhaupt dingfest zu machen und sein Nachglühen en detail zu studieren, kombinierten die Wissenschaftler die drei Bordinstrumente des Swift-Teleskops miteinander. Nachdem das "Burst Alert Telescope" (BAT), das für die Überwachung dient und den Himmel nach derartigen Ereignissen abscannt, Alarm schlug, traten das Röntgenteleskop und das ultraviolette Teleskop in Aktion - ebenso wie das optische Fernrohr, das die eingehende Strahlung auf den entsprechenden Wellenlängen sezierte und analysierte. Somit konnten die Astronomen das Nachglühen des GRBs en detail erfassen und messen. Ergänzt wurde die Observation von bodengestützten, rund um den Globus verteilten Teleskopen - wie beispielsweise dem Nordic Optical Telescope auf den Kanarischen Inseln oder dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile.

Während der Observationen kristallisierte sich heraus, dass es sich bei der Quelle des GRBs um einen gigantischen, schnell rotierenden Stern mit der 20- bis 30fachen Masse unserer Sonne handelt, der aber nur den drei- bis vierfachen Durchmesser unserer Sonne aufweist. Er befindet sich 3,75 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt.

Derlei kompakte Sterne nennen Astronomen Wolf-Rayet Sterne (WR-Stern). Charakteristisch für diese stellaren Gebilde ist, dass sie 10 bis 256 Sonnenmassen aufweisen und große Mengen Materie an ihre Umgebung abgeben sowie ihre äußeren Hüllen schnell abstoßen. Manche von ihnen schleudern die komplette Masse unserer Heimatsonne innerhalb von 10.000 Jahren ins All. Besondere Aufmerksamkeit schenken Astronomen diesem Sterntyp deshalb, weil viele seiner Vertreter oft zu einem Schwarzen Loch mutieren. Ob GRB 130427A dereinst selbst als Schwarzes Loch endet, ist vorerst völlig unklar.

GRB 130427A, wie die Region vorher und nachher ausgesehen hat. Bild: NASA/DOE/Fermi LAT Collaboration

Trotz des Erfolges sind noch viele Fragen offen und weitere Beobachtungen nötig. Immerhin geben die vorliegenden neuen Daten den Forschern einen besseren Einblick in die Natur dieses kosmo-exotischen Phänomens. "Wir gehen davon aus, dass der wesentliche Teil der Energie einer stellaren Katastrophe in einem nur wenige Sekunden andauernden Zeitfenster freigesetzt wird. Vermutlich gelingt das nur, wenn ein hochgradig fokussierter Materiestrahl die Hülle eines kollabierenden, massereichen Sterns durchstößt und dann auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wird", erklärt Reimer. Dennoch müssen einige bisherige Modellvorstellungen möglicherweise revidiert werden - wie etwa das Problem der prompten Gammaemission.

"Das seit circa 15 Jahren favorisierte Modell der 'internen Schocks', bei denen später emittierte, schnellere Schalen mit früher emittierten langsameren Schalen kollidieren, ist nun eindeutig widerlegt", so Jochen Greiner vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching. "Wir erleben hier gerade einen Fall, bei dem außergewöhnliche Beobachtungen eines spektakulären astrophysikalischen Phänomens, gepaart mit einer guten Portion Glück, lang etablierte Interpretationen revidieren werden."